entweder
es ist jeden tag weihnachten, oder es nie weihnachten!
mit diesem spruch konnte ich früher meine mutter ärgern, die gerne an "weihnachten" etwas anderes gemacht hätte, als an anderen tagen. etwa so, dass wir alle sehr friedlich, sehr freundlich, sehr zuneigend zu sein hatten, und ich hätte nicht gewusst, warum sich diese haltung auf drei feiertage so sehr konzentrieren sollte, sonst aber nicht erforderlich erschien.
deshalb sage ich: mag jede tür so viele plätzchen haben, wie sie mag. entweder es ist immer advent, oder nie.
ich hatte heute den fotoapparat nicht dabei; also muss ich erzählen, was ich sah.
ich stand am bahnsteig im halb zugefrorenen matsch und sah zum boden hinunter. und dort gab es ein muster, aus vielen verschiedenen schuhprofilen, das in der nachtbeleuchtung gelblich leuchtete. ein instant-fresko eines supraindividualen künstlers.
rillen, kreise, wellen, punkte... es mutete aztekisch-glyphisch, dann wieder rein ornamental an... aber man erkannte, es war an jeder stelle ein mensch gestanden. an jeder hatte einer eine wartezeit abgebüßt, oder seine lebenszeit eingebüßt, gedacht, geraucht, telefoniert oder nur stumpf im wind verharrend strammgestanden.
im teig der jahreszeit eingestampfte plätzchen, morgen geronnen oder verflossen, morgen verweht. der ganz individuelle abdruck des vermischten tagestäters, ein relief auf einer verrinnenden leinwand.
ich hätte gerne die stimmen gehört, die derer, die dort standen. hätte gerne gewusst, wie sie hießen, wen sie anriefen, warum, warum nicht, wohin sie fuhren. ich hätte gerne ihre parfums gerochen, die stoffe ihrer jacken befingert, gewusst, was in ihren taschen ist und für wie lange. an welchen küchentischen ihre inhalte ausgepacktt werden. an welchen tischen ihre inhalte beschrieben werden. an welchen tastaturen die grenzen ihrer reiche verhandelt werden.
werde ich nie erfahren. und habe doch.