@Morticia
Wir kommen jetzt vom Thema
Gerechtigkeit ab, aber da ich direkt angesprochen bin, ist es sicher erlaubt, zu deinem Beitrag Stellung zu nehmen.
Also der Reihe nach:
Es gab 2 Gründe, warum ich zögerte, mich in die Diskussion einzuschalten. Der erste war, dass ich erst spät auf sie aufmerksam wurde, und der zweite war, dass ich in einigen entscheidenden Dingen ganz anderer Ansicht bin als andere Teilnehmer. Ich war (mit meiner Partnerin) schon vor einiger Zeit mal Mitglied im JC und in dieser Gruppe. Meine Kritik hat damals zu einem ziemlich heftigen Streit mit mindestens einem Mitglied geführt. Und das ist, ganz zu recht, bei einigen anderen nicht gut angekommen. Das möchte ich diesmal vermeiden.
Zur Aufarbeitung einer schon länger andauernden Diskussion sagst du:
Ich geh' mal davon aus, dass wir das hier alle genauso machen....
Dazu muss ich sagen: schön wärs. Ich habe aber öfter den Eindruck, dass es viele gibt, die das nicht machen. Da wird mit Ein- oder Zweizeilern aus der Hüfte geschossen, was der Diskussion m.E. nicht förderlich ist.
Ich kann argumentativ immer nur bis zu einem bestimmten Punkt kommen bei meinem Gegenüber. Ab da geht's dann um Glauben - glaub's, oder glaub's nicht
Das mag faktisch oft so sein, aber wenn's um philosophische oder wissenschaftliche Argumentation geht, dann gehen die Teilnehmer normalerweise davon aus, dass jeder in der Lage ist, die Qualität und Überzeugungskraft von Argumenten zu beurteilen.
Wenn Wissenschaft eine Glaubenssache wäre, würden wir wir heute noch akzeptieren, dass die Erde der Mittelpunkt des Kosmos ist. Oder es gäbe überhaupt keine Wissenschaft, weil ja jeder glauben kann was er/sie will. Wer argumentiert, geht davon aus, dass andere seine Argumente verstehen und beurteilen können. Sonst würde Argumentieren keinen Sinn machen. Alles Begründen wäre dann auf Überreden reduziert. Das ist in der Philosophie genauso wie in der Wissenschaft.
Ich gehe mitnichten davon aus, dass "ein ganz großer Teil" meiner "Überzeugung über die Welt objektiv wahr ist"
Das würde ich ganz vehement bestreiten. Das tust du wie jeder andere auch, und zwar grösstenteils unbewusst. Wer wirklich beständig Zweifel an der Wahrheit seiner Überzeugungen über die Welt hätte, könnte keine einzige Handlung vollziehen, denn in jede Handlung gehen Überzeugungen ein, die man für wahr hält. Kognitionswissenschaftler und Sprachwissenschaftler reden zurecht vom Weltwissen (-wissen, nicht -glauben), das jeder Mensch hat und das absolut notwendig für Sprachverstehen und ein normales Alltagsfunktionieren ist. Und dieses Weltwissen wird zu einem sehr grossen Teil von allen Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt, denn sonst könnte die Gesellschaft überhaupt nicht bestehen.
Ich hab' für diese Welt kein Instrument außer meiner Wahrnehmung und ich WEIß, dass diese niemals objektiv sein kann
Mal davon abgesehen, dass du ausser deiner Wahrnehmung noch ein Denkvermögen hast, das über blosse Wahrnehmung weit hinausgeht: Im zweiten Teil des Satzes begehst du genau den performativen Selbstwiderspruch, den ich schon in verschiedenen Beiträgen erwähnt habe.
Du behauptest zwar, dass deine Wahrnehmung nicht objektiv sein kann. Du sagst sogar, dass du es WEISST. Aber in eben dieser Behauptung erhebst du einen objektiven Geltungsanspruch. Wenn du das NICHT tust und nur eine subjektive Meinung äusserst, dann setze ich dem entgegen, dass sich die empirischen Wissenschaften immer auch auf Wahrnehmung berufen müssen, und dass kein ernsthafter Wissenschaftler je behaupten würde, es gäbe kein objektives Wissen, da es ja immer von Wahrnehmungsurteilen abhängt. Es ist auch keinZufall, dass es in der Philosophie eine Evidenztheorie der Wahrheit gibt, die sich intensiv mit der Verlässlichkeit von Wahrnehmungen befasst.
Du hast also die Wahl, einen performativen Selbstwiderspruch zu begehen, oder eine völlig subjektiv Meinung zu äussern, die keinerlei Geltungskraft hat. Du kannst jetzt sagen: Ich weiss es aber FÜR MICH. Das ist aber genau der Punkt, den ich kritisiere. Wenn es nur Wahrheiten relativ zu einzelnen Personen gibt - ich weiss übrigens gar nicht, was das Wort
Wahrheit dann eigentlich heissen soll - , dann ist die gesamte Diskussion in dieser Gruppe sinnlos. Wahrheit ist dann wirklich beliebig - entgegen dem, was du in deinem letzten Satz sagst. Wahrheit ist dann das, was ein jeder aus Lust und Laune glauben mag. Oder das Resultat seiner/ihrer Existenz, die natürlich nie identisch mit der einer anderen Person ist.
Nur noch EINE Bemerkung, und zwar zu dem Ausspruch "Ich weiss, dass ich nichts weiss". Ich habe schon in einem anderen Beitrag darauf hingewiesen, dass Sokrates das gar nicht gesagt hat. Es handelt sich um einen Übersetzungsfehler. Wäre auch verwunderlich, wenn ein Philosoph vom Rang des Sokrates einen widersinnigen Satz wie diesen geäussert hätte. Wer buchstäblich nichts weiss, kann auch nicht wissen, dass er nichts weiss.