@Ralf
Ich will noch einmal das Augenmerk auf die Entwicklung der einzelnen Menschen legen:
Ich selber habe ja nunmal in jungen Jahren bereits Philosophie studiert und fand diese weisen Äußerungen auch richtig gut und wollte damit die Welt bekehren.
Später habe ich mir aber selbstkritisch eingestanden, daß ich damals nur deshalb wollte, dass die Reichen und Mächtigen Reichtum und Macht (an mich) abgeben sollen, weil ich fand, dass die Macht bei mir besser aufgehoben gewesen wäre, und Geld konnte ich eh immer gut gebrauchen.
Das klang dann sehr menschenlieb, war aber im Kern zutiefst egoistisch.
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Später habe ich dann trotz dieses schrulligen Studiengangs tatsächlich nicht schlecht verdient und hatte auch beruflich gewisse Weisungsbefugnisse. Macht ist zunächst einmal ein geiles Gefühl; wer diese Versuchung nicht kennt, und sich dies nicht selbstkritisch eingestehen kann, den kann ich als Diskussionspartner nur bedingt ernst nehmen. (Was nicht heißt, dass ich Dir das unterstelle)
Vor allem habe ich drei Kinder zu ernähren, und es ist ganz einfach so, dass "der hortende Charakter des 19. Jahrhunderts" - wie Erich Fromm das nennt - schnell grenzenlos ausufert, wenn Du bestrebt bist, Dir selbst über Deine Nachkommen ein kleines Stück Unsterblichkeit zu verschaffen. Die Versorgung Deines genetischen Materials ist ja über das Erbrecht leidlich gesichert, der Vermögensaufbau ist also nach oben hin offen.
Hier sind Sexual- und Brutpflege-Instinkte am Werk, die weitaus mächtiger sind, als alle cognitiven, philosophischen Erkenntnisse der Weltgeschichte.
die Reichen müssen von sich selbst aus zu der Erkenntnis gelangen, dass sie einen Teil ihres Vermögens dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellen.
Ich glaue mittlerweile, viele von uns wären besser dran, wenn sie sich erstmal um ihren eigenen Kram kümmern, als um das Seelenheil vermögender Menschen.
Von einigen Erben großer Vermögen abgesehen, ist es nämlich so, dass Reiche vor allem deshalb reich sind, weil sie ganz gut mit Geld umgehen können und also instinktiv das tun, was das Schicksal zur ihnen gegebenen Zeit von ihnen fordert.
Im Gegensatz zu vielen Armen gibt es nur wenige Reiche, die willkürlich ihre Hirnsubstanz zusammen mit Schnaps und anderen Drogen verdampfen: die meisten grossen Vermögen sind irgendwo am Aktienmarkt angelegt, und zwar vernünftig angelegt, so dass sie als Wirksubstanz im produktiven Sektor allein hierdurch schon Gutes tun (z.B. Arbeitsplätze schaffen).
(Jedenfalls war das bis vor wenigen Jahren so: Derzeit verliert der Kapitalismus gerade seine Daseinsberechtigung, weil viele grosse Vermögen nicht mehr in produktive Anlageformen fließen, sondern in rein spekulative. Aber das ist ein ganz eigenes Phänomen und hat nur noch wenig mit der Achse Geld vs Zufriedenheit zu tun.)
In den vergangenen Jahren habe ich gelernt, einen gewissen Pseudo-Egoismus zu rechtertigen. Aber die Triebfeder dafür war die Versorgung meiner Kinder, was im Kern altruistisch ist.
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Derzeit befinde ich mich wiederum in einer Umbruchphase.
Da Basel III mir gerade meine Altersvorsorge zerlegt (es wird für meine kleine Firma nie einen Käufer geben, da ein solcher Käufer keinen Kredit bekommen wird), und wir natürlich alle unsere ganz persönliche Tunnelrealität zur allgemeinen Weltweisheit erheben, gehe ich derzeit davon aus, dass der Kapitalismus in Bälde ziemlich abkackt, mit verheereneden Konsequenzen für sehr viele Menschen.
Ein Stück weit finde ich deshalb gerade auf einer qualitativ neuen Ebene zu den alten Weiheiten wieder zurück. Aber die Art und weise, wie ich jetzt das "nunc stans" oder das "Pantha rhei" oder das "Gnothi seauton" lese, ist eine ganz andere als mit 20.
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Du bist einige Jahre älter als ich; und ich gehe davon aus, dass Du eine ähnliche Entwicklung durchgemacht hast.
Glaubst du, dass die Weiterverbreitung der Weisheiten der Weltgeschichte für sich genommen eine gute Tat ist?
Siehts Du nicht die Möglichkeit, dass der Empfänger dieser Nachrichten sie missverstehen könnte? Das muss ja gar nicht in dieser extremen Form geschehen, wie Hitler Nietzsche missverstanden hat:
z.B.: Wenn ein 20-jähriger seine Ausbildung abbricht, weil er Fromm oder Epikur falsch gelesen hat (oder noch schlimmer: Wenn er sie gar nicht selber gelesen hat, sondern über ein Zitat von Dir in den Foren hier stolpert..)...?