auch wesen, deren sein sich außschließlich in einer nichtsprachlichen sphäre bewegt, erkennen die welt und entwickeln ein verständnis von ihr.
(Arno_Strine)
Das ist es ja gerade: Wir gehen mit Wörtern wie >Sein<, >Wesen<, >Welt< oder >Verständnis< an etwas heran, und wir haben nichts anderes, womit wir es tun könnten, auch wenn wir mit diesen Wörtern ein Wort wie das obige Zitat konstruieren.
Wir haben den Zugang zu der Welt bzw. zu den Welten, die wir aus den Bedeutungen von Zeichen wie Wörtern und Worten konstruieren, und die Vielgestaltigkeit dieser möglichen Welten lässt sich erahnen, wenn wir bedenken, daß bereits eines unserer Wörter bei einem Menschen viele Bedeutungen hat.
Alle uns zur Verfügung stehenden Zeichen außer Wörter und Wort – also alle nonverbalen – sind nur mit verbalen, also sprachlichen Werkzeugen wahrnehmbar bzw. erkennbar, denn sie müssen gedeutet werden. Ich kann nicht einfach nur so erleben, ohne das Erlebte zu bedenken. Ich kann eventuell >einfach nur erleben<, weil ich etwa mit meinem Partner zusammen bin, den ich vielleicht lange zuvor bereits bedacht und beurteilt habe und zu dem Schluss gekommen bin, daß ich mich ihm ohne Vorbehalt oder Gefahr hingeben und ausliefern kann.
Wir sehen also, daß wir uns immer, aber immer auf das verlassen, was wir bedacht, untersucht und beurteilt haben oder von dem wir annehmen, daß wir es bedacht, untersucht und beurteilt hätten. Sind wir davon nicht überzeugt, dann verlassen wir uns auch nicht darauf.
Wir verlassen uns nicht auf die Profiltexte anderer Joyclub-User, weil wir wissen, wo sie sich äußern. Wir wissen, daß wir uns auf einem Marktplatz voller Unbekannter so verhalten, wie man sich dort eben verhält; man sendet Zeichen, die interpretiert werden sollen, und diese Zeichen sind andere als jene, die ich Vertrauten sende. Jeder weiß das, und jeder weiß, daß es vom Kontext abhängt, was ich tue oder unterlasse.
Dieser Kontext ist in der Tat ein Text. Dieser Text ist unüberschaubar vielgestaltig, und er besteht aus den Texten – und mehr noch: Subtexten – aller, die uns mit ihren Äußerungen – Ein- und Vorgaben, Meinungen, Befehlen, Vor- und Ratschlägen, Zu- und Abreden, Einbläuungen, Lügen, Scherzen, Anekdoten, Verleumdungen, Drohungen, Zweifeln, Bedenken, Bemerkungen, Beteuerungen, Versprechen, Zu- und Absagen, Ein- und Abschätzungen, Versprechungen und vielen anderen – in die Welt der Bedeutungen eingeführt haben.
In dieser Welt finden wir uns zurecht, auch und gerade weil wir wissen, daß sie nicht zuverlässig ist. Wir sind zwar auf Gemeinsamkeit, auf Sicherheit, auf Wärme und Nahrung angewiesen, aber wir sind verdammt, diese Bedürfnisse über den Umweg der Bedeutung zu stillen. Das unterscheidet uns vom vorsprachlichen Leben, das keine Bedeutung und die dafür notwendige Deutung, sondern Reize und die darauf folgende Reaktion kennt.
Dem Menschen ist es versagt, aus seiner Welt der vermittelnden Bedeutung in die Welt der unmittelbaren Erfahrung zurückzugehen, denn er kann nicht loslassen von den Bedingungen, in die er geworfen wurde. Er lebt von ihnen.