zum thema...
Marquis de Sade
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Ein Philosoph? Ein Freiheitskämpfer oder ein verückter?
Ich beschäftige mich zur zeit mit Marquis de Sade und es würde mich interesieren wie andere darüber denken...Ich persönlich finde, dass Sade, ein Freiheitskämpfer seine zeit war,sexuel,politisch, was sagt ihr dazu???????
ich möchte einen gedanken aufgreifen, der mir bisher zu wenig aufmerksamkeit gefunden hat:
de sade als schriftsteller, als künstler.
abgesehen davon, dass mauricedewinter bereits eine qualitätseinschätzung de sade´schen schaffens abgegeben hat, ist die (noch heutige) resonanz seines wirkens, wie man auch an der häufigkeit der beiträge in diesem thread abzulesen vermag, auffallend.
wie kommts?
unabhängig von seinen biographischen daten, von selbst- und zahlreichen fremdeinschätzungen scheint de sade als autor respektive
"erfinder" mehr oder minder fiktionaler sprach-bilder eine projektionsvielfalt anzubieten, die erstaunt.
auch wenn er tatsächlich so manisch oder gar pathologisch beeinflusst gewesen sein soll (was ich garnicht in abrede stelle), schafft sein werk doch dieses nicht kleine wunder, auch heute nicht in vergessenheit geraten zu sein, ergo über die eigentliche PERSON
de sade hinauszuwachsen. wiederum...seine stellung im literarischen olymp möchte ich nicht weiter kommentieren. dennoch...
wie kommts?
meine "kenntniss" seiner arbeiten beruht auf der lektüre von 3en seiner werke:
"justine"
"juliette"
"die 120 tage von sodom"
diese arbeiten haben einen "abdruck" hinterlassen, sind es doch schon ca. 15 jahre her, seit ich sie gelesen habe.
beim lesen der beiträge dieses threads wurde bereits von JohnnyAndJune der aspekt der ASKESE und SYSTEMHAFTIGKEIT im werk de sades angesprochen.
Seine so genannte Exesse waren gedanklich exakt kalkuliert – keine noch so kleine Aktion wurde dem Zufall überlassen – alles war gedanklich vorgeplant …
Die sexuellen Handlungen wurden mit System vorgenommen und keineswegs spontan - und selbst wenn sich Ratten in Mösen geflüchtet hatten, war dies nicht ohne Sinn, sondern - in seinen Phantasien - schlicht folgerichtig.
dieser einschätzung stimme ich vollkommen zu: die fiktionen de sades sind exakt-artifizielle konstrukte, die in ihrer asketischen strenge im kleid absolutistischer (menschlicher??) dekadenz christlich tradiertes tugend- und seinsberechtigungsdenken mehr oder minder grandios spiegeln.
in seinen abgrundtief ekelerregenden szenarien schaut uns das abbild dorain grey´s an...die ANDERE seite...alice´s
horror- land, hier ist ein vorläufer kafka´s "in der strafkolonie" zu finden oder eine vorwegnahme hanekes immer wieder aufgearbeiteter filmideen zum thema SEX UND GEWALT...siehe
funny games, hier schauen einem die bild-figuren eines george grosz oder eines otto dix mit blutbesudelter eindringlichkeit entgegen.
pasolini hat folgerichtig diese demaskierung menschlicher motive auf der grundlage de sade´s in seiner verfilmung :
salo oder die 120 tage von sodom aufgegriffen und die ZEITLOSIGKEIT des themas ver-bildlicht.
bei aller drastik der darstellung, der form, des inhalts.........
machen wir uns nichts vor:
es ist artifizielle fiktion!!
im zeitalter medialer bildüberflutung erscheinen de sade´s weltwahrnehmungs-
modelle blass im vergleich mit der realität:
man erinnere die dokumentationen "human"fratziger TATSACHEN im dunstkreis von diktaturen jeglicher couleur...
ergo: die gegenüberstellung einer "daseinsbewältigungs-strategie" im sinne christlich-asketischer tugend (justine) mit der wahrnehmung (auch zeitbedingter) de sade´scher realität (juliette), einer realität der grenzenlosen ich-haftigkeit und luststeigerung, macht eines deutlich:
beide modelle haben einen absoluten kodex, beide sind "regelhaft-streng"...hier eine leib-askese, lies: leib-verneinung christlicher prävenienz mit dem ziel "reinen geistes" zu sein, dort eine "tugend-askese"...ein "frei-sein-von" derselben zur diesseitsbezogenen lustmaximierung: die "zehn-gegen-gebote".
mich interessiert nicht im geringsten, ob de sade nun biografisch die eine oder die andere präferenz
gelebt hat, sondern der erkenntnisgewinn, das aufklärerische, die entscheidungs-notwendigkeit nach lektüre seiner schriften auf der lebenslangen suche nach antwort auf die frage:
wer bin ich.
antwort de sade´s (wie ich ihn lese):
menschliches streben beinhaltet beides: heilige askese UND asketische bestialität.
so lässt sich auch das phänomen "SM" besser verstehen:
SM ist die reminiszenz an "mr.hyde"...de sade
light sozusagen...
auffallend ist der immer wieder beschworene verhaltenskodex, die vertragsbindung, die regelgebundenheit...die asketische beherrschung...
auch hier: per aspera ad astra (durch strenge zu den sternen)
mit de sade hat das meiner ansicht nach nichts oder nur marginal zu tun:
SM ist "feeding of the beast"...gründlich durchorganisiert, vereinsdeutsch-und stammtischkonform zurechtgekämmt...
bei aller ironie: ich akzeptiere aufrichtig diese "übersetzung" und bitte darum, mich mit überzeugungs- und klarstellungsbeiträgen "praktizierender" SM-anhänger zu verschonen.
ich verstehe die dadurch gewonnenen ich-findungs- und erkenntnisoffenbarungen einzelner menschen.
de sade zeigt uns jedoch keine "spielwiese", er nimmt den zutiefst (allgemein-)menschlichen drang zu mord, pädophilie, inzest, vergewaltigung, lustmaximierung, zur destruktion wahr...lies:
die transzendenz durch blutrausch, die apotheose der scheiße.
wer will ihm im angesicht von auschwitz widersprechen?
zurück zur eingangsfrage:
de sade`s thematik ist zeit-los...sie überdauert. leider.
shadowandlight(m)