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Wenn ich freiwillig etwas annehme, muss bei mir eine Wellenlänge, eine Entsprechung in mir vorhanden sein.
Sicherlich handelt man bei der Auswahl der Lehrer irgendwo nach dem Bauchgefühl. Und die Erfahrung beim Lesen ist erheblich intensiver, wenn die Chemie zum Autor stimmt. Ich erlaube mir hierauf dennoch zwei Einwände:
Zum einen halte ich es für eine Hybris zu glauben, daß wir da in unseren Entscheidungen wirklich frei wären. Irgendwelche Impulse haben Dich in früheren Jahren in Richtung Mystik getrieben und Du hast Dich da wohler gefühlt als anderswo und das dann ausgebaut. Das ist völlig legitim. Aber die initialen Kräfte waren nicht Deine Entscheidung, das war sowas wie Schicksal.
Zum anderen habe ich die Erfahrung gemacht, daß es manchmal gut tut, sich bei der Auswahl der Lektüre nicht nur am Lust- und Spaß- und Chemie-Prinzip zu orientieren. So wie googles Mitarbeiter Anweisung haben, 10% ihrer Arbeitszeit dem reinen "Spielen" zu widmen, so würde ich am anderen Ende jedem anraten, 10% seiner Lesezeit Büchern zu widmen, die man zunächst als anstrengend empfindet. Mitunter erschließt sich nach einem holperigen Einstieg oft eine völlig neue Welt des Denkens und man erlangt durch die erweiterte Vielfalt einen ganz neuen Grad der Freiheit im Selbst-Denken. Meine intensivste Erfahrung dieser Art hatte ich bei Kant.
Wenn ich ab und zu so ein "anstrengendes" Buch zur Hand nehme, durchbreche ich das reine Stimulus-Response-Schema des Lustprinzips. Erst hierdurch werde ich Mensch.
Daher möchte ich mein Bewusstsein von Ihnen nicht verändern lassen wenn Sie auch noch so geschliffene Denker waren.
Sobald das eigene Bewußtsein eine gewisse Schwerkraft erreicht hat, kann man das recht gelassen sehen. Allein bei Nietzsche habe ich da in der Tat noch so einige Probleme:
Er schreibt irgendwo : "Philosophie ist Gedankendichtung". Und ich lese das immer im Sinne von Ver-Dichtung. Seine Sätze sind unglaublich intensiv, so wie Poesie ja auch; verdichtet wie schwarze Löcher, von genau solcher Wirkmächtigkeit und Durchschlagskraft. Aber weil sie fast immer Themen wie Vernunft oder Moral zum Kern haben, sprechen sie natürlich ganz andere Sphären des Gehirns an, als gefühlige Lyrik.
Ich konnte Nietzsche bisher nie "systematisch" lesen. Fast immer liegt eines seiner Bücher neben meinem Bett und ab und zu lese ich ein paar Seiten. Aber ich werde nach allerkürzester Zeit so müde, daß mir die Augen zufallen. Ganz anders als bei anderen Autoren, "trotz redlichem Bemühn". Es ist, als würde er mich hypnotisieren und seine eigentliche Wirkung erst anschließend im Traum entfalten.
Ich muß da immer an den Sketch mit dem tödlichen Witz von Monty Python denken: so als ob jeder, der zu viel am Stück von ihm liest, und das auch noch leidlich versteht, ihm zwangsläufig in die Umnachtung folgen wird.