schon gar nicht sagen, wo die grenze zwischen mir (drinnen) und dem (draussen) ist. eine horrorvorstellung, so durchlässig zu sein.
Naja, je nachdem, wo man sich befindet.
Ist man im Wald, schon lange genug (Stunden mindestens, Tage und Wochen wären "besser"), oder an einem anderen Ort, an dem die Natur allein einen umgibt, also fern der Gesellschaft, oder auf dem Sitzkissen beim Sesshin, wird die Vorstellung zum köstlichen Loslassensempfinden. Sofern intendiert, gesucht, stimuliert und aufrechterhalten.
Ich habe im Wald schon Leute gesehen, die trabben in Horden über die Wege einher, und brüllen ihre Kinder oder Hunde herbei, ohne mit der Wimper zu zucken. Denen gehört wohl der Wald, mitsamt seiner beiläufig erhaschten Szenerie, den wohl nicht mitbedachten Tieren, deren einzig Reservat sie stören, vom Käfer bis zum Reh - alles ihres! Manchmal macht mich das sehr wütend.
Häufig schon hatte ich also folgende Erlebnisfolge: langes Spazieren durch den Wald. So leise, wie es nur geht; man wird ja auch hellhöriger, jedes Astknacken wird zum Gewehrschuss nach einiger Zeit, hellsichtiger, man bemerkt Umrisse, die sonst übersehen würden. Je länger man dort ist, desto mehr darf man sich auflösen, den Wald stört das nicht. Man darf sich unter einen Baum stellen und imaginieren, dass der Baum einen einatmet, einsaugt, und in sein beringtes Inneres inkorporiert, wie Daphne. Dass man danach selbst Baum ist - oder Moosgrün, oder Reh, gar Wildschwein. Ich mache solche Übungen aus spontanem Wünschen heraus, und sie führen zu einer überköstlichen mentalen Ruhe. Gänzlich drogenfrei, im übrigen.
Und dann wandle ich also dort umher, zunehmend high, mit wachsender Umsicht für jede Fußspur, die ich hinterlasse, mit einem Sinn fürs Warten - da nur Stillhalten die Tiere "anlockt" -, der sich immer friedlicher anfühlt, und denke dann, ich bin jetzt so frei, wie selten möglich. Ich benötige nicht mehr meinen individuellen Umriss, könnte überall und alles sein, auch ein Stein - es wird alles zu Einem.
Aber dann muss man ja doch wieder nach Hause, das Loslassen geht nur soweit, wie man nicht über Nacht im Wald einfröre.
Und dann tauchen die Menschen auf. Ihr Geschrei, ihr blindes Herumrennen am Waldrand, an den ersten Siedlungshäuser, das Gezanke eines Paares um den Wagenschlüssel, das biestig dreinblickende Kopftuchmuttchen, zwei Gören, die mir spöttisch etwas nachrufen ... und jedes Mal bin ich entsetzt, wie schnell mich die Welt wieder hat. Wie schnell sich das Puzzle dieser Gesellschaft um mich herum konstituiert, wie Eisenspäne über einem Magnet.
In diesem Fall bedarf es des Festhaltens des Lolassens. Ich muss jedes Mal, wenn ich diese Entgrenztheit herbeiführe und beobachte, versuchen sie zu konservieren, wie ein Elixier. Um davon trinken zu können, wenn mich wieder das Weltfieber packt. Das Ich, jenes aus Wertungen - denn nur die Wertungen machen zu schaffen - soll sich mit dem loslassenden Ich verbinden, zumal ja ein Teil der Walderfahrungen doch in einem fortlebt.
Und dann kann es passieren, dass ich einmal nach so einem Spaziergang den Menschen begegne, so, mit glatter Stirn, leichten Fußes und entrückt-selig, und n i c h t denke: ihr Knallköppe, ihr macht noch alles kaputt! -
sondern einfach hinsehe, hinhöre und akzeptiere, dass auch diese Wesen ihre Rechte haben, auch das Recht, ihr Lautsein zu zelebrieren, nur bei sich zu sein, ihre Wertung zu manifestieren.
Stufen des Loslassens.