Analphabeten der immateriellen Kultur
Vilém Flusser war ein ungemein humorvoller Mann. Er wird als tschechoslowakischer Kulturtheoretiker, Medienphilosoph und Kommunikationswissenschaftler bezeichnet. Das Besondere seines Denkens war das Raffende und doch die Zusammenhänge so Ausfaltende, daß sie einzusehen sind. Das gibt seinen Texten eine fast spielerische Note.Weil er seine Schriften in Portugiesisch, Deutsch, Französisch und Englisch verfasste, profitierte er in besonderer Weise von dem Umstand, daß die unterschiedlichen semantischen Strukturen dieser Sprachen unterschiedliche Perspektiven mit sich bringen. Ein und derselbe Zusammenhang erscheint in verschiedenen Sprachen in je eigentümlichen Schattierungen, die ihm ganz automatisch sowas wie Leben einhauchen.
Hier haben wir einen Mitschnitt seines letzten Vortrages, den er 1991 in Essen hielt (vier Tage später erlitt er einen Autounfall, an dessen Folgen er starb). In ihm schlägt er einen Bogen von den >griechischen Ahnen< über das Mittelalter, den Marxismus und die Moderne hin zu einem Zeitalter, das seiner Einschätzung nach – zum Zeitpunkt der Rede – noch nicht am Horizont zu erkennen sei.
Das Thema des Bogens ist die Kulturgeschichte des Informierens. Die menschliche Geste, Natur zu informieren – also Gegenstände zu erzeugen – hat sich gewandelt zur Geste, reine Informationen – also Immaterielles – zu erzeugen. Auf diese >immaterielle Kultur< (Lyotard), dieses Zeitalter der reinen Informationen, steuerten wir Flusser zufolge geradewegs zu.
Heute, 22 Jahre später, bewegen wir uns in dessen ersten Ausläufern oder befinden uns bereits mittendrin, und eine mögliche Frage wäre:
Wenn wir wieder >Illiterati< sind und uns in einer Situation befinden wie zur Zeit der Entwicklung der Schrift, und zwar in dem Sinne, daß wir der neuen codes nicht mächtig sind; was bedeutet das?
http://www.remotewords.net/home/11-sao-paulo/author.html