Es wurde einmal die Idee des Intelligenzquotienten in die Welt gesetzt, und man begann, die ausgeklügeltsten Tests zu erfinden, mit denen diese Eigenschaft gemessen werden soll, mit der einige Menschen besser ausgestattet, höher dotiert seien als andere. In der Folge kamen neue Ideen, nach welchen es nicht nur eine, sondern viele Intelligenzen gebe. Ähnlich verstehe ich die Geschichte der Kunst; sie wurde auf eine immer breitere Basis gestellt, und mittlerweile gibt es wohl nichts, das auf der heute bestehenden Grundlage keinen Platz fände. Wer offenen Auges durch die Gänge und Sitzungsräume der großen Banken-, Versicherungs- oder Anwaltskanzleizentralen geht, mag sich ein ums andere Mal vornehmen, sich doch endlich eingehender mit Kunst zu beschäftigen, um verstehen zu können, warum das, was da hängt, so viel Geld kostet.
Der Vorteil dieser Entwicklung ist für mich klar. Es geht immer mehr darum, das, was ist – oder als etwas Bestimmtes zu gelten habe – zu besprechen und zu bedenken, und zwar vor dem eigenen Hintergrund einerseits des Wissens, andererseits von prinzipieller Offenheit bzw. dem Bewusstsein über nicht hinreichendes Wissen. Es hilft mir nicht weiter, wenn ich vor einem – vermeintlich offensichtlich – kindlichen Gekritzel stehe und sage: >Das kann ich auch!<. Ob ich es selbst könnte oder nicht; diese Frage entscheidet nicht über den Stellenwert eines Kunstwerks. Genauso gut könnte ich sagen, daß ich die Entscheidung, eine bestimmte Zahl von Mitarbeitern zu entlassen, um die sogenannte Konkurrenzfähigkeit oder Effizienz eines Unternehmens zu erhöhen, selbst hätte treffen können.
Natürlich hätte ich! Nur leider bin ich weder ein anerkannter Künstler noch ein verdienter Entscheidungsträger. Ich bin in aller Regel ein Jemand, der von den internen Regeln der jeweiligen Produktionssphäre nicht die geringste Ahnung hat. So, wie Nam June Paik einmal sagte: >Ich wollte auf einer Rennbahn laufen, auf der noch keiner läuft.<, so kann jeder jederzeit Dasselbe sagen und etwas tun, das ihm entspricht und Dinge produzieren, die aus ihm selbst kommen. Nun gut; Paik hatte Video in seiner Frühzeit für sich entdeckt und maßgeblich vorangetrieben, womit er etwas hatte, das tatsächlich neu und unbeackert war. Das ist heute, wie wir wissen können, etwas schwierig geworden.
Es bleibt aber für jeden, der sagt, das kann ich auch, die Frage: Was kannst du denn wirklich? Was ist deine Kunst, und wie willst du sie entwickeln? Ist es deine Kunst, Bilder zu malen oder liegt dein Glück darin, zu malern? Ist es das Häkeln? Das Singen? Vielleicht bist du auch Künstler im Sinne der Inspiration deiner Nächsten, etwa deiner Nachbarn. Hast du einen grünen Daumen, ein Faible für Einrichtungen oder macht es dich glücklich, eine chaotische Lagerhalle aufzuräumen? Schlummert in Dir ein genialer Kranführer oder solltest du dein Talent zum Führen von Mitarbeitern zum Beruf machen? Du könntest ein begnadeter Altenpfleger sein oder ein fähiger Software-Entwickler. Hast du nicht immer schon kleine Texte geschrieben, die du keinem zeigtest? Du kannst doch so gut Dinge erklären, Mathe zum Beispiel, oder Physik. Das wäre doch das Richtige für Schulkinder.
Kunst ist grundsätzlich das, was einen hauptsächlich ausmacht, aber sie ist oft nur eine Behauptung dessen. Vieles, was einen angeblich ausmacht, ist nur Pose, also eine vorgestellte Eigenschaft, die mir zu eigen sein soll, aber nicht wirklich ist. Das ist aber nur die private Seite der Kunst. Die öffentliche ist ein offensichtlich vollkommen willkürlicher Markt, der ganz anderen Bedingungen als den privaten unterliegt.
Ich jedenfalls bin überzeugt, daß Kunst von Können, aber auch von künstlich kommt. Künstlich ist Kunst allein deshalb, weil es einen kategorischen Unterschied zwischen Natur und Kultur gibt. Die Bilder des Weltraumteleskops Hubble etwa sind keine Kunst; sie sind Bilder von Erscheinungen der Natur, denen wir die Qualität >Kunst< zu attestieren geneigt sind. Seht euch etwa die Bilder der Nebel unserer Milchstraße an. Der Krebsnebel könnte ein Bild eines Künstlers sein, dessen Bilder schlicht unbezahlbar sind. Die Information über die Herkunft eines Bildes entscheidet also über den Preis. Das Bild eines Kindes könnte ein Original eines Künstlers sein, der zufällig genauso malt, und deshalb müsste es ebenso viel wert sein. Ist es aber nicht. Und doch ist es ebenso künstlich. Es ist keine Natur, denn Menschen sind seit ihrer Erfindung der Sprache keine natürlichen Wesen mehr, und allein deshalb sind sie in der Lage, zwischen Kunst und Natur zu unterscheiden. Sie stehen nämlich jenseits der Natur, weshalb alles Kunst ist, was sie tun.
https://www.nasa.gov/image-f … 2/the-splitting-of-the-dunes
Das ist ein Bild einer Marsregion. Die Geschichte dieses Bildes liegt einerseits in der natürlichen Entstehung dieses Planeten und andererseits in der Geschichte der künstlichen Entstehung der menschengemachten Technik. Das Gerät, das dieses Bild aufnahm, ist ursprünglich der Adressat von Texten, die von Menschen geschrieben wurden. Ursprünglich richteten sich Texte von Menschen an Menschen, etwa in Form von Briefen. Neuere Texte aber sind an Maschinen gerichtet in Form von Software. Diese Texte sollen Maschinen dirigieren, und sie sind nicht allzuweit entfernt von ihren Vorläufern, den Briefen. Diese sollten eigentlich auch dirigieren, und zwar Menschen, die sich der Liebe des Schreibenden gewiss sein oder sich etwa auf ein bevorstehendes Gerichtsverfahren vorbereiten sollten.