Es ist aber der Versuch, die eigene Authentizität zurückzugewinnen, der zählt. Bei Ihrem Verlust spielt die Konditionierung eine ebensowichtige Rolle wie die allgemeine Lüge und Verlogenheit der Welt. Und auch viele andre Dinge wie z.B. die Angst..
Das mit der Lüge halte ich für einen zentralen Punkt. Er mag nämlich den inszenatorischen Charakter teilen in Leiten und bewusstes Fehlleiten. Kommunikation ist (unter anderem) Senden von Zeichen an einen Partner, um ihn zu einem Inhalt, dem Gemeinten, zu leiten (bzw. fehlzuleiten) und damit per se eine Inszenierung, weil ich einen Gedanken, ein Gefühl äußere, also aus mir herausbringe, indem ich Zeichen benutze, die mit dem Gemeinten nichts zu tun haben, es aber durch eine gemeinschaftliche Übereinkunft tragen können. „Können“ deshalb, weil es kontingenterweise so, aber auch anders herausgetragen und darüberhinaus noch so, aber auch anders angenommen werden kann. Es besteht also die Notwendigkeit, auch die authentischste Äußerung, und gewissermaßen gerade sie, zu inszenieren, um eine möglichst originalgetreue Übersetzung zu bewerkstelligen. Das gilt zunächst und zumindest für den textbasierten Austausch unter Fremden.
Man spricht zwar davon, daß jemand so spreche, wie ihm der Schnabel gewachsen sei, und jeder denkt: Ah, das ist aber echt authentisch! Das mag auch der Fall sein. Doch kann einerseits dem Schnabel ziemlich unauthentisches Zeugs entfleuchen, und zum anderen kann eine bedächtig und gewählt gemachte Äußerung ziemlich authentisch sein.
Zum Begriff der Authentizität
Wie auch immer: Die Art und Weise der Kommunikation ist in meinem Verständnis immer authentisch. Deshalb halte ich diesen Begriff für unbrauchbar; er unterscheidet für mich nichts. Es sei denn, es handelte sich um verlässliche Originalität, beispielsweise die Autorenschaft. Das mag jetzt ein bisschen umständlich sein, aber ich habe mich daran gewöhnt, Authentizität als das zu verstehen, was mir entgegengebracht wird. Denn eines ist bei näherem Hinsehen ohnehin äußerst umständlich: das verlässliche Scheiden des Authentischen vom vermeintlich Echten oder Gefälschten. In den einzelnen Bereichen, in denen man von Authentiztität sprechen will, gibt es extra ausgearbeitete Techniken, mit denen dieser Begriff einigermaßen handhabbar gemacht wird. Denn es geht immer um das „Ver-Meinen“, das Vermeintliche, also eine typisch menschliche Sache, die in solchen Zusammenhängen wie unserem, wo wir versuchen, die „Verhandelbarkeit“ von „Liebe“ zu beschreiben, regelmäßig zu Unschärfen führt. Werden die Unschärfen durch Begriffsabgrenzung immer weiter verringert, entwischt irgendwie das Thema. Und der Spaß.
Wenn mir einer was vormachen will, dann ist er eben so. Das Geflunker gehört zu ihm, ob er nun selbst daran glaubt oder nicht. Was hinter Profilen und geposteten Texten „wirklich“ steckt, ist nach einiger Zeit, also mit mit zunehmender „Vertrautheit“ mit dem Autor immer besser wahrzunehmen. Dabei bin ich der Wahrnehmende und der Autor der Wahrgebende, und das, was für sich mich letztlich als „wahr“ herausbildet, ist ein Bild, an dem beide gemalt haben. Wir haben also beide vor dem jeweils eigenen, hyperkomplexen Hintergrund interpretiert. Dieser Hintergrund und das aus ihm hervorgehende Verhalten ist immer „authentisch“. Das aus dem Kommunkationsgeschehen konstruierte Bild vom anderen ist es auch, da man aufgrund der „Autorenschaft“ der Konstrukteure von Originalität sprechen muss. Die tatsächliche Zutreffendheit, also die „Wahrheit“ dieses Konstrukts, ist eine eigentlich unsinnige Frage, da es unter den Beteiligten nur um die Plausibilität gehen kann. In diesem Sinne haben „Beliebtheit“, „besser sein“, „Simulation“ und Ähnliches als Ergebnisse von Interpretationen innerhalb eines singulären Kommunkationsgeschehens die Geltung von „Wahrheit“. Es muss sich also mit zunehmender Vertrautheit herausstellen, daß es keine nennenswerten Widersprüche gibt, wenn es zu so etwas kommen soll wie Verlässlichkeit. Und das geht nur, wenn die Sendungen meines Gegenübers durchgängig kohärent sind. Das kann daran liegen, daß er sich so gibt, wie er ist. Es liegt vielleicht auch daran, daß ich seine Äußerungen im Zweifel selbst geradebiege.