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Kommst Du an das Salz?

**********_Gogh Mann
5.291 Beiträge
Themenersteller 
Kommst Du an das Salz?
Kurz zum Hintergrund:
In der Sprachphilosophie (und in der Linguistik (besonders in der Pragmatik)) findet man "Sprechakte" und dazugehörende Theorien. Von John L. Austin grob 1955/62 eingeführt rückte die Sprache an sich in einen Focus, dass man mit Sprache eben auch handelt (wer hätte das gedacht! *g* ).

Ernsthaft wurde vorher eher die Aussagenlogik beachtet und nicht, dass man mit Sprache ja noch viel mehr machen kann. Manches kann man mit der Sprache sogar explizit. Z.B. danken durch "Danke!" oder "ich danke dir". Oder etwas versprechen durch "Ich verspreche dir ...". Durch die Formel "ich verspreche dir ..." wird's zum Versprechen. Manchmal gibt es eben sogar sogenannte "performative Verben" wie versprechen, behaupten, danken, ... Manchmal nicht. Mit "Ich grüße Dich!" kann man grüßen, mit "ich beleidige dich!" kommt man nicht so weit, wie mit "Arschloch". *lol*
Durchs Sagen wird es zur Handlung. In krasseren Fällen wie "Hiermit ernenne ich euch zu Mann und Frau!" werden, wenn die Umstände und die richtigen Personen es ernsthaft machen, neue (nicht nur soziale) Realitäten geschaffen!

Es gibt hier diverse abgehende Theorien, die ich nur andeuten will, obwohl sie sehr interessant (und umstritten!) sind. Z.B. die die Gendertheorie. Wie sehr schaffen wir hier mit Sprache erst die Unterschiede der Geschlechter? Judith Butler sei hier erwähnt. Wird nicht ein Kind erst zu einem weiblichen Kind, wenn bei der Geburt gerufen wird "Ein Mädchen!". Geht diese Differerenzierung nicht über zum Differenzieren = Trennen und gar zum Diskriminieren? Die #vonhier-Debatte könnte hier ebenfalls genommen werden, wo die Frage "woher kommst du? (wo liegen deine Wurzeln?)" als diskriminierend empfunden wird, nur weil sie gestellt wird.

Bei der Sprechakttheorie spielt auch sehr schnell eine Rolle, das oft manch Gesagte nicht wortwörtlich gemeint ist bzw. bei manch Gesagtem mehr gemeint als gesagt wird. Wie funktioniert das? (was heute eher in der Pragmatik als Teil der Linguistik zu finden ist). U.a. soweit gehend, dass mit etwas Ironisch-Sarkastischem ja sogar das Gegenteil von dem gemeint ist, was gesagt wird.
Und hier komme ich mehr zu meinem Anliegen/Problem.

U.a. gibt es so etwas: "Kommst du an das Salz ran?"

Formal: eine Frage. Eine nach der Fähigkeit/des Vermögens, an das Salz zu kommen. Aber in den meisten Situation wird diese Frage ja als Bitte verstanden werden, dass jemand dem Fragenden das Sals geben möge. Die Antwort "Ja" auf die Frage "Kannst du mir mal das Salz geben?" ohne entsprechende Handlung würde ja sogar zu Unverständnis führen, obwohl sie als "können", "ja", richtig sein könnte.

Dieses Art der Frage, eine Höflichkeitsspielart, scheint nicht in allen Sprachen zu funktionieren. Im Deutschen, Englischen, Niederländischen ... ja. Laut Searle (John R. Searle "Ausdruck und Bedeutung" S 71) gilt das z.B. für das Tschechische im folgenden Beispiel nicht:

"Kannst du mir das Buch da geben?" heißt (leider nicht mit korrekten Buchstaben) wörtlich übersetzt:
"Muzete mi podat tu Knizku?"
... was sich im Tschechischen nicht als Höflichkeitsfloskel nutzen ließe bzw. im Tschechischen nicht verständlich wäre.

Kennt jemand ähnliche Sprachbeispiele? Eventuell vielleicht Polnisch, Russisch, Türkisch, Arabisch ...? Wo würde eine derartige Höflichkeitsfragestellung aus dem Deutschen übersetzt nicht als Höflichkeitsaufforderung interpretierbar wäre?

Vielleicht gerade diese Beispiele mit dem Buch und dem Salz:

Kommst du an das Salz ran?
Kannst du mir das Buch da geben?
Zitat von **********_Gogh:
Kommst du an das Salz ran?
Kannst du mir das Buch da geben?

kann ich als Frage auch jeweils beantworten und werde damit nicht das tun, was du @**********_Gogh vielleicht "erwartest"
Zitat von **********_Gogh:

Kommst du an das Salz ran?
ja, komme ich

Zitat von **********_Gogh:

Kannst du mir das Buch da geben?
warum sollte ich, nimm doch das direkt vor dir
Erinnerung an alte Zeiten
Werter Ludwig,

dass mir nach *hust Jahren nochmal der illokutionäre Sprechakt vors Auge fallen und mich u.a. an meinen gefürchteten Linguistik-Prof. erinnern würde, hätte ich nicht gedacht. Danke dafür.

Da man nicht (nur) fürs Examen, sondern fürs Leben studiert, habe ich seinerzeit jenen (frisch gelernten) Sprechakt unterlaufen, als mich in meinem Nebenjob ein sehr interessanter Kommilitone an der Supermarktkasse fragte: "Haben Sie eine Plastiktüte?" Ich sagte: "Ja" und kassierte langsam weiter (ohne ihm eine zu geben). Er verstand den (Sprach)Witz, lächelte und setzte nach: "Ich hätte gern eine." Da ich sehr an einer Verabredung mit ihm interessiert war, antwortete ich mit: "So so" und kassierte tatenlos weiter. Er lachte und fragte schließlich: "Würden Sie mir bitte eine Tüte geben?" Was ich mit "sehr gern" und einer Plastiktüte beantwortete.

Was ich mit dieser Anekdote (die zu einer Verabredung am selben Abend und vielen weiteren führte) eigentlich sagen will: Ich war damals und bin auch heute nicht der Ansicht, dass es sich bei diesem Sprechakt um einen höflichen handelt.
Im Kern ist die Frage, ob der andere ans Salz komme, die Vermeidung, ihn darum zu bitten. Anstelle der Bitte (die dem Sprecher die Höflichkeit des Bittens abverlangt), wählt er den Umweg über eine Frage, die im Subtext die Aufforderung ist, ihm das Salz zu reichen. Diese Frage will keine Antwort, sondern den Vollzug der Handlung.

Niemand wird den Klassiker "Es zieht!" (Aufforderung, das Fenster zu schließen) der direkt an die Person gerichteten Bitte: "Herr Meier, könnten Sie bitte das Fenster schließen?" vorziehen. Die ausformulierte Bitte macht den Gesprächspartner erst zu einem solchen und den Umgangston zu einem höflichen.
***60 Mann
298 Beiträge
Sprach - Akt : Verbal - Erotik ?

oder auch: "Archie, do you speak Italian?"(Diese Assoziation mag off-topic erscheinen, ist aber ein erworbener bedingter Reflex bei Leuten die wie ich "Ein Fisch namens Wanda" mehrmals gesehen haben).
*******rse Mann
2.314 Beiträge
Bei Austin/Searle ging mir auch das Herz auf.

Ich bin Ostfriese und habe Deutsch im Grunde als Fremdsprache gelernt. Daneben spreche ich nur Englisch. Beispiele, die hier gefragt sind, kann ich nicht liefern.

Ich weiß nur, daß, wenn meine Frau mich an einem heißen Sommertag fragt, ob ich Lust auf ein Eis habe, folgendes meint: Gehst Du bitte ein Eis für mich holen?

Übrigens; Vilém Flusser, "Kommunikologie", Varela/Maturana, "Der Baum der Erkenntnis" und Vinograd/Flores, "Erkenntnis Maschinen Verstehen"
**********_Gogh Mann
5.291 Beiträge
Themenersteller 
Zitat von ****pa:
Erinnerung an alte Zeiten
[...]
Was ich mit dieser Anekdote (die zu einer Verabredung am selben Abend und vielen weiteren führte) eigentlich sagen will: Ich war damals und bin auch heute nicht der Ansicht, dass es sich bei diesem Sprechakt um einen höflichen handelt.
Im Kern ist die Frage, ob der andere ans Salz komme, die Vermeidung, ihn darum zu bitten. Anstelle der Bitte (die dem Sprecher die Höflichkeit des Bittens abverlangt), wählt er den Umweg über eine Frage, die im Subtext die Aufforderung ist, ihm das Salz zu reichen. Diese Frage will keine Antwort, sondern den Vollzug der Handlung.

Niemand wird den Klassiker "Es zieht!" (Aufforderung, das Fenster zu schließen) der direkt an die Person gerichteten Bitte: "Herr Meier, könnten Sie bitte das Fenster schließen?" vorziehen. Die ausformulierte Bitte macht den Gesprächspartner erst zu einem solchen und den Umgangston zu einem höflichen.

Danke für deinen Beitrag. Gerade die Anekdote brachte mich sehr zum Schmunzeln. *top*

Was Deinen Kommentar zur "Höflichlichkeit" betrifft. Natürlich kann man dies sehr unterschiedlich sehen, wobei u.U. gerade ja die Abstufungen - hier "Höflichkeitsabstufungen" - interessant sind (und eben auch, dass nicht alles von jedem so verstanden wird oder aus anderen Gründen nicht alles so funktioniert).

Wenn man die Bitte direkt nimmt, dann hieße es ja:
"Bitte gib mir das Salz." oder "Gib mir bitte das Salz."

Sinngemäß der andere Pol wäre statt einer Bitte den Befehl:
"Gib mir das Salz."

Beide Aufforderungen (sofern ich "Aufforderung" als neutrale Basis sehe) unterscheiden sich ja nur durch das "bitte" und das "bitte" verändert die Aufforderung zu einer höflichen, nämlich der Bitte und ohne, gerade mit einem scharfen Ton gesprochen, wird es zum Befehl.

Ich denke, dass im Sprachgebrauch weder oft das eine noch das andere vorkommt. Wenn, dann z.B. mit einem "mal" dazwischen:

"Gib mir mal das Salz" oder "Gib mir bitte mal das Salz".
Nur kurz der Gedanke: was macht das "mal"? "Gib mir (bitte) einmal/ein Mal/mal vorübergehend das Salz?" Steckt dadrin: "Ich will das Salz nur kurz"? Werden hier Dinge zusammengezogen?

Wie auch immer habe ich die beiden Pole "Befehl" und "Bitte". Also "unhöflich" zu "höflich".

Wenn ich zu den Fragestellungen gehe, dann wird der Sprechakt, der dazu führen soll, dass der Sprecher das Salz bekommt, zum indirekten. Die Frage kaschiert die Aufforderung. Man kann natürlich über die "Ernsthaftigkeit" streiten, ob das "Kannst du ..." dem Hörer die Freiheit der Wahl ernsthaft offen lässt, dem nachzukommen. Aber die eingebaute, scheinbare Wahlmöglichkeit, das Salz nicht geben zu müssen, wäre dann doch eine Form der Höflichkeit. Vielleicht "nur" eine kulturelle. Denn es mag in anderen Kulturen eben nicht funktionieren, anders sein.

"Kommst du an das Salz dran?" - sicher nicht höflich, aber unhöflich?
"Kannst du mir das Salz mal reichen?" - auch nicht groß höflicher

Interessanter Weise kann in beiden Sätzen der illokutäre Witz durch das "bitte" verstärkt/verdeutlich werden.

"Kommst du bitte an das Salz dran?"
"Kannst du mir bitte das Salz mal reichen?"

("Kommst du an das Ding da dran? = Kannst du das Ding da erreichen?" als reine Frage eines Orthopäden ("Kämest du an das Ding dran?") an einen Armkranken; ein eingebautes Bitte würde hieraus eine Bitte machen, es mal zu probieren)

Vielleicht ist ja der sprachliche Entwicklungsprozess der, dass über die Bitte die Frage mit "bitte" kam, in Situationen, wo es nicht eindeutig klar war, ob der Höhrer auch wirklich in der Lage war, an das Salz zu kommen (weil es zu weit weg stand). Und aus der fragenden Bitte bzw. der bittenden Frage wurde die unhöflichere Frage. Die aber m.E. dann höflicher ist, als die Aufforderung (oder gar der Befehl) "Gib mir das Salz!"

*g*

Die Frage nach der Tüte im Supermarkt wird sicher auch nicht dann gestellt, wenn der Fragende offensichtlich Tüten irgendwo sehen kann. Die Frage nach dem Salz-Reichen würde auch keiner stellen, der weiß, dass das Salz in Reichweite vor der eigenen Nase steht. Hier würde die Unhöflichkeite dadurch auftreten, den anderen zum Salz-Reichen bringen zu wollen, obwohl man selber dran käme.

So unhöflich finde ich die "normal gestellte" Frage (Salz/Tüte) dann eben doch nicht. Ich würde sogar vermuten, dass hier (frei nach Grice) sogar Mechanismen von Sprachkonventionen funktionieren. So effektiv wie möglich mit Worten.

Statt: "Haben Sie eine Tüte? Ich habe keine für meine Einkäufe und brauche eine. Wenn sie also Tüten haben, dann geben Sie mir bitte eine." verkürzt man auf die Frage, weil der Rest impliziert ist. Wenn man dann wirklich höflich sein will, dann fragt man gleich mit "bitte": "Haben Sie bitte eine Tüte?"

*g*

Allerdings glaube ich auch, dass es deutlich Unterschiede, gerade im Bereich der Höflichkeit gibt, wenn man unterschiedliche Kulturen betrachtet. China, Japan ... da sind Dinge oft ganz anders als hier. Und das macht sich auch an solchen sprachlichen Dingen fest.


---

Zitat von *******rse:

Ich weiß nur, daß, wenn meine Frau mich an einem heißen Sommertag fragt, ob ich Lust auf ein Eis habe, folgendes meint: Gehst Du bitte ein Eis für mich holen?

Klassisch ist ja auch: "(Schatz,) der Müll ist voll."
Eine Feststellung als Aufforderung, den Müll runter zu bringen. *g*

Allerdings munkelt man, dass das hier kein Problem der deutschen Sprache ist, sondern Sprachdiffernzen zwischen Mann und Frau. *lol*

Zitat von *******rse:
Übrigens; Vilém Flusser, "Kommunikologie", Varela/Maturana, "Der Baum der Erkenntnis" und Vinograd/Flores, "Erkenntnis Maschinen Verstehen"

Paul Watzlawick nicht zu vergessen. Und Friedemann Schulz von Thun, den ich ebenfalls mag.

*g*
**********henke Mann
9.667 Beiträge
Lieber TE, schau mal hier https://de.wikipedia.org/wiki/Partikel_(Grammatik) und hier https://de.wikipedia.org/wiki/Partikel_(Grammatik)

Ich denke, dass Grammatik dir eher hilft als Sprechakttheorie *g*
**********_Gogh Mann
5.291 Beiträge
Themenersteller 
Zitat von **********henke:
Lieber TE, schau mal hier https://de.wikipedia.org/wiki/Partikel_(Grammatik) und hier https://de.wikipedia.org/wiki/Partikel_(Grammatik)

Ich denke, dass Grammatik dir eher hilft als Sprechakttheorie :-)

*aua*

Nun. Im Satz "Kannst du mir (bitte) mal das Salz reichen?" ist "mal" eine Partikel. Schön. Und?

*joyclub*

Die Frage ist: was macht die Partikel da? Warum wird sie da eingebaut? Also: pragmatisch, nicht grammatikalisch.

******dia:
Modalpartikeln (auch Abtönungspartikeln) drücken Einstellungen des Sprechers zum Satzinhalt aus: schon, freilich, halt, eben, ja, aber, vielleicht, einfach, doch, bloß, nur, mal …

In vielen Sätzen kann man aufgrund der benutzten Partikeln eine Sprecher-Intension oder einen ergänzenden Aussage-Hintergrund erkennen, und damit, warum der Sprecher sie einbaut oder was er damit sagen will. Aber in den konkreten Fällen?

"Kannst du mir vielleicht mal das Salz reichen?"

Streng genommen macht weder die Frage noch das benutzen der beiden Partikeln "vielleicht" und "mal" hier einen Sinn.

Ich vermute einen tieferen Hintergrund. Unausgesprochenes. "Kannst du mir (bitte) vielleicht mal das Salz reichen?". Also: Nicht zwingend, bestimmend, sondern, "wenn es dir möglich ist; wenn es dir nicht zu viel Umstände macht, ...", und bei "mal" "nur kurz, nicht dauerhaft, du bekommst es wieder" ...

Ob aus Höflichkeitsgründen oder nicht: eine "Abschwächung" des Aufforderungscharakters, um es nicht als Imperativ dastehen zu haben/lassen.
ups wußte gar nicht das joyclub soviel Spaß machen kann, also bitte mehr davon ...
**********tarii Mann
3.378 Beiträge
Kurze Frage. Kann es sein, dass das Prädikat eigentlich "Wasser" heißen müsste?

Delta
**********_Gogh Mann
5.291 Beiträge
Themenersteller 
Naja. Wenn man das Salz haben will, wohl besser nicht ... *lol*
Hallo miteinander,

mit Searle würde ich wohl sagen, dass "Kommst Du an das Salz ran" nicht nur ein Fremdsprachproblem ist, sondern auch im Deutschen ein Kontext- und Kontexterkennensproblem. Searle sagt ja selbst, dass die soziale Komplexität deswegen so hoch ist, da Sprache nicht eineindeutig ist. Ein Satz schon gar nicht. Er kann niemals den Kontext komplett er- und umfassen und daher ist ein Satz immer defizitär.

Ich musste unter anderem an den "Tod des Autors" denken (Roland Barthes) oder an das Zwischen von Hannah Arendt. Denn dadurch, dass Kommunikation mit anderen stattfindet, vervielfältigt sich der Satz. Er ist der intendierte Satz A, der gesprochene Satz A*, der gehörte Satz A*', der interpretierte Satz A*'i. Im idealen Fall für die Sprecherin gilt A=A*'i. Aber das klappt halt oft genug nicht.

Oder anders herum: Es ist erstaunlich, wie oft es klappt. Ich habe mal in einer Vergabekommission für Stipendien gesessen und da hat eine Habilitierende untersucht, weshalb eigentlich Slang funktioniert. Warum reicht der Satz "Ich Bahnhof", damit dem Gegenüber klar ist, dass man sich jetzt zum Bahnhof begibt? Wo sind die Grenzen und Verluste von reduzierter Sprache? Gibt es einen Mehrwert für "vollständige" Sätze?
Oder ist ein Satz dann vollständig, wenn die intendierte Kommunikation gelungen ist?
***60 Mann
298 Beiträge
Gut genug ist gut genug.
**e Mann
2.564 Beiträge
"und bei "mal" "nur kurz, nicht dauerhaft, du bekommst es wieder" ..."

Dass er es wieder bekommt, steckt da für mich nicht drin. Eher würde ich sagen, dass es für "ein Mal" steht und damit ausgesagt werden soll, dass ich das Salz jetzt nicht immer wieder von ihm haben will. Ich will mein Ei damit salzen und es wäre doof, ihm das Salz nach jedem Bissen wieder zurück zu geben um es aufs Neue zu erbitten.

"Kannst du mir bitte mal das Salz reichen" mag höflich sein, ist aber veralteter Sprachgebrauch. Heute heißt das:

"Kannisch Salz?"
Kategorienfehler
Zitat von ****jar:

Ist ein Satz dann vollständig, wenn die intendierte Kommunikation gelungen ist?
In dieser Frage steckt ein Kategorienfehler, und daher ist sie nicht zu beantworten. "Vollständig" wird in der Regel eine syntaktische Kategorie sein. Mit sehr vielen Zusatzannahmen auch noch als semantischer Begriff deutbar, aber "gelungene Kommunikation" ist - wenn überhaupt linguistische Kategorien gelten - der Diskurslinguistik zuzurechnen. Da gibt es keinen einfachen Übergang.
Ähnliches gilt auch für Anderes aus dem Post von Brynjar: Nicht "ein Satz" (hier: syntaktische Kategorie) ist immer defizitär, sondern jede "sprachliche Äußerung" (= Diskurseinheit) ist immer unvollständig (oder unterbestimmt oder ambig, was man übrigens nicht als defizitär deklarieren sollte)
*******rse Mann
2.314 Beiträge
Der Satz "Dein Salz ist so lecker, kann ich noch ein Ei haben?" kommt aus dem Ostfriesichen und ist natürlich ein Witz. Er steht hier als Hinweis auf die hinreißende Komplexität der Sprache. Interessanterweise nutzen wir diese Vielgestaltigkeit in aller Regel nicht, um einen der Vielgestaltigkeit des Lebens möglichst angemessenen Diskurs zu führen; zumindest nicht im Sinne eines Diskurses, der auf dem Spiel mit den wissenschaftlichen Kategorien von "Diskurs", "Dialog", "Syntax", "Sematik", "Illokution", "Token", "Satz", "Deixis" (you name it) fußt.

Nein. Wir müssen die Vielgestaltigkeit, die Unüberschaubarkeit der Formen so weit verringern, daß wir zumindest das Gefühl haben können, den anderen zu verstehen. Ob wir es tatsächlich bewerkstelligen, stellt sich immer später heraus; dann, wenn wir schlauer sind. Das dazwischen ist das für mich eigentlich Interessante.

Das Sprechen und das Schreiben sind Kunstgriffe. Wir haben bis zur Entwicklung der Sprache mehrere Schritte hinter uns gebracht weg von der Welt. Heute leben wir ausschließlich in der Welt der Sprache und somit in der Welt der Bedeutungen. Deshalb gibt es zwar einen kategorischen Unterschied zwischen einer akademischen Debatte über die Bedeutung des Verfalls syntaktischer und semantischer Gepflogenheiten beginnend mit sms und vorläufig mündend in WhatsApp und facebook zu einem Gespräch über den Gartenzaun, aber keinen prinzipiellen.

Prinzipiell geht es um das Deuten. Das ist das Einzige, was und bleibt. Ferdinand de Saussure führt den Begriff der Arbitrarität ein, und der wird oft als "Willkürlichkeit" interpretiert. Er meinte aber eher etwas wie "Zufälligkeit". Sein Beispiel ist das Wort "Baum". Diese Folge von Buchstaben hat nichts mit dem zu tun, auf das sie verweist. Viel dramatischer fällt dieser Nichtzusammenhang bei Wörtern wie "Liebe" aus.

Was ich sagen will, ist dies: Wir vollziehen einen Sprachwandel und haben es immer getan. Sprachwandel ist nur deshalb da und unausweichlich, weil wir mit der Sprache in einer Welt leben, die von der Welt unabhängig ist. Beim Schwänzeltanz der Bienen geht es um verlässliche Information; die Geschwindigkeit des Tanzes verhält sich analog zur Entfernung der Nektarquelle, seine Richtung ist analog zur Stellung der Sonne, und die Nektarsorte Lindenblüten bringt die Biene gleich an ihren Beinchen mit. Da gibt es kein Vertun, auch, wenn norddeutsche Bienenvölker einen "Dialekt" haben, der sich etwas von jenen der österreichischen unterscheidet. Das heißt, daß die Information einer ostfriesischen Biene die österreichischen ein wenig in die Irre führen würde. Nur ein wenig. Was sie nicht kann, und das kann kein Tier: Lügen.

Dazu braucht es ebenjene Unabhängigkeit von der Welt.
**********_Gogh Mann
5.291 Beiträge
Themenersteller 
@*******rse
Sehr schöner Beitrag. Eine Korrektur: es ist auch bei Tieren inzwischen nachgewiesen, dass sie lügen (täuschen) können.
A.a. eine Meerkatze, die einen Warnruf machte, um andere dazu zu bringen, Deckung zu suchen. Der Lügner/Täuscher konnte ungestört, heimlich an Futter, dass er sonst nicht bekommen hätte.
*zwinker*
Es gibt aber wohl auch andere Beispiele, wo Schimpansen in Dialogen mit Wissenschaftlern nicht ganz ehrlich waren.

Nachtrag:
https://www.br.de/themen/wis … verhalten-forschung-100.html
https://www.sueddeutsche.de/ … -woche-luegen-tiere-1.286479
https://www.welt.de/wissensc … rd-gelogen-und-betrogen.html

Hier wird zwar teilweise Lügen und Täuschen gleich gesetzt, aber ... *g*
*******rse Mann
2.314 Beiträge
Das Wissen über die Welt der Tiere schwillt ebenso an wie jedes andere Wissen auch. Wir werden immer auf das zurückgeworfen sein, was uns vom Tier unterscheidet; den alphanumerischen code. Nur in ihm existieren wir, und nur aus ihm können wir Anker formen, die uns mit der Welt verbinden.

Diese Anker verhaken uns desto besser mit ihr, je näher ihre Formen an das heranreichen, an das sie andocken sollen.

Mit fortschreitender (Kognitions-) Technik wird der Unterschied zwischen Mensch und Tier immer mehr verschwimmen, aber auch immer deutlicher. Delphine sprechen sich mit Namen an, aber sie haben keine künstlichen Gedächtnisse gebaut, mit denen sie auf den Urknall zurückrechnen konnten. Ganz zu schweigen von den bedeutenden Erzählungen, die weit vor dieser Theorie entstanden.

Das Glück, das ich im Zusammenleben mit einer Katze erlebe, entsteht nicht aus einem natürlichen Zusammenhang, wie er zwischen zwei Katzen besteht. Es besteht in der Geste des Menschen, der auf das Tier zeigt und sagt: So stelle ich es mir vor.
***60 Mann
298 Beiträge
Wenn ich mich selbst beobachte, sind meine Gedanken keine Worte, keine Texte.

Für mich sind alles : Formen. Schwer zu beschreiben, mit Worten *zwinker*

Aber die Idee, alles sei Wort (was man nicht sagen kann, kann man auch nicht denken) finde ich, introspektiv, als nicht zutreffend.
Und um noch einmal wieder zurück zum Topic zu kommen:
Die Frage des TE nach Beispielen aus anderen Sprachen ist mir nicht ganz verständlich. Im Salzbeispiel führt sie IMHO auf einen irrelevanten Nebenaspekt. Ich versuche, das mal auseinanderzuklamüsern:

E1: "Kannst Du mir das Salz geben?" ist syntaktisch eine Frage.
E1 ist, wenn man Sprechergewohnheiten, Phraseologismen, Sprechakte, Vier-Ohren etc., kurz: Sprachpragmatik außer acht lässt, die Frage nach einem Vermögen des Gegenübers.

Im Kontext einer gemeinsamen Mahlzeit:
E1 ist im Sinne des Vier Ohren-Modells auf der Appell-Ebene eine Bitte um Salz
E1 realisiert sprachpragmatisch einen direktiven illokutionären Akt, eine Aufforderung.

Die Frage des TE (wenn ich sie richtig verstehe) geht nun darauf, in welchen Sprachen ein direktiver illokutionärer Akt nicht als Frage formuliert wird (Variante 1).
Oder sie meint, ob die konkrete Frage nach Salz (Zucker, Pfeffer) bei einer Mahlzeit in solch einer Sprache nicht als Frage formuliert werden kann (Variante 2).
Zu Variante 2: Dies ist nicht notwendig sprachspezifisch, sondern spezifisch für eine Sprechergesellschaft. Und auch im Deutschen gibt es nahezu beliebig viele Arten, die Bitte um Salz in einer Form vorzubringen, die syntaktisch keine Frage ist, aber nur über die illokutionäre Ebene verstanden werden kann. Z.B. "Ich bräuchte mal Salz". Oder auch "Hier fehlt Salz!" mit suchendem Blick. Oder mit Blick auf Salzstreuer "Das ist ja das Salz.". Oder "Der Koch hat wohl kein Geld mehr für Salz." "Ich hatte aber nicht salzarme Kost bestellt." und, und, und.

Oder @**********_Gogh war Variante 1 gemeint?
**********_Gogh Mann
5.291 Beiträge
Themenersteller 
Variante 3

Searle schreibt sinngemäß (ich habe das Buch aktuell nicht vor mir), dass die Frage

"Kommst du an das Buch?"

... im Tschechischen Wort-wörtlich übersetzt nicht als Frage/Bitte um das Salz verstanden werden würde.
(Die Frage nach dem Heranreichen an X ist ja 'weiter weg', als die Frage "Kannst du mir X. geben", und deswegen problematischer.

Ich such(t)e also eine Bestätigung dafür oder ähnliche Anti-Beispiele aus anderen Sprachen. Natürlich könnte es auch Sprachgemeinschaften geben, in denen eine Frage als Bitt-Ersatz nicht geht.
Bald sind wir so weit, dass wir die Frage so geschärft haben, dass sie Sprecher anderer Sprachen beantworten könnten, aber noch nicht ganz. Und hier ist warum:
Man kann im Deutschen die Bitte um Salz ja auch anders formulieren, und zwar weniger "indirekt", d.h. die Distanz zwischen propositionalem Gehalt und illokutionärem ist nicht ganz so groß. Etwa:
"Kannst Du mir wohl das Salz reichen?" oder
"Wärst Du wohl so nett, mir das Salz zu geben?"
Das sind ja auch, syntaktisch gesehen, Fragen.
Daher gibt es drei unterschiedliche Formulierungen der Ausgangsfrage
(1) Gibt es Sprachen oder Sprechergemeinschaften in denen eine Bitte um Salz nicht als syntaktische Frage formuliert werden kann?
(2) Gibt es Sprachen oder Sprechergemeinschaften, in denen eine Bitte nicht als illokutionärer Akt in einer Äußerung formuliert werden kann, deren propositionaler Gehalt von der Bitte ähnlich weit entfernt ist wie im Deutschen (z.B. als Frage nach der Fähigkeit, das Salz zu reichen)?
(2 und 3) Gibt es Sprachen oder Sprechergemeinschaften, in denen eine Bitte nicht als illokutionärer Akt in einer Frageformuliert werden kann, deren propositionaler Gehalt von der Bitte ähnlich weit entfernt ist wie im Deutschen (z.B. als Frage nach der Fähigkeit, das Salz zu reichen)?

Ich schätze (ich spreche kein Wort Tschechisch), dass es auch im Tschechischen eine Bitte in Form einer Frage gibt, aber eben in einer Form wie oben angedeutet: "Könnten Sie mir bitte das Salz reichen?". Ist aber reine Spekulation.
*******rse Mann
2.314 Beiträge
Die tschechischen Fans haben bei einer Fußballweltmeisterschaft im Stadion im Chor gesungen. Der Text ist mir entfallen, aber es war von der semantischen Struktur her etwa so:

Wer singt hier nicht in Euphorie?
Die Tschechen sind's nicht

Es geht also um eine spaßige doppelte Verneinung, die in dieser Sprache verankert ist.

Damit will ich sagen, daß mir solche Beispiele lieber sind als die hier gesuchten. Ich habe bei Klaus Gloy in Oldenburg Linguistische Pragmatik studiert und bin bei Diskurstheorie und -ethik aufgegangen. Mich interessiert somit das Spiel mit Beispielen des Sprachgebrauchs und nicht sprachwissenschaftliche Obduktion. Die ist hier ohnehin verdonnert.
Äh, dass eine bestimmte Frage in diesem Thread gestellt war (sc. und dass diese nicht lautete "Was sind Eure linguistischen Lieblingsgebiete?"), das weißt Du auch, gell?
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