Nun denn, Ostwest, ich fange noch einmal hier an:
Was auf dem Zettel zu sehen ist, ist keine Sprachhandlung, da nicht zu erkennen ist, wer sie vollzogen hat, wann sie gemacht wurde, und auf welche Realität sie sich bezieht.
Eben, hier fehlen dir konkret die Rahmenbedingungen, die Relationen zur Beurteilung von Wahrheit. Nur ein gesetzter Rahmen lässt die Aussagen wahr oder falsch erscheinen. Die kritische Relation ist hier der Zeitfaktor.
Das Zitat widerspricht meines Erachtens ganz eindeutig deinen früheren Aussagen, dass wir Ideen nicht durch Denken hervorbringen, sondern dass sie einfach so über uns kommen. Das soll dann auch Willensfreiheit widerlegen.
Da ging es um die Protonen, nicht wahr?
Der Konflikt, den die Protonen mit sich bringen, liegt in der Sache selbst. Ich habe zwei Sätze:
• Gleiche Ladungen stoßen sich ab
• Im Atomkern gibt es nur positive (und neutrale) Ladung
Ich denke, dass kann nicht sein. Hinter dem Gedanken steht kein willentlicher Denkprozess, sondern spontanes Stutzen. Die Sätze scheinen sich zu widersprechen und mir kommt die Idee, dass es eine weitere Kraft braucht.
So, der letzte Schritt ist der spannende. Unsere Sprache sagt, die Idee kommt, fällt mir ein oder: ich wusste sofort, mir war direkt klar...
Ich glaube, die Sprache ist da sehr genau: Es heißt nicht, ich stellte die Idee her oder machte den Gedanken, und wenn ich mich genau beobachte, stelle ich fest, dass ich eben diese Einfälle nicht steuern kann, nicht willentlich herstelle. In gewissem Sinne kann ich nicht anders.
Beobachte dich, wenn du schreibst, beobachte genau, wie du zu einem 'Einfall' kommst. Ich bin sicher, dass du den kreativen Moment nicht wirklich erleben und beschreiben kannst. Die Idee ist schon da. Natürlich überprüfst du sie direkt und sortierst solche Einfälle aus, die anderen Erkenntnissen widersprechen. Und man hat natürlich viele Assoziationen, die man wieder verwirft. Das ist aber nur ein Prüfen, eine Nachbearbeitung der Einfälle und nicht der Einfall selbst. Gute Einfälle sind genial, Assoziationen, die im Gehirn ablaufen und erst Sekunden später an die Oberfläche des Bewusstseins dringen.
Ich könnte keine Musik machen, wenn ich einen Ton beim Improvisieren erst denken müsste. Dazu ist keine Zeit. Es sind für mein Bewusstsein automatisch ablaufende Prozesse, die ich nicht steuern kann.
Ich bin übrigens sehr dafür, unser juristisches System zu ändern. Seit meiner Jugend mache ich mir viele Gedanken über Schuld. Ein Richter, der mittels einer Matrix die Frage nach von Schuld zu klären hat, möchte ich nicht sein. Verstehen wir alle, wirklich alle zur Tat führenden Bedingungen, wird Schuld nicht mehr nachzuweisen sein. Natürlich muss sich die Gesellschaft vor Halunken schützen, doch suchen wir die 'Fehler' meist an der falschen Stelle.
So, nu geht es ein wenig hin und her, weil ich deine Postings nach und nach abarbeite, Pardon.
Die Rahmenbedingungen sind für mich die Wirklichkeit, also der Kosmos, in dem wir alle leben, und der für alle derselbe ist.
Dass im All andere Rahmenbedingungen herrschen, wurde schon geschrieben. Auf Erden aber herrschen auch Rahmenbedingungen, die zu verschiedenen Wahrheiten führen. Banal, aber der Satz: 'Die meisten Menschen haben Schlitzaugen' ist weltweit Unsinn, gilt aber in Japan. Gleich geladene Teilchen stoßen sich ab, im Atomkern aber nicht. Anderer Rahmen, andere Wahrheiten.
Nun kannst du einwenden, solche wahren Sätze sind nicht universell wahr, also können sie nicht aufgestellt werden. Dann komme ich aber schlecht weiter: 'Wenn du rechts rum fährst, kommst du zum Bäcker'. Wenn ich die Auskunft nicht als wahr einschätzen dürfte, bekäme ich kein Frühstück. So banal das ist, geht es aber in 99% der Fälle um solche Binsenweisheiten, die nur in kleinstem Rahmen gelten.
Um wahre Aussagen machen zu können, muss ich, wie bei einem Mikroskop die Schärfe, meine Bedingungen genau einstellen. Zum Erkennen der Klimaentwicklung brauche ich weltweite Daten, während ich bei quantenmechanischen Versuchen besser das Fenster zu mache.
Wo ich gerade dabei bin. Letztere ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und in Bezug auf wahre Aussagen faszinierend:
Ich bekam neulich Post aus der Schweiz mit einem kleinen Foto von mir am Steuer des Bandbusses. Klar, 'ne Knolle wegen Überschreitung der zugelassenen Geschwindigkeit.
Das Foto war recht scharf und ich dachte mir, zu welchem Zeitpunkt das wohl fotografiert worden ist. Ah, stand ja da: 17:45:34. Daneben die Geschwindigkeit zu diesem Augenblick: 134 km/h.
Wie aber konnte der Blitzer die Geschwindigkeit exakt zu dieser Uhrzeit erkennen? Gar nicht, dachte ich. Auf dem Foto ist der Ort des Fahrzeugs zu sehen, aber nicht seine Geschwindigkeit. Um letztere festzustellen, braucht es mindestens zwei Messungen zu verschiedenen Zeiten. Zu verschiedenen Zeiten befindet sich das Fahrzeug aber an zwei verschiedenen Orten. Ich habe aber nur ein Foto!? Ein Dilemma.
Nicht für mich, sondern die Schweizer Polizei: Sie muss mir nun erklären, wie ich an einem bestimmten Ort eine bestimmte Geschwindigkeit haben kann.
Bin gespannt, was sie antworten wird.
Das war eine Analogie auf ein Phänomen den die Heisenbergsche Unschärferelation mit bringt. Hier scheinen sich zwei 'Wahrheiten' im Wege zu stehen: es ist nicht möglich, gleichzeitig Impuls und Ort eines Elektrons zu erfassen. Die These kommt aber noch zu einem viel gravierenderen Problem daher: In diesen Größenordnungen verändert alleine das Messen der Position des Teilchens dessen Impuls! Mit dem Versuch, eine Aussage über das Ding zu machen, verändere ich es.
Gut, bei einem Elektron wird keiner so genau hin schauen und es fällt nicht jedem gleich auf. Unter erkenntnistheoretischen Aspekten ist der Vorgang aber eine Sensation. Die exakte moderne Wissenschaft bestätigt hier in Analogie das Problem der Rekursivität in der Philosophie: Ich kann nicht gleichzeitig die wahre Welt denken und eben diesen Gedanken ausklammern, verändert er doch die Welt gerade. Und nebenbei: alleine in der Zeit, die der Gedanke benötigt, hat sich die Welt schon geändert.
So, nu fahr ich mal zum Bäcker, will frühstücken.