@diaNaone
Das ist eine gute Frage.
Kann man wirklich Erkenntnis erlangen ohne zu wissen? Das hängt davon ab, wie man Erkenntnis definiert. Versteht man unter Erkenntnis die Erlangung von Wissen durch wiederholte Wahrnehmung, ist Erkenntnis ohne Wissen nicht möglich, weil in dem Moment der Erkenntnisgewinnung erlangt man gleichzeitig Wissen.
Definiert man Erkenntnis etwas weitgefasster – einen Gegenstand oder Sachverhalt aufgrund wiederholter Wahrnehmung oder Tun als bestehend anzusehen – setzt Erkenntnis kein Wissen voraus. Hypothetisches Beispiel: Ein Mensch spürt zum allerersten Mal die Wärme der Sonnenstrahlen. Vorher hat er einsam ohne Kontakt zur Außenwelt in einer eiskalten Höhle ohne Wärmequelle gelebt (Blödes Beispiel, ich weiß). Er spürt die Wärme, obwohl er nicht weiß, was Wärme ist. Hat er ja nie zuvor erlebt. Ebenso wenig weiß er, was die Sonne ist, weil Sonne und Wärme hat er in seiner eiskalten Höhle nie zuvor kennengelernt, und da er auch von der Außenwelt abgeschnitten war, konnte ihm niemand erklären, was Sonne und Wärme sind. Geschieht ihm das öfter, sieht er als gegeben an (Erkenntnis), dass die Sonnenstrahlen ein bestimmtes Gefühl (Wärme) vermitteln, obwohl er nicht weiß, was Wärme ist.
Insofern gebe ich Dir schon recht, dass Erkenntnis auch ohne Wissen möglich ist.
Zum verlinkten Artikel:
Äußerst interessanter, aber zugegebener Maßen sehr komplizierter Artikel – jedenfalls für meinen mittelmäßigen Verstand. Die Frage ist demnach, was ist Wissen? Da müsste man beim Ursprung der Diskussion anfangen: Nach Platon ist Wissen gerechtfertigte wahre Überzeugung . Um wissen zu können, muss man zunächst einmal eine Meinung haben. Um ein einfaches, auch bei Wikipedia nachzulesendes Beispiel zu nennen: „Ich weiß, dass es regnet, bin aber nicht der Meinung, dass es regnet.“ Man kann nicht wissen, dass es regnet, wenn man nicht auch der Meinung ist. Meinung bzw. Überzeugung allein reicht jedoch nicht, weil Überzeugungen auch falsch sein können. Die Überzeugung/Meinung muss demnach auch wahr sein. So kann man bspw. eine wahre Meinung über die Lottozahlen haben (wenn man richtig getippt hat), aber nicht im Voraus wissen, dass diese Zahlen auch tatsächlich gezogen werden. Deswegen die zweite Bedingung: Rechtfertigung. Die wahre Überzeugung muss auch gerechtfertigt sein. Nur dann handelt es sich um Wissen.
Aber bereits Platon war mit seinem Wissensbegriff nicht zufrieden.
Aristoteles hat übrigens darauf verzichtet, den Begriff Wissen übergreifend zu definieren. Seiner Auffassung nach gibt es nur verschiedene Stufen des Wissens (Wahrnehmung, Erinnerung, Erfahrung, Kunst, Weisheit), die sich jedoch methodisch nicht aufeinander redzuieren lassen.
Zurück zum Artikel. Nun hat Edmund Gettier mit seinem Smith-Jones-10-Münzen-Beispiel gezeigt, dass auch eine gerechtfertigte, wahre Überzeugung nicht zwangsläufig Wissen ist und damit kontroverse Diskussionen ausgelöst, aus denen viele neue Ansätze zur Erklärung des Wissensbegriffes entstanden sind. Ich zitierte aus dem verlinkten Artikel: „Smith hat gute Gründe dafür, zu glauben, dass Jones eine bestimmte Stelle bekommen wird und dass er zehn Münzen in der Tasche hat. Smith schließt daraus, dass derjenige, der die Stelle bekommen wird, zehn Münzen in der Tasche hat. Tatsächlich wird aber er selbst, Smith, die Stelle bekommen, und zufälligerweise hat auch er zehn Münzen in der Tasche (was er jedoch nicht weiß), so dass tatsächlich derjenige, der die Stelle bekommen wird, zehn Münzen in der Tasche hat. Smith hat somit eine wahre, gerechtfertigte Überzeugung, und dennoch würden wir ihm kein Wissen zuschreiben.“
Damit hat er 1963 gezeigt, dass der klassische Wissensbegriff nach Platon prinzipiell nicht haltbar ist (haben aber andere vor ihm auch schon getan).
Es stellt sich nun die Frage, was nun „echtes“ Wissen von gerechtfertigten wahren Überzeugungen unterscheidet. Um jetzt jeder einzelne Theorie darzulegen bzw. zu widerlegen, sprengt den Rahmen eines einzigen Beitrages. Keine der in dem genannten Artikel aufgeführten Wissenstheorien vermag aber die Frage, was Wissen letztlich ist, zufriedenstellend zu beantworten.
Weil das so ist, gibt es auch Ansätze, die auf eine „eindeutige“ Definition des Begriffes „Wissen“ verzichten und Wissen als komplexen Begriff auffassen, der durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet ist. So z.B. nach Niels Gottschalk-Mazouz (Uni Bayreuth bzw. Stuttgart). Nach seiner Auffassung sind unter Wissen auch Wissen als Können (man weiß, wie man etwas tut), Wissen als Kennen (man weiß eine Antwort) und ferner objektive Verwendungsmöglichkeiten des Wissens (ein Buch oder Lexikon enthält auch Wissen) zu verstehen. Es handelt sich also um einen offenen Wissensbegriff.
Das wäre aber in einem eigenen Thema wahrscheinlich besser untergebracht.