Philosophie des Cafés und Aprikosencocktails
Einführungen in die Philosophie können zuweilen sehr langatmig, ja geradezu langweilig sein. Es gibt selten - zumal in der akademischen Zunft - Philosophen, die packend von ihrem Fach und Treiben erzählen können. Und da legt jetzt die Engländerin Sarah Bakewell und ihre Übersetzerin Rita Seuß eine spannende, gut zu lesende Philosophiegeschichte des Existenzialismus vor, dass man wieder Lust bekommt, Edmund Husserl, Karl Jaspers, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Albert Camus u.a. im Original zu lesen.
Sarah Bakewell: Das Café der Existenzialisten, C.H. Beck 2016
Zumeist schwarz gekleidete, Jazz-verliebte und existenzialistische junge Leute bevölkerten nach dem Krieg die Cafés und Bars in den Städten. Nach den Katastrophen des 20. Jahrhundert tasteten sie sich vorsichtig in die neue Freiheit hinein, ob in Paris, Madrid, London oder Berlin. Existenzialisten nannten sie sich, und ihre Vorbilder wie de Beauvoir, Camus und Sartre waren schon etwas älter. Freiheit, Angst, Sein - das waren die großen Themen. Und wie ein neues Europa aufbauen, das friedlich und demokratisch sein sollte und wie sollte eine Welt, frei vom Kolonialismus aussehen - in Nordafrika und Asien, jetzt, wo sich Kapitalismus und Kommunismus gerade die Welt unter sich aufteilen? Die junge Leute damals waren die Vorboten der späteren Studentenrevolten, die allerdings dann schon wieder neue Wege der politischen Philosophie gingen als die Existenzialisten.
Es begann mit der Phänomenologie: man kann über servierten Aprikosencocktail sprechen und mit Leichtigkeit zu Themen Philosophie kommen: Warum schmeckt dieser mir, aber nicht Dir - obschon es sich um denselben Cocktail aus einem Becher handelt. Wie erscheinen die Dinge, wenn wir nichts über die Substanz aussagen können oder deren Wesen, weil sich solche Konstruktionen unserer Erkenntnisfähigkeit entziehen? Wie überwindet man die Angst, die ein Grundgefühl der Existenz darstellt und die sich nicht einfach abschütteln lässt. Und was ist das überhaupt: Freiheit? Ein Wort auf einem Stück Papier, das jedem Menschen zugestanden wird in den Verfassungen, oder eine Realität, die aber auch gestalten, ja "genommen" und "erkämpft" werden muss?
Solche Café-Diskussionen zeichnet die Autorin nach, kenntnisreich und souverän, immer wieder mit überraschenden biographischen Wendungen aus dem Leben der Akteure: wie war das mit der wilden, polyamoren Beziehung zwischen de Beauvoir und Sartre, die beide nebenher noch zahlreiche Affären unterhielten und die damals mehr die deutsche als die französische Öffentlichkeit faszinierte?
Eine Philosophie der "gelebten Erfahrung", nicht die der großen philosophischen Entwürfe der Tradition oder vielmehr des langweiligen, geistlosen Zitierens des philosophischen Traditionalismus, ob nun Marxismus, Strukturalismus oder anderer -Ismen.
Das jedenfalls lässt sich von den Altvorderen aus Paris lernen: wieder selbst denken ohne sich in den eigenen Gedanken von wem auch immer bevormunden zu lassen.
(c)Dreamy2017
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