TTV: Tarnen, Täuschen und Verpissen
Diesen Spruch und seinen Kürzel habe ich in der Motorradszene mal gelesen (in einem Holger-Aue-Comic, falls das jemand was sagt). Es ist ein altbekanntes Strategem.
Sein ursprünglicher Zweck ist es, den Gegner oder Feind im unklaren über die eigenen Absichten zu lassen, ja ihm gelegentlich Absichten vorzutäuschen, die garnicht vorhanden sind.
Die Lüge ist der Spezialfall der verbalen Täuschung - sie kann selbstverständlich auch nonverbal erfolgen.
Die Jurisprudenz beschäftigt sich sehr professionell mit der Täuschung - und der Lüge. Da gibt es einerseits eine Reihe von Relevanzen z.B. im Zivilrecht, wenn der Verkäufer einer Sache über deren Eigenschaften täuscht (oder lügt) - und im Strafrecht: Betrug, Meineid, Falschaussage vor Gericht, und noch eine ganze Reihe von spezielleren Vorschriften über die Verpflichtung zur Wahrheit, etwa in Prüfungsordnungen, im Steuerrecht und dergleichen mehr.
Dementsprechend gibt es auch kriminologische Untersuchungen zu diesem Thema. Bahnbrechend und heute schon ein Klassiker ist:
Bender/Naack: Tatsachenfeststellung vor Gericht, I: Glaubwürdigkeits- und Beweislehre; II: Vernehmungstechniken
Das Buch ist in jeder rechtswissenschaftlichen Bibliothek erhältlich - aber meistens ausgeliehen
Aber es lohnt sich, es zu erwerben, wenn einen das Thema "Lüge" wirklich interessiert. Vor allem deswegen, weil die unterschiedlichen Arten der Lüge - und wie man ihnen beikommt - dort systematisch aufgedröselt werden.
Interessant ist jedoch der von sundowner in die Diskussion gebrachte Aspekt - juristisch gesprochen: die erlaubte Lüge, die, ebenfalls juristisch gesprochen, entweder entschuldigt ist, oder sogar gerechtfertigt.
Ein schöner Anwendungsfall ist die Lüge als Notwehrhandlung gegenüber einer Frage, die ihrerseits als unzulässig erachtet wird - indiskret ist. Ein geradezu klassisches Beispiel entstammt dem Arbeitsrecht: die Frau als Stellenbewerberin hat das "Notwehrrecht zur Lüge" gegenüber der unerlaubten Frage nach der Schwangerschaft. Würde sie diese Frage nämlich wahrheitsgemäß bejahen, würde kein vernünftiger Arbeitgeber sie in Ansehung der Folgen einstellen - das wird als Diskriminierung gesehen gemäß der gesetzlichen Grundentscheidung, daß der Arbeitgeber für die Folgen eines Unsafe-Ficks seiner Arbeitnehmerinnen ebenfalls teilweise haftbar ist. So erhält in diesem Falle die Lüge die Weihe eines notwendigen Mittels zur Aufrechterhaltung oder Herstellung sozialer Gerechtigkeit.
Doch auch eine aktive, initiative Lüge kann gerechtfertigt sein. So betrügt im Sinne des Strafrechts derjenige nicht, der täuscht, um eine tatsächlich bestehende Forderung durchzusetzen. Interessant, nicht wahr ?
Letztlich beruht die Politik in der real existierenden parlamentarischen Demokratie größtenteils auf Lügen: "Das Volk will betrogen werden!" - Das kann man auch negativ formulieren: Wahrheit ist kein Wert an sich - es stellt sich nicht nur die von Rüdiger Safranski vor einigen Jahren aufgeworfene Frage, wieviel Wahrheit der Mensch braucht, sondern auch diejenige: wieviel davon er ertragen kann.
Dies mal als Versuch eines Umrisses zum komplexen Thema der Lüge vom
Nacktzeiger