lesetips
Hallo lieber Unbekannter!
Du bist der Erste, dem ich "hier", an diesem philosophischen Ort schreibe. Ich habe mich nicht einmal der Gruppe vorgestellt. (Das aber auch, weil ich irgendwie zu blöd dazu bin, den richtigen Weg dafür zu finden, ich meine rein technisch. Erklärst du mirs?)
Wie dem auch sei. Ich finde das Thema sehr interessant.
Als akademischer Philosoph fühle ich mich manchmal ein bischen "behindert", weil ich immer sofort an klassische Autoren denke, auf diese verweisen möchte, was es schwer macht, zur Sache zu sprechen. Andererseits ist die Philosophie natürlich auch ein Art Gespräch mit den großen Geistern der Geschichte. Das heißt mit Toten. Mit Texten.
Für mich ist der bedeutendste Philosoph, der zu unserem Thema Promiskuität geschrieben hat, Michel Foucault.
Er ist in der Geschichte der französischen Philosophen zusammen mit Sartre der weltweit bekannteste. Ich finde sein Buch "Sexualität und Wahrheit", hier allerdings vor Allem den ersten Band, unverzichtbar, für unser Thema.
Ich würde mich freuen, jemanden zu finden, der in diese Richtung ein Stückchen mitgehen würde. Diskutierend.
Foucault ist übrigens an AIDS gestorben, war homosexuell, und selbst sexuell weit neben der Normalität in seinen privaten Praktiken. Er ist darüber hinaus bis heute einer der bedeutendsten - und kritsichen (!) Theoretiker hinsichtlich der Frage: Wie etablieren Gesellschaften einen Bereich von Normalität und wie organisieren sie die Grenze zum Nichtnormalen, die Ausgrenzung. Er hat als Erster darauf aufmerksam gemacht, und zwar philosophisch, dass moderne Gesellschaften neue Formen von Grenzziehung ins Werk setzen. Und dass sie auch neue Formen von Beherrschung multipler Lüste erschaffen. Er war gegen die "Gesänge vom guten Orgasmus" (seine Polemik), überhaupt gegen eine scientia sexualis (Wissenschaft des Sexuellen), die sich aufspielt, als helfe sie den Menschen bei ihrer Befreiung, die sie aber, so sah er es, nur um so effektiver einer Macht unterwirft, einer spezifisch modernen Macht. (Sind Swingerclubs eine Befreiung? Oder eine Kommerzialisierung dessen, was wir früher noch viel "wilder" gemacht haben? Bedeutet, promisk zu sein etwas Anderes in Swingerclubs als in politisierten Kommunen, oder in den damaligen "alternativen" Selbsterfahrungsgruppen, in denen ich erstmals promiskere Verhaltensweisen kennengelernt habe?) Foucault setzte gegen jede scientia sexualis eine ars erotica.
Ich deute das hier nur an.
Die Geschichte der Promiskuität ist ambivalent. Nicht in allen Phasen der Geschichte war sie befreiend. In manchen allerdings schon. Ich persönlich erinnere mich besonders gerne an die späten siebziger Jahre, meine Jugend. Auch die Nazis haben Promiskuität propagiert. Zu Zuchtzwecken. Darin lag das, was Historiker "reactioniary modernism", "reaktionäre Modernität" nennen. So erklärt sich auch, warum ein Kulturrrevolutionär wie Rudi Dutschke gegen die Promiskuität auf Treue gesetzt hat. Er meinte, das ermögliche zwei Partner den Kampf gegen das kapitalistische System. Sie seien, treu, gewissermaßen eine kleine "rote Zelle" gegen das Kapitalinteresse. Klingt heute merkwürdig, könnte aber mit bedacht werden. Promiskuität als Verfügbarkeit paßt natürlich bestens zum Kapitalismus.
Ich glaube, seit den siebziger Jahren gab es einen enormen sexualpolitischen roll-back. Insbesondere die Krankheit AIDS wurde von konservativen Kräften ausgenutzt dafür.
So!
Wen interessiert, was ich schreibe. Ich bin neugierig.
Mit herzlichen Grüßen
Wunschwucher
P.S. Wunsch heißt auf französisch "desire". Sucht mal im Netz nach "Wunschmaschinen". Oder französisch machines des desires, englisch desiring machines. Alles Metaphern natürlich. In der Tradition der französischen 68er Philosophie, Foucault, Deleuze, Guattari.
Ich will keinen einschüchtern mit name dropping. Ich bin halt so. Vielleicht zu akademisch. Aber das könnte Ihr / das kannst du mir ja sagen.