Dazu passt auch...finde ich...
Ordnung und Revolution H.Hesse
Unter Wirklichkeit verstehe ich ziemlich genau dasselbe, was man sonst auch Natur nennt...Ich habe das Unglück, daß ich mir selber stets widerspreche.
Die Wirklichkeit tut das immer, bloß der Geist tut es nicht und die Tugend nicht.....Zum Beispiel nach einem scharfen Marsch im Sommer kann ich vom Verlangen nach einem Becher voll Wasser völlig besessen sein und Wasser für das wunderbarste Ding in der Welt erklären.
Eine viertelstunde später, wenn ich getrunken habe, ist nichts auf Erden mir so uninteressant wie Wasser und Trinken.
Ebenso halte ich es mit dem Essen, mit dem Schlafen, mit dem Denken.
Mein Verhältnis zum sogenennten`Geist`zum Beispiel ist genau dasselbe wie das zum Essen oder Trinken.
Manchmal gibt es nichts in der Welt, das mich so heftig anzieht und mir so unentbehrlich scheint wie der Geist, wie die Möglichkeit der Abstraktion, der Logik, der Idee.
Dann wieder, wenn ich davon satt bin und das Gegenteil brauche und begehre, ekelt alller Geist mich an wie verdorbenes Essen.
Ich weiss aus Erfahrung, daß dies Verhalten für willkürlich und charakterlos, ja, für unerlaubt gillt, doch habe ich nie verstehen können, warum?
Denn ebenso wie ich zwischen Essen und Fasten, Schlafen und Wachen beständig abwechseln muß, muß ich auch zwischen Natürlichkeit und Geistigkeit, zwischen Erfahrung und Platonismus, zwischen Ordnung und Revolution, zwischen Katholizismus und Reformationsgeist beständig hin und her pendeln.
Daß ein Mensch sein Leben lang immer und immer den Geist verehren
und die Natur verachten kann, immer Revolutionär und niemals Konservativer sein kann oder umgekehrt, das scheint mir zwar sehr tugendhaft, charaktervoll und standhaft, aber es scheint mir auch ebenso fatal, widerlich und verrückt, als wenn einer immerdar essen oder immerdar nur schlafen wolle.
Und doch beruhen alle Parteien, politische und geistige, religiöse und wissenschaftliche, auf der Vorraussetzung, ein so verrücktes Verhalten sei möglich, sei natürlich.