da rein-raus ja jetzt offline ist - können wir ja nochmal auf das thema sinne - sinneswahrnehmung - kognition eingehen?
Begriffe dienen in der Philosophie der Sondierung unseres Gedankenhaushalts. Zu diesem gehören auch "Sinnlichkeit", "Verstand", "Geist", "Körper" usw., Elemente unserer Selbstauslegung und Weisen, ein Verständnis unserer selbst zu artikulieren. Dabei ist das Wort "Sinn" ebenso wie das lateinische "sensus" notorisch vieldeutig. Gleiches gilt auch für das griechische Wort aisthesis. Doch scheint klar, dass das Wort "Sinn(e)" im hier relevanten Kontext Körperorgane meint, die mit einer bestimmten Funktion bzw. Wahrnehmungs- bzw. Empfindungs-Leistung verbunden werden. Dass wir seit Langem, wohl seit den Zeiten eines Aristoteles, von den "fünf Sinnen" sprechen, ist vielleicht weniger selbstverständlich. Denn offensichtlich gab es auch gänzlich andere Auffassungen. So finden sich z.B. im chinesischen Denken u.a. auch Vorstellungen bezüglich "Sieben Öffnungen des Kopfes". Im indischen Denken – vor allem in den Upanishaden, jenen religiös-philosophischen Werken, deren älteste etwa in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends anzusiedeln sind – begegnen wir Auffassungen, wonach die in Rede stehenden Organe sowohl anatomisch als auch kosmisch charakterisiert sind. Warum sich das vertraute "Fünfer-Modell" durchsetzte, ist eine interessante Frage. Vielleicht war es neutral genug, um in unterschiedlichen Kontexten Anwendung finden zu können.
Was "tun" die Sinne?
Die Frage, was die Sinne eigentlich tun, hat kontroverse Beantwortungen erfahren. Konkurrierende Auffassungen bestimmen nicht nur die Einschätzung der in Rede stehenden Organe etwa in Begriffen von Aktivität bzw. Passivität. Manche Denker erklärten die Funktion der Sinne nämlich als rein passives Aufnehmen von Eindrücken usw.; andere billigten ihnen eine Art von Aktivität bzw. Spontaneität zu.
Aber auch die Frage, wie die besondere Beziehung zwischen Sinnesorgan und Sinnesobjekt zu deuten sei, erfuhr unterschiedliche Antworten. Theophrast (341 bis 387 v. Chr.), dem wir die erste Abhandlung über Auffassungen von Sinneswahrnehmung verdanken, berichtet, dass manche Autoren glaubten, von der Annahme polarer Gegensätzlichkeiten ausgehen zu müssen ("heiß"/"kalt" usw.), während andere wiederum meinten – und hier ist besonders auf den griechischen Politiker, Arzt und Philosophen Empedokles (ca. 495–435 v. Chr.) zu verweisen –, diese Beziehung unter dem Prinzip "Gleiches durch Gleiches" subsumieren zu sollen. Im einen Fall geht es um den Gedanken, dass wir in der Regel etwas nur dann beispielsweise als heiß wahrnehmen, wenn wir uns selber nicht in einem heißen Zustand befinden. Im anderen Fall war vielleicht die Überlegung maßgebend, dass Licht in der Pupille des Auges reflektiert wird und Helligkeit somit irgendwie im Auge residiere.
Ein besonders berühmtes Beispiel letzterer Art finden wir in der Farbenlehre Goethes – "Wär nicht das Auge sonnenhaft, Die Sonne könnt’ es nie erblicken", – der nachweislich vom Begründer des Neuplatonismus, Plotin (ca. 205–270 n. Chr.), zehrte. Plotin wiederum gilt als Exponent einer Richtung, die von einer sogenannten konsubstanziellen Identität von Erkenntnisinstanz und Erkenntnisobjekt ausging. Dies bedeutet, dass "Innen" und "Außen" in einer denkbar engen Beziehung gesehen wurden.
Beide Prinzipien sind natürlich spekulativer Art und ursprünglich im Kontext kosmologischer Erwägungen beheimatet. Von da aus wurden sie auch zum Zwecke der Erklärung partikularer Phänomene herangezogen. Derartige Auffassungen sollten übrigens auch das mittelalterliche Denken bestimmen. Hier wurden die Sinne mit bestimmten Elementen korreliert, und für den Geist ist sogar die berühmte Quinta Essentia (d.h. der Äther) in Anspruch genommen worden. Dabei spielen Momente der spezifisch christlichen Weltdeutung eine wichtige Rolle; und in ihnen, wenn überhaupt, wird auch deutlich, wie sogenannte Sachfragen im Horizont übergeordneter Orientierungen wie Theologie und Anthropologie ein neues Gesicht annehmen.
Sinne und Kognition
Der philosophisch eigentlich interessante Punkt liegt freilich in der Frage, wie die Erkenntnisart der Sinne konkret vorgestellt wurde. Dabei fällt auf, dass das Bild des Greifens, des Erfassens dominiert. Empedokles sprach von den Sinnen buchstäblich als Greifern (wörtlich: palamai, Handflächen), die Stoiker wiederum prägten mit ihrem Begriff der katalepsis (Erfassen) die für die Philosophie der Neuzeit maßgebliche Vorstellung des Erkennens als Fassen, Packen. Hinter der hier gemeinten "Handgreiflichkeit" verbergen sich nicht nur Ideen von Sicherheit, Evidenz und Bestimmtheit; sie vermittelt auch ein Bild von der typisch neuzeitlichen Auffassung des Subjekts als Wesen, das sich selbst behauptet. Freilich blieb diese Vorstellung auch in weiten Bereichen der Philosophie des 20. Jahrhunderts lebendig, z.B. beim Engländer George Edward Moore (1873–1958) – "to grasp the meaning of a proposition" – oder vor ihm beim Deutschen Gottlob Frege (1848 bis 1925) – "ein Urteil fassen".
Dabei sind Verbildlichungen dieser Art insofern riskant, als die korrespondierenden Gegenstände als dingartige Gebilde konzeptualisiert werden, zu denen wir in eine Art von Bekanntschaftsbeziehung treten; und diese Auffassung birgt irreführendes Potenzial. Zwar wurde diese Deutung dessen, was Erkenntnis sei, bereits von G. W. F. Hegel (1770–1831) kraftvoll attackiert. Er machte sich über die Vorstellung lustig, dass man sozusagen mit "Spießen und Stangen" auf die Wahrheit "losgehe". Doch erst im 20. Jahrhundert scheint diese Auffassung wirklich unter Druck zu geraten. Dies geschieht in William James' (1842–1910) Programm des Radikalen Empirismus, laut dem die Wahrnehmung des Individuums allein Garant der Erkenntnis ist, ebenso wie in John Deweys (1859–1952) Vorstellung interagierender Organismen, welche statische Naturmodelle ablehnt und in Fragen der Psychologie und Wissenschaftstheorie die Interaktion zwischen dem menschlichen Organismus und seiner Umgebung ins Zentrum rückt.
Sinne als Tore zur Welt
Die Philosophie westlicher Prägung artikulierte sich in Konkurrenz zum Mythos und verrät von vornherein eine starke erkenntnistheoretische Prägung. Dies erklärt auch ein Stück weit, weshalb philosophische Beurteilungen der Frage nach der Reichweite unserer Erkenntnis immer schon zwischen zwei extremen Positionen schwanken. Da ist einmal die Auffassung des "Empirismus", wonach alle Erkenntnis aus der Erfahrung stamme und damit letztlich von den Sinnen her rühre; und da ist, auf der anderen Seite des Spektrums, die Auffassung des "Rationalismus", dass die Vernunft bzw. Ratio eine (oder sogar die) eigenständige Quelle der Wahrheit darstelle. Dass die Sinne so etwas wie "Türen" zur Welt bzw. "Tore" nach "Draußen" sind, gehört zu den leitenden Einsichten bereits der frühen Philosophie.
In diesem Kontext gewann auch die Vorstellung Gestalt, dass die Phänomene (d.h. "das sich Zeigende") als "Antlitz" bzw. "Sicht" (opsis) des Nicht-Offenbaren zu gelten haben (Anaxagoras ca. 500–428 v. Chr., Frag. 21a: "Die sichtbaren Dinge bilden die Grundlage der Erkenntnis des Unsichtbaren").
Diese Vorstellung war weit verbreitet und bedeutete seinerzeit einen Meilenstein in der Genese wissenschaftsphilosophischer Reflexion. Doch gab es immer auch Stimmen, die davor warnten, dem Zeugnis der Sinne zu trauen. Zu ihnen gehören Autoren wie Parmenides (ca. 540–480 v. Chr.) und Platon (428–348 v. Chr). Sie hielten dafür, dass uns die Sinne ein buchstäblich falsches Bild der Wirklichkeit präsentieren, das im Namen der Vernunft korrigiert werden müsse. So hielt Parmenides dem alltäglichen Bild einer Vielfalt heterogener Dinge das Portrait der Wirklichkeit eines homogenen Seienden entgegen.
So trifft schon in der Antike der Anspruch des Rationalismus auf den des Empirismus, revisionäre Metaphysik auf die deskriptive Metaphysik. Nun hat diese Situation noch andere Facetten. So mag man sich fragen, wie eigentlich ein perfektes Wesen aussehen müsste, das den Beschränkungen durch die Sinne nicht unterworfen wäre? Xenophanes (570–480 v. Chr.), einer der ersten Aufklärer überhaupt, beantwortet diese Frage folgendermaßen: "Gott ist ganz Auge, ganz Geist, ganz Ohr." Und Epicharmos (550–460 v. Chr.), der griechische Komödiendichter und Philosoph, generalisiert: "Verstand [nous] nur sieht, Verstand nur hört, das andere: taub und blind." Doch hat diese Beurteilung ihre Tücken. Das Bewusstsein der hier virulenten Problematik kommt wohl nirgendwo deutlicher zum Ausdruck als in einer Überlegung Demokrits (460–371 v. Chr.), von der der Arzt und Wissenschaftler Galen mehr als 500 Jahre später zu berichten weiß: Nachdem Demokrit sein Misstrauen gegen die Sinneswahrnehmungen in dem Satz aussprach "Der gebräuchlichen Redeweise nach gibt es Farbe, Süßes, Bitteres, in Wahrheit aber nur Atome und Leeres", lässt er die Sinne gegen den Verstand reden: "Armer Verstand, von uns nahmst du die Beweisstücke und willst uns damit niederwerfen? Ein Fall wird dir der Niederwurf."........
Pr. Dr. Gräser UniPress Uni Bern 2007)
worum es mir geht, ist aufzuzeigen,
wie begrenzt unser wissen darüber ist....
vielleicht können wir deshalb manches nicht erklären,
was den "7. "über-"sinn" betrifft/ausmacht... ?
möglicherweise benutzen diese dazu befähigten menschen nur einfach einen teil der angeblich 90% ungenutzten hirnmasse?
vielleicht ist dies eine besondere begabung/sensibilität der wahrnehmung?
"anerkannt" wird in "unserer kultur" nur das, was wissenschaftlich bewiesen werden kann....
solange unser wissen und unsere möglichkeiten der forschung begrenzt sind, kann dies genau zu der "fehlerquelle" führen, dass weil nicht nachweisbar =nicht existent - nicht sein darf, was ist....?