zu calms Wecker
fiel mir Kunze ein.
Heinz Rudolf Kunze, 1984
Ich bin gegen den Frieden
Ich bin gegen den Frieden.
Ich bin für ungebremste Aufrüstung, nuklearen Showdown
und die vollständige Vernichtung der zivilisierten Welt.
Ich bin für Sperrgebiete und Strahlentod,
Überwachungsstaat und das Vierte Reich.
An No Future war schon was dran,
aber lassen wir endlich das Fremdeln, sprechen wir deutsch,
sagen wir: Keine Zukunft.
Ich bin gegen den Frieden.
So.
Vielleicht regt wenigstens das noch einen auf.
Für den Frieden sind ja alle,
oder zumindest so viele, daß einige darunter sind,
mit denen ich ums Verrecken nicht einer Meinung sein kann.
O diese Entrüsteten!
Ich habe sie feilschen gesehen, im Halbdunkel hinter Festivalbühnen,
bis an die Zähne vergoldet,
ich habe sie schleimen gehört in den Redaktionsstuben der Funkhäuser,
wir alten Jusos müssen zusammenhalten,
wir rollen die Sahnetorte von innen auf!
Niemandem glaube ich mehr, der mir vom Langen Marsch erzählt.
Ein kurzer Tango auf dem Tennisplatz, dreimal gegen den
Redakteur verloren, schon hast du deine kritischen Jungs
in der Sendung. Ich habe sie gerochen, die Friedensgewinnler,
ihre Boutiquen-Duftspur vom Benz bis zur Bühne,
Ringe an den Fingern wie babylonische Potentaten,
wenn sie am Mikrophon das Maul aufreißen
meint man, gleich flögen gebratene weiße Tauben hinein.
Und alle haben sie Angst, unendliche Angst,
Angst in Alexandrinern und Angst in freien Versen,
Angst im Scheinwerferlicht und Angst vor allem davor,
mit der zweiten Antikriegs-LP der ersten in den Rücken zu fallen,
denn die geht Gold, die geht garantiert Gold, und dann
schüttelt man auch schon mal Heino die Hand, lächelnd,
hallo Kollege,
du in Windhuk vor den Siedlern, ich in Brokdorf vor den Sudlern,
wir alten Künstler müssen zusammenhalten,
wir wollen die Sahnetorte von ... und so weiter.
Die erste LP total unabhängig überparteilich,
eigene Firma, eigener Vertrieb, gewissermaßen romantischer
Frühkapitalismus, Robert Owen, hahaha, die zweite wird dann aber
doch, nach gründlicher Prüfung aller Umstände ("Du, ich habe
gewaltig mit mir gekämpft!"), Meditation bei Minimal-Musik und
wochenlangem Cognacschwenken vor der Ostberliner Lenin-
Gesamtausgabe bei den Giganten gemacht. Man kommt ins Büro, sagt
"30-15-6", die Sekretärin fragt: Ist das Ihre Telefonnummer? Nein,
lächelt man, das sind die Platzierungen meiner Jungs in den Charts und
ich bin der Historische Kompromiß.
Gehen wir nämlich einmal unsere Kinderstube durch,
dann sind wir genau betrachtet doch öfter mit Bogie's Kippen auf den
Lippen entschlafen als mit Rosa im Kanal ersoffen,
Che war der am schlechtesten angezogene Mann Amerikas und der
weiße Leib Marilyns die Langstreckenrakete schlechthin,
die unsere Köpfe gesprengt und den Krieg längst entschieden hat.
Irgendwie kommt die Sprache nicht mehr ganz mit:
solche Texte, und dann noch deutsch, hätte man vor zehn Jahren
"kommerzieller Selbstmord" genannt. Heute heißt es genauso,
gemeint ist damit allerdings, daß das breite Publikum Blut sehen will,
Hilferufe hören, sich in Strahlen aalen.
How to get caught by capitalisnm in two easy lessons:
Erstens – wer lautstark behauptet, dagegen zu sein, wird reich.
Zweitens – wer wiederum dieses kritisiert, macht die Mode von morgen.
Ich bin gegen den Frieden.
Morgen nennen sie sich Schutz-Staffel
und sprechen mir das nach.
Morgen werde ich wieder für den Frieden sein.