@diANaone
mich würde deine persönliche definition zu einer rationalen diskussion interessieren.
wir sind in einem forum der überwiegend laienhaft aus dem gefühl heraus philosophierenden.
was meinst du mit nicht rational- irrational- vernunftsfrei im wortsinn?
Ich will mal versuchen ein bisschen genauer zu sagen, was ich mit rationaler Diskussion meine. Ich weiss natürlich, dass wir uns hier nicht in einem philosophischen Seminar irgendeiner Uni befinden, in dem die meisten wohl schon eine Menge Vorkenntnisse von philosophischen Ideen haben. Aber das soll uns ja nicht davon abhalten, philososophische Ideen und Probleme zu erörtern.
Allerdings meine ich, dass wir nicht, oder jedenfalls nicht bloss, aus dem Gefühl heraus argumentieren sollten. Ganz ohne Gefühle geht es natürlich nie. Und das wäre auch langweilig und sogar unproduktiv. Es sind Gefühle, die uns dazu motivieren, uns in Diskussionen einzulassen.
Ich selbst trete leidenschaftlich, also mit viel Gefühl, für Objektivität ein. Das sehe ich nicht als einen Widerspruch an. Deshalb hat "Philosophie als Lebensform" auch einen ganz konkreten Sinn für mich.
Wenn es darum geht herauszufinden, ob etwas wahr ist oder eine Handlung/ Einstellung moralisch richtig ist, sollten wir allerdings immer versuchen, unsere Gefühle soweit wie möglich herauszulassen. Zumindest sollten wir uns ihrer bewusst sein und ihren möglichen Einfluss auf unser Denken und Handeln mit in Betracht ziehen, bevor wir entscheiden, was wir als wahr oder richtig anerkennen sollen.
Als rationale Diskussion würde ich eine Diskussion bezeichnen, bei der die Teilnehmer versuchen, ihre jeweiligen Meinungen zu einer Sache so zu begründen, dass es für alle anderen Teilnehmer einsichtig ist. Dabei muss jedem Teilnehmer von jedem anderen Teilnehmer die Fähigkeit zugesprochen werden, für sich selbst zu entscheiden, ob er/sie die vorgebrachten Begründungen und Rechtfertigungen für akzeptabel hält.
In einer solchen Diskussion gibt es also kein "was wahr ist für mich braucht ja nicht wahr für dich zu sein". Wenn das so wäre, wäre die ganze Diskussion überflüssig. Wenn man unter dem Motto diskutiert "Soll doch jeder denken, was er will", braucht man gar nicht erst anzufangen. Wir leben nunmal nicht alleine auf dieser Welt und müssen sie gemeinsam gestalten. Wenn jeder nur für wahr hält, was ihm/ihr gerade gefällt geht das nicht. Für mich muss es um
gemeinsame Wahrheitssuche gehen, bei der wir unsere Gefühle und unser Wunschdenken minimieren sollten.
Nehmen wir doch mal die momentane Diskussion um die Bombardierung der von den Taliban gekaperten Tanklastwagen in Afghanistan. Meine Überzeugung ist: da gibt/gab es einen objektiven Tatbestand bzw. Tathergang. Entweder sind wirklich unschuldige Zivilisten dabei umgekommen, oder nicht. Und es gibt auch eine objektiv richtige Zahl (von 0 bis ??), wie viele dabei umgekommen sind.
Wie verlässlich wir den genauen Tatbestand herausfinden können, ist eine andere Frage. Aber es muss versucht werden, die Wahrheit zu erfahren. Und zwar nicht so, damit wir unsere Gefühle, was sich da vielleicht abgespielt hat, bestätigen können, sondern damit wir die objektive Wahrheit erfahren und die Verantwortlichen vor Ort in Zukunft, wenn nötig, in solchen Situationen anders verfahren.
Die bisherige Diskussion in den Medien ist meistens alles andere als rational, und das aus sehr durchsichtigen Gründen.
Ich hab's schon so ähnlich in meiner Replik auf Moritz gesagt: Es gab, und gibt immer noch, Anhänger einiger sogenannter postmoderner Philosophen, die gemeint haben, das ganze Pochen of Objektivität und objektive Wahrheit sei nur ein verkapptes Machtspiel, erfunden von der Bourgeoisie und anderen Unterdrückern. Hier würden unter dem Deckmantel objektiver Wahrheitsbemühungen Machtverhältnisse bewusst verdeckt.
Wahrscheinlich gibt es in der wirklichen Welt tatsächlich keine Debatten (nicht mal rationale), in denen Machtverhältnisse zwischen den Teilnehmern
überhaupt keine Rolle spielen. Zugestanden. Wir sind alle keine Engel.
Aber erstens: Die angebliche Entlarvung der Objektivität durch postmoderne Philosophen beansprucht selbst, objektiv wahr zu sein. Alle anderen werden entlarvt und angeklagt, bloss für sich selbst nehmen diese Philosophen die objektive Wahrheit in Anspruch. Das ist doch sehr verdächtig.
Und zweitens: Wenn wir tatsächlich annehmen, dass alle sogenannte rationale Auseinandersetzung ein verkapptes Machtspiel ist, dann ist die Folge, was Angelsachsen "might is right" nennen. Wahr und objektiv richtig ist dann immer das, was die Mächtigen unter uns als wahr und richtig durchsetzen können. Damit spielt man also denen in die Hände, die alle anderen unterdrücken und ausbeuten wollen.
Die Ablehnung der Idee von objektiver Wahrheit und Richtigkeit ist also nur scheinbar anti-autoritär und tolerant. Weil das aber nicht gesehen wird, finden sie viele so attraktiv. Sie führt aber in ihrer Konsequenz zum genauen Gegenteil.
Ich kann gerne noch mehr zu all dem sagen. Und zwar MIT Leidenschaft und Gefühl. Aber mit Leidenschaft FÜR den Appell an objektive Prüfungen und Rechtfertigungen von Wahrheits- und Richtigkeitsansprüchen. Und in diesen Prüfungen bekommt nicht der recht, der bloss stark genug FÜHLT, dass etwas richtig oder wahr ist, sondern man versucht gemeinsam, mit guten Gründen zu einem Konsens zu kommen.
Und da gehen die Teilnehmer auch nicht nach Hause und denken: Na ja, für mich ist eben das eine richtig und wahr und für die anderen was anderes. Das ist doch prima und schadet keinem. So leicht sollten wir es uns nicht machen. Siehe Afghanistan.
LG, Dieter