Man kann sich wunderbar über Gemeinplätze, Klischees und Kalauer die Bälle zuwerfen und mit den zahlreichen gendertypischen Fettnäpfen einfangen. Das spritzt immer so schön, und man gewinnt immer neue, fettige Gesichtspunkte. Das Fett fällt aber auch zu Boden, und mit der Zeit entpuppt sich der eigene Standpunkt als glitschiger Gemeinplatz. Gibt es einen rutschfesten Standpunkt? Aber klar! Man findet ihn, wenn man den Dingen auf den Grund kommt, und das ist ein vielversprechendes, wenn auch ziemlich vertracktes Vorhaben.
Es setzt nämlich etwas voraus, das wie ein Wegreißen des derzeitigen eigenen Standpunktes aussieht; man läuft Gefahr, ins Bodenlose zu stürzen. Wir lasen ja schon den Hinweis, daß die sogenannten weiblichen Anteile in Männern stecken, und die sogenannten männlichen stecken in Frauen. Das wird so dahingesagt, aber aufgenommen wird diese Idee nicht. Denkt man sie zu Ende, könnte dieses Ende so aussehen: Es gibt weder >den Mann< noch >die Frau<. Was wir machen, ist ein Spiel, das auf Regeln fußt, die (mit vereinzelten Ausnahmen) allesamt erfunden wurden.
>Mann< ist ein state of mind, und so ist es mit >Frau<. Wenn also die Rede ist von Männern, die irgendwas machen, und Frauen machen was anderes, dann basiert das Gesagte auf einem Entwurf, der zumindest in unserer postindustriellen Gesellschaft vollkommen kontingent geworden ist. Wir halten an Dingen fest, die so alt und unsinnig geworden sind, daß es erstaunlich ist, wie wenig wir von ihrer Überkommenheit wahrnehmen.
Das bedeutet nicht, daß solch klassische Flirtszenerien Mumpitz wären; ganz und gar nicht. Es bedeutet, daß diese Szenerien als eine von vielen Varianten, als eine Virtualität verstanden werden. Es kann so sein, aber es kann auch anders sein. Eine Frau mag Vergnügen daran haben, sich aufzubrezeln und wie ein model beispielsweise das Pflaster der Innenstadt zum cat walk zu machen, aber dieses Vergnügen ist nur dann eines, wenn sie sich bewusst ist, daß sie ebensogut etwas anderes machen könnte, wenn sie es wollte. Tut sie es, weil es irgendwie nicht anders ginge, dann besteht das Vergnügen nur dann, wenn sie damit Erfolg bei jenen hat, die sie damit ansprechen will. Dieser Erfolg bringt allerdings einen Zweifel gratis; daß der Angesprochene sich als Geblendeter erweist, der nur vordergründig sehen kann, also kurzsichtig ist.
Daß sich solch Missgeschick ohnehin einstellen kann, ist kein Gegenargument, sondern weist auf den wichtigen Aspekt zurück, der mit >weil es irgendwie nicht anders ginge< angesprochen wird. Damit soll deutlich werden, was mit der Kontingenz, also dem >es kann so, aber auch anders sein< gemeint ist. Denn wer von den äußeren Attributen innerlich unabhängig ist, kann sie überhaupt bewusst einsetzen. Wer innerlich abhängig ist von Schminke, ist seinerseits kurzsichtig.
Weitsichtigkeit ist also etwas, das mit Unabhängigkeit zu tun hat. Es ist ein Standpunkt, dessen Freiheit in seiner Erhabenheit liegt. Wer über Äußerlichkeiten, Banalitäten, Gemeinplätze erhaben ist, kann weiter sehen. Er kann diese Äußerlichkeiten, Banalitäten, Gemeinplätze handhaben, ohne sich in deren Bedeutungen zu verstricken. Er kann spielen.
Das ist, was ich hier und da mit dem Begriff >Posen< bezeichne; das spielerische Posen als die freie Variante der Selbstdarstellung, und das vordergründige Posen als die unfreie. Selbstdarstellung ist gut, wenn es tatsächlich um das eigene Selbst geht und nicht um eine Persona. Ein vorgestelltes, erwünschtes, aber nicht reales Selbstbild muss laufend mit Inhalt, Bildern, Verhalten – kurz: mit show unterbaut werden, um plausibel zu erscheinen. Das ist erschöpfend anstelle von erbauend.
Das ist nicht immer einfach; die Schwierigkeit besteht nicht nur darin, ein angemessenes, prinzipiell unabhängiges Selbstbild zu erlangen, sondern auch darin, den anderen angemessen einzuschätzen und wahrzunehmen, wie es mit dem seinen aussieht. Aber die Mühe lohnt.