@pue
Danke für deine ausführliche und für mich sehr lesenswerte Antwort.
Alles, was du über das Improvisieren schreibst, kann ich gut nachvollziehen. Ich habe nämlich als ich noch jünger war viele Jahre in diversen Jazzbands Posaune gespielt (und auch ein paar Stücke geschrieben und arrangiert).
Was beim Schreiben von Texten in meinem Kopf vorgeht, ist allerdings schon ganz anders als beim Musikmachen. Zumindest bei Texten, in denen ich mir sehr genau meine Argumente überlegen muss. Aber das mal beiseite.
Wahrscheinlich wird die Schwerkraft auch heute wieder da sein. Bewiesen ist sie nicht.
Da würde ich gern folgende Anmerkungen machen. Man muss hier wohl zwischen zwei Arten von Wahrscheinlichkeit unterscheiden. Wenn man zugibt, dass es in der Mikrophysik (z.B. der Quantentheorie) irreduzibel probabilistische Theorien gibt, dann lassen sich bestimmte physikalische Ereignisse nie mit Sicherheit vorhersagen. Bei der Schwerkraft als einer der physikalischen Grundkräfte geht es aber nicht um diese Art von Wahrscheinlichkeit. Hier ist das Problem dasselbe wie bei allen Theorien über Naturgesetze. Nämlich das Problem der Induktion.
Theorien gehen immer über alles bisher Beobachtete hinaus und machen (bedingte) Voraussagen über zukünftige Ereignisse. Wir haben zwar keinen guten Grund anzunehmen, dass es die Schwerkraft in unserem Kosmos plötzlich nicht mehr gibt, einen BEWEIS, dass sie immer da sein wird und wirkt, gibt es aber nicht. Wir haben es also mit einem deterministischen Naturgesetz zu tun, aber ob es wirklich auf alle zukünftigen Ereignisse zutrifft, wissen wir nicht mit absoluter Sicherheit.
Ich gebe dir völlig recht, was die Schwierigkeiten einer Versuchsanordnung angeht, Gehirnvorgänge zu registrieren, ohne dabei schon auf die Vorgänge selbst einzuwirken und sie zu verändern. Das ist so ähnlich wie das Problem, aufgrund von bekannten sozialpsychologischen „Theorien“ einen Wahlausgang vorherzusagen, wenn die Wähler die Vorhersage schon kennen. Das könnte das Wahlverhalten nämlich beeinflussen.
In der Soziologie kann es „self-fulfilling“ und „self-destroying prophecies“ geben.
Das alles geht aber an meinen Haupteinwänden vorbei. Mir ging es in erster Linie darum zu zeigen, dass: (1) es keinen Beweis dafür gibt, dass alles, was in unserem Universum geschieht, nach deterministischen Naturgesetzen abläuft. Vielmehr halte ich es für EXTREM unwahrscheinlich, dass Gedanken in meinem Kopf (oder jedes anderen Menschen) im Prinzip aufgrund angeblich herrschender Naturgesetze und den Anfangsbedingungen schon seit Urzeiten festgelegt sind. Dass ich also gar nicht anders kann als das zu denken, was ich so denke (und tue).
(2) Wer wirklich glaubt, dass Denk- und Handlungsfreiheit determiniert sind, muss, wenn er denn konsequent ist, gewaltige Änderungen an unserem ganzen Welt- und Selbstverständnis vornehmen. Die gesamte Ethik und die Rechtsprechung müssten abgeschafft werden, da ja keiner mehr für irgendwas verantwortlich gemacht werden kann. Jeder Begriff von empirischer Wahrheit und moralischer Richtigkeit müsste abgeschafft werden, da sie in einem Universum, in dem es kein freies Denken und Entscheiden gibt, keinen Sinn ergeben. Was wahr und falsch ist, wäre das Resultat eines Naturvorgangs im Gehirn, der so oder auch anders verlaufen kann.
Das hat mit unserem normalen Begriff von Wahrheit nichts mehr zu tun. Wir sagen ja auch nicht, dass ein Erdrutsch (als natürlicher Vorgang) wahr ist. Wenn Gedanken (und Aussagen als Äusserungen von Gedanken) Naturvorgänge sind wie Erdrutsche, dann sind auch sie weder wahr noch falsch. Sie SIND einfach. Sie wahr oder falsch zu nennen, würde gar keinen Sinn mehr ergeben. Auch vor Gericht kann es gar keine Lügen oder Wahrheiten mehr geben. Jedes Gerichtsverfahren wäre erstens selbst bloss ein Naturvorgang und zweitens eine totale Farce (die selbst als Farce/Illusion noch ein Naturvorgang wäre!)
Vielleicht wird einigen klar, worauf ich hinaus will. Wer meint, ein naturalistisch-deterministisches Weltbild wäre doch ganz „logisch“ (einleuchtend), muss sich mal ernsthaft klarmachen, was die KONSEQUENZEN einer solchen Auffassung wären.
Angesichts solcher Probleme halte ich es für sehr viel vernünftiger anzunehmen, dass es in unserem Kosmos mehr und anderes gibt als naturwissenschaftlich beschreib- und erklärbare Vorgänge, auch wenn noch keiner eine wirklich überzeugende philosophische Theorie vorgelegt hat, wie so etwas mit unseren wissenschaftlichen Vorstellungen über die Welt vereinbar gemacht werden kann. Kant hat's versucht und ist schon vor mehr als 200 Jahren gescheitert. Searle hat vor ein paar Jahren zugegeben, dass er auch keine Lösung gefunden hat.
Dass es Dinge in der Welt gibt, die prinzipiell nicht in ein physikalistisches Weltbild passen wie es uns die Naturwissenschaften oft aufzwingen wollen, wissen wir bereits. Jetzt muss ich wiedermal auf einen berühmten Aufsatz des Philosophen Thomas Nagel hinweisen. Er heisst „What it is like to be a Bat“. Kurz gesagt, geht sein Argument so: Ganz egal wieviel wir neuro-wissenschaftlich über das Gehirn einer Fledermaus herausfinden können, die sich durch Echolotung im Raum orientiert (und Beute findet), wir werden nie herausfinden, wie es sich für die Fledermaus anfühlt, sich durch Echolotung orientieren zu können. Dieses „Wie-es-sich-anfühlt“ ist eine Erfahrung, die nur aus der Innenperspektive erlebt werden kann. Gleichwohl ist es aber etwas, das in der Welt stattfindet. Aber keine wissenschaftliche Untersuchung kann uns sagen, wie es für die Fledermaus ist, diese Erfahrung zu haben. Das kann man natürlich auf alle möglichen Erfahrungen (auch des Menschen) übertragen - Erfahrungen, die nur aus einer Innenperspektive zugänglich sind.
Ein bekannter australischer Philosoph namens Frank Jackson hat vor einigen Jahren ein Gedankenexperiment entwickelt, das etwas Ähnliches zeigt. Mary, eine fiktive Gehirnforscherin, weiss alles über Farbwahrnehmung, was es nur zu wissen gibt, jetzt und in Zukunft. Sie hat aber zeitlebens in einem Labor gelebt, in dem es nur schwarz-weisse Dinge zu sehen gibt. Wenn sie nun plötzlich herauskommt und z.B. zum erstenmal in ihrem Leben die Farbe Rot sieht, erfährt sie, wie es für sie ist, eine Rotempfindung zu haben. Nichts von dem, was sie über die Gehirnforschung zuvor gelernt hatte, hätte ihr jemals vermitteln können, wie es für sie ist, etwas Rotes zu sehen.
Es gibt also Dinge/Vorgänge in der Welt, die einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise prinzipiell verschlossen sind. Ein pysikalistisches (naturalistisches) Weltbild, und dann auch noch verbunden mit der Annahme eines duchgehenden Determinismus, ist m.E. ein ganz unzulässige Versimplifizierung unseres Kosmos. Vermutlich ist er sogar noch viel rätselhafter als wir es uns vorstellen können, selbst wenn wir diese Simplifizierung NICHT mitmachen. Aber das ist natürlich nur eine Vermutung von mir.