Hallo miteinander,
ich würde versuchen drei Ebenen zu trennen:
1) Normalität
Normalität ist ein relativer Begriff in Bezug der Normalverteilung in einer Gruppe bezüglich eines Merkmals. Da der Begriff relativ ist und von der Wahrnehmung abhängt, ist er gleichzeitig ein "leerer Signifikant" wie es in einer Theorie (Laclau) genannt wird.
Der Begriff ist so unbestimmt in seinem Inhalt, dass Du fast alles hineinschreiben kannst. So wurde in unserer Weltgeschichte schon alles mögliche als normal angesehen, selbst Gesellschaften in denen Du mehrere Geschlechter hast und eines davon durch den Acker bestimmt wird, den Du besitzt.
Was jemand als "normal" betrachtet ist also eine Momentaufnahme der eigenen sozio-kulturellen und historischen Situation
2) Norm
Eine Norm, verstanden als Verhaltensregel, ist auch relational, aber meist in einem gesellschaftlichen Zusammenhang verankert. Normen sind ebenfalls höchst wandlungsfähig und es wurden fast alle Verhaltensweisen bereits als normativ gut beschrieben in unserer Menschengeschichte, einschließlich ritueller Kannibalismus.
Dadurch das Normen gesellschaftlich verankert sind, ist es meistens so, dass in der entsprechenden Gesellschaft das als Normal angesehen wird, was der Norm entspricht. Allerdings gibt es fast immer Subgruppen, die sich durch alternative Normauslegungen von der sie umgebenden Gesellschaft abheben.
Daher spricht man in der Identitätsforschung nicht von "der" Norm, oder "den Normen", sondern setzt sie relational zu den "peer groups" des jeweiligen Menschen, als den Gruppen, die prägend sind für sein/ihr Weltverständnis.
Starken peer groups gelingt es ihre Normalität auch gegen eine Mehrheitsgesellschaft zu verteidigen, die andere Werte pflegt.
3) Normalisierung
Das führt zum dritten Punkt, der Normalisierung. Damit ist gemeint, dass Gesellschaften, Gruppen, Individuen danach trachten andere (oder sich selbst) in die Norm zu pressen. (Foucault) Die Praxis kann übergriffig sein, aber auch (scheinbar) freiwillig.
Die drei Ebenen würde ich unterscheiden bei der Diskussion.
Ich würde nicht sagen, dass "Normalität" eindimensional ist. Wir alle haben Ansichten über Normalität und unsere normale Welt ist vielschichtig und komplex.
Was tendenziell eindimensional ist, ist ein starker Drang nach Normalisierung anderer Leute. Denn das führt meist dazu, dass die eigenen Vorstellungen absolut gesetzt werden. Damit wird die existierende Vielfalt abgelehnt, was zumindest weniger Dimensionen in der Gesellschaft bedeutet als vor der Normalisierung.
Ich würde dennoch Normalität nicht ablehnen, sondern vielmehr die Wechselhaftigkeit, Relationalität und begrenzte Perspektive betonen.
Jemand die sagt: "Das kommt mir nicht normal vor" ist noch nicht schlimm. Jemand die "Du bist unnormal, pass dich an" könnte ein Problem werden.
Gruß
Brynjar