Liebe Javinia
In letzter Zeit beschäftigt mich eine Erzählung, die ich als Jugendliche las:
Das Märchen der 672. Nacht, von Hoffmannsthal.
Die Fabel dreht sich um einen persischen Spruch, der da heissen soll: "Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod".
Ein wohlhabender, dem Leben aber entfremdeter junger Mann, in einem geräumigen Haus, umgeben von vier stillen Dienern. Er lebt dahin, nichts passiert, der Erzähler lässt nur die Zeit sich entrollen. Der junge Mann richtet das Haus ein, er schmückt es, er verwendet alle Mühe darauf. Sonst auf nichts.
Die Diener schweigen, er schweigt auch, das Haus saugt alles Leben aus ihnen heraus.
dann, eines Tages, passiert etwas...
Charakteristisch: eine Novelle; meisterhaft geschrieben und ich verschweige hier das Ende.
Doch, Javinia: ich würde mich nicht als Buddhistin beschreiben; aber in einem Punkt bin ich sicher damit konform: dass Leiden aus der Anhaftung an die Materie herrührt.
Wie in der Erzählung beschrieben. Wie ich es selbst erfahren habe.
Dass nämlich wir oft unsern Blick auf das vermeintlich Bleibende, auf das vermeintlich Dingliche fokussieren. Dass wir bauen auf Haben und Behalten, nicht auf Wahrnehmen und Ziehenlassen.
Dass wir unsere Leben und unsere Beziehungen häufig in der prospektiven Form konjugieren; in der irren Logik des Wenn-Dann.
Dass wir wirklich an Dingen haften, an Objekten, an Leibern, an Häusern, an Büchern, an Küchentöpfen. Ärzte, Priester und Rechtsanwälte wissen das.
Wenn diese "Dinge" sterben, sich verleben, verlöschen..., wenn wir erkennen, wie wenig wir haben können, wie wenig Zeit zum Sein wir haben, wie wenig wir sind: dann bebt mitunter so´ne Ahnung in uns, wir könnten das Essentielle ausgeblendet haben.
Glücklich die, die noch rechtzeitig erwachen (ja, ich schrieb "erwachen"...
), um noch ein paar Atemzüge lang nicht auf Morgen zu bauen, sondern auf Heute und Jetzt.
Und die verdammten Dinge Ding sein lassen und sich umdrehen und in die Augen des nächstbesten Menschen sehen, und sehen: da ist ein Mensch. Und das bin ich. Und das ist mein Leben. Jetzt. Und sonst nie.
Meine besten Grüße aus der Zwischenzeit...