@Yokowakare
Wir sollten uns nicht gegenseitig beweihräuchern, aber ich lese deine Beiträge auch aufmerksamer als manche andere. Einfach weil es sich lohnt. Jedenfalls für mich.
Mit einem Paragraphen hab ich ein Problem.
... wenn Diskursethiker von gleicher Behandlung sprechen (Gerechtigkeit), setzen sie die Partner der Argumentation gleiche Behandlung der Teilnehmer Diskussion in der Sache voraus.
Wodurch aber ist diese gleiche Behandlung der Gesprächsteilenehmer (Gerechtigkeit in einem Gespräch) begründet?
Vielleicht ist hier beim Schreiben was schief gegangen. Die ersten 3 Zeilen verstehe ich nicht ganz. Aber ich sollte zur Verdeutlichung noch eine Anmerkung machen.
K.-O. Apel als prominenter Vertreter der Diskursethik ist einer der ganz wenigen noch "übrig gebliebenen" Philosophen (er wird im März 90), die an so etwas wie Letztbegründung glauben. Er sagt, wenn ich etwas nicht mit Argumenten bestreiten kann, weil jedes Argumentieren schon die Gültigkeit dessen voraussetzt, was ich bestreiten will, die Gültigkeit aber wiederum nicht mit absoluter Sicherheit beweisen kann, ohne mich in Zirkelschlüsse zu verwickeln, dann reicht das trotzdem für eine letzte Begründung.
Mit anderen Worten, um ein Beispiel zu geben: Wenn ich zu jemandem sage "Ich behaupte, dass es keine selbstverantwortlichen Subjekte geben kann", dann ist das von seiten des Behauptenden ein performativer Selbstwiderspruch. Warum? Weil sein Akt des Behauptens schon voraussetzt, dass er stillschweigend seinen Gesprächspartner als selbstverantwortlichen Menschen anerkennt. D.h. als jemanden, mit dem es zu debattieren sinnvoll ist, weil er als gleichberechtigter Partner anerkannt wird.
Apel meint, wenn ich eine ethische Norm nicht bestreiten kann, ohne mich bei dem Versuch, sie zu bestreiten, in einen Selbstwiderspruch zu verwickeln, dann muss ich (und jeder andere) die Gültigkeit der Norm anerkennen. Eine noch stärkere Begründung gibt es (leider) nicht, aber weil die Gültigkeit nicht sinnvoll und ohne Widerspruch bestritten werden kann, ist sie hinreichend und damit auch "letztbegründet". Ich halte Apels Argument für ziemlich stark und kenne auch kein besseres.
Man kann natürlich immer durch Willensentschluss aus aller sinnvollen Argumentation aussteigen und sich auf Machtausübung, reines Überreden, oder totales Schweigen beschränken. Nach Apel schliesst man sich dann aber auch aus aller Verantwortung für die Mitwelt und die Gesellschaft aus.
Noch ein zweiter Punkt:
Hat nicht einer, der Philosophie studiert hat, eine andere (bessere) Behandlung in (vor) einer philosophischen Diskussion ‚verdient’? Hat dieser nicht mehr Rechte - hat er nicht mehr ‚recht’, als andere? Wohl nicht, aber warum?
Gute und schwierige Frage. Spätestens seit der anti-autoritären Studentenbewegung, die ja ganz ohne Zeifel auch sehr viel Gutes hatte, ist es bei vielen fast schon "chic" geworden, davon auszugehen, dass grundsätzlich alle über alles gleich gut debattieren und urteilen können. Alles andere steht unter dem Verdacht, autoritär und anmassend zu sein. Das sieht man ja auch hier wenn's um Wahrheit, Erkenntnis und Gerechtigkeit geht.
Die Tatsache, dass es zu all diesen Themen eine Philosophiegeschichte gibt, die im Westen mindestens 2500 Jahre zurückreicht, und dass es hier ausserordentlich geistvolle Diskussionen und sogar grosse Fortschritte in der Lösung von Problemen und der Klärung von Sachfragen gegeben hat, scheint viele nicht zu interessieren. Alle dürfen ja ihre "eigene" Wahrheit haben, weil das angeblich so demokratisch, tolerant und fair ist.
Ich will ja um alles in der Welt keine neue Autoritätsgläubigkeit wieder aufrichten. Aber die Leichtfertigkeit, mit der man meint, über Jahrhunderte angesammeltes Wissen ignorieren und einfach drauflos philosophieren zu können, ist für mich schon ziemlich erstaunlich, um es sehr milde auszudrücken. Mit Philosophie hat das m.E. nicht allzu viel zu tun.
Damit mich niemand missversteht: Leute, die vielleicht Philosophie studiert haben und deshalb einen gewissen Wissensvorsprung vor anderen haben, sind keinesfalls automatisch bessere Menschen. Sie verdienen keinerlei Sonderrechte oder Sonderbehandlung. Mir wäre ein moralisch und charakterlich akzeptabler Mensch, der nicht die geringste Ahnung von Philosophie hat, sehr viel lieber als z.B. Heidegger. Was nicht heisst, dass ich Heideggers Philosophie nicht für eine grosse intellektuelle Leistung halte.
Aber es könnte nichts schaden, wenn man sich klar macht, dass es vielleicht lohnenswert ist, sich unvoreingenommen mit dem auseinander zu setzen, was andere vor 200 oder mehr Jahren schon erreicht haben.
Tut mir leid, dass meine Beiträge immer ziemlich lang werden, selbst wenn ich mich eigentlich kurz fassen will. Aber philosophische Fragen kann man leider nicht wirklich kurz fassen, ohne sie im negativen Sinn zu "verkürzen".