Wie ich zur Philosophie kam - und sie zu mir
Wie bin ich zur Philosophie gekommen? Die kurze aber natürlich ganz unzureichende Antwort ist: auf einem Umweg. So richtig ein Bedürfnis, mich mit philosophischen Fragen zu beschäftigen, oder – um es mit Kant zu sagen – mich im Denken zu orientieren, bekam ich erst während meines Studiums an der Uni. Ich studierte Literaturwissenschaft, um Lehrer zu werden. Ich würde es nicht Rechthaberei nennen, was mich motivierte. Aber mich beschäftigte schon von früher Zeit an, wie man eigentlich das, was einem gesagt wird und was man liest und was man selber glaubt, begründen kann. Was blosse Meinung ist und was nachweislich wahr ist.
Was mich beim Literaturstudium so störte, war, dass es so viele verschiedene Richtungen und Ansätze in der Interpretation von literarischen Texten gab und man als Student zunächst einmal gar nicht beurteilen konnte, welche Ansätze nun die richtigen waren. Schliesslich hiess ja das, was man da studierte, Literatur
wissenschaft. Und Wissenschaft kann doch nicht beliebig sein.
Ich begann also mich ernsthaft und ausgiebig mit Methodenfragen zu beschäftigen. Da lag es nahe, sich in die Wissenschaftstheorie einzulesen, sich also mit der Frage zu befassen, wie naturwissenschaftliche Aussagen, Hypothesen, Theorien, etc., methodologisch einwandfrei zu begründen sind. Ich wollte herausfinden, ob auch geisteswissenschaftliche Aussagen, wie z. B. literarische Interpretationen, nachweislich objektiv richtig oder falsch sein können. Und dieses Interesse dauerte auch noch nach der Beendigung meines Studiums und dem Beginn meiner beruflichen Tätigkeit an verschiedenen Universitäten an.
Eine Weile lang glaubte ich, dass objektive Begründbarkeit und Wahrheit, jedenfalls in einem ähnlichen Ausmass wie in den Naturwissenschaften, auch in der Literaturwissenschaft möglich sei. Später, nachdem ich mich intensiver mit Linguistik, Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie allgemein befasst hatte, kam ich zu der Überzeugung, dass das ein falsches Ideal ist. Ausserdem spürte ich, dass Philosophie, vor allem Erkenntnistheorie und Moralphilosophie, eigentlich viel spannender und intellektuell reizvoller sind als das, was ich bisher studiert hatte. Jedenfalls für mich. Und das ist auch heute noch so.
Ich betrachte Philosophie auch keineswegs als weltabgewandte „brotlose“ Kunst. Philosophisch Denken heisst kritisch Denken. Und das brauchen wir heute mehr denn je. Philosophie kann nicht die unzähligen und immer komplizierter werdenden Probleme lösen, vor denen die Menschheit steht. Aber sie kann uns helfen zu begreifen, was bzw. wer wir eigentlich sind und was für Lebens- und Gesellschaftformen erstrebenswert sind.
Dieter