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Liebe V

Liebe V
Der letzte post aus >Ihr habt es so gewollt<:

Alle Beteiligten wissen, woher sie stammt, und jeder hat eine Erinnerung. Das ist die Essenz eines Menschen in der Erinnerung anderer Menschen.

Nein, die Frage des woher ist uninterresant (ob Odysseus aus Ithaka oder der Schillerstraße stammt ist unwichtig). Es sind zum einen die (Un-)Taten, die in Erinnerung bleiben und die Frage, wie dieser Mensch gewirkt hat (auch auf einen selbst eingewirkt hat).
Es ist also die Frage: "Wer war sie?".
Die Frage nach dem Warum ist natürlich auch interssant - so wie immer...
Der Händler
hielt den Puppenkopf vorsichtig in seiner Hohlhand. Er drehte ihn mehrmals, näherte seine Lupe an die zart gezeichneten Augenbrauen über den Augenhöhlen und strich über die rosa puderigen Wangen der porzellanenen Schönheit.
• Wie war der Rumpf? Haben Sie eine Idee?
• Nein. Wie gesagt, sie gehörte meiner Mutter. In den Vierzigern. Möglicherweise kam sie aus Tschechien, sagte man mir, aber ich denke, mein Vater hatte sie im Krieg irgendwo mitgenommen. Der Rumpf war aus Stoff und Heu drin, glaube ich.
• Nein, Heu war das schon nicht mehr, man nahm da schon Stoffreste oder Watte oder sowas. Bedauere Ihnen nicht mehr sagen zu können, da bin ich der Falsche. Einen Experten brauchen Sie. Oder Sie probieren es übers Internet. Wäre ja schön, wenn Sie herausfinden könnten, wo sie herkommt. Wie alt sie ist. Wer sie schuf...
-Ja, diese Fragen... darum geht es mir ja. Vielen Dank.

Die Kundin wickelte den Kopf in mehrere Lagen Blumenpapier ein und dann in einen Schal, stopfte ihn in ihre Tasche und mit einem weiteren Dank für die Mühe stand sie schon an der Tür. Im Hinausgehen überschaute sie noch einmal das viele Spielzeug, das den Laden erfüllte. Hunderte Puppen, Teddys, Stofftiere und Blechernes, die alle mal irgendwann in den Händen eines Kindes gelegen hatten.
Die Türglöckchen entließen sie in einen hellen Nachmittag; der Regen hatte aufgehört und die Straßen glitzerten. Ihre Sonnenbrille rutschte vom Scheitel auf den Nasenrücken und sie schlenderte beschwingt los, in Richtung Straßenbahn.
****e_H Mann
8.282 Beiträge
Geschenk
An Stelle des anonymen Danke Buttons ist es mir zum wiederholten Male ein Bedürfnis, MaerzMond öffentlich Dank zu sagen für ihre unermüdliche Gabe uns zu beschenken.Auch in dieser Kurzgeschichte ist Liebe pur übermittelt worden. Ich jedenfalls habe dies so verspürt.

Der kontradiktorische Inhalt dieser Geschichte, welcher aus meiner (zu kurz gefassten) Frage am Ende des vorigen Threads,-Was ist eigentlich aus ihr geworden-, erblühte, beantwortet meine Frage dennoch.
Ich hatte es in der Frage nicht ausgeschrieben, aber ich wollte wissen, ob die Augen noch im Wasserbad lägen? Aber sie tun es nicht mehr, sie sind wieder eingesetzt und bringen Leben in das Gesicht.
Danke.
ja
Ich schließe mich Uncle_H an; was Maerzmond schreibt, hat immer wieder regelrecht literarische Qualität. Es ist ein Geschenk für uns.
danke.
ich interpretiere die beschwingtheit der beiden vorredner als vorfreude auf das kommende. und das soll g e m e i n s a m gestaltet werden.

für die neulinge/-gierigen:
es gibt den privaten thread >Ihr habt es so gewollt<, kurz >so gewollt<, darin hatte sich ab der hälfte eine art gemeinsame erzählung entsponnen. übergeordnetes thema sollte die
l i e b e sein, in allen ihren facetten, wenngleich wir ursprünglich nur die geschlechtliche im visier hatten.
dies hier soll (k)eine fortsetzung sein, sondern ein raum für die wechselweise verschriftung von episch-dramaturgisch-lyrischen artikulationen zum thema. ein jeder kann mitmachen, eine handlung oder ein konzept werden nicht vorgelegt, dürfen aber im verlauf entstehen.
es gibt inspirationen im vorläufer-thread und die freiheit in der wahl des genre, der thematik, der subtexte, der referenzen...

also ein fortsetzungsroman, ein gesellschaftspiel... ein austausch. ich persönlich würde mir wünschen keine fsk-pflichtigen texte einzustellen, da sie nicht jeder lesen kann.

die intro lieferte der "puppenpost": der kopf einer alten porzellanpuppe, vom rumpf losgelöst, dessen geschichte unbekannt ist. der beginn einer beziehung.

wohlan!
***na Frau
2.685 Beiträge
Gruppen-Mod 
Wünsche
für die neulinge/-gierigen:
es gibt den privaten thread >Ihr habt es so gewollt<, kurz >so gewollt<, darin hatte sich ab der hälfte eine art gemeinsame erzählung entsponnen. übergeordnetes thema sollte die
l i e b e sein, in allen ihren facetten, wenngleich wir ursprünglich nur die geschlechtliche im visier hatten.

soll ich das Thema wieder auf privat setzen?

lg Azana
@Azana
von mir aus nicht.
*blume*
*****one Frau
13.323 Beiträge
@MM
mir geht gerade mein herz auf- nicht nur alles "Puppendoktor"!
ich überlasse die fäden mal dem lauf und werde sehen, was sich ergibt.
in musterbuch schmökert

diA
*********June Paar
7.196 Beiträge
von mir aus nicht.

. . . von mir aus auch nicht . . .

Es könnte Poesie verloren gehen . . .



Johnny Cash:
I walk the line ...

Heute Nachmittag in der Sauna
Sie konnte sich spontan erinnern, wie es war, auf diese Weise verliebt zu sein. Dieses Verliebtsein, daß über sie hereinbrach, nur, weil sie einen Mann sah, der ihre Aufmerksamkeit aus dem Nichts heraus fesselte. Diese Begegnungen im sogenannten Alltag, die eine unerhörte Gravitation erzeugten und den Raum krümmten, sodaß alle Gedanken, Blicke und Bewegungen wie in einen Orbit einschwenkten, aus dem sie nie wieder herauszukommen schienen. Sie kennt diese unerträgliche Polarität von erregtem Angezogensein und tragischer Gewissheit.

Vor einer Stunde kreuzten sich ihre Wege. Einen Augenblick nur sah sie seinen Körper, seinen Gang, und sie hörte seine Stimme. Er war mit einer Frau zusammen den Gang mit den verschiedenen Saunen entlanggeschlendert und hatte etwas zu ihr gesagt, das sie zum Lachen brachte. Und in dieser letzten Stunde war ihr Blick auf ihn geeicht; sie sah sich nach ihm um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Jetzt erblickte sie die beiden im Bereich mit den Liegen, sie lagen einander zugewandt und unterhielten sich. Als sie an ihnen vorbeiging, kam es zu einem kurzen Blickkontakt.

Sie ging zu ihrem Platz und überlegte, ob sie noch einen Gang machen wollte. Es waren am Ende drei Gänge, und jedesmal waren die beiden unter den etwa zwanzig anderen in der Sauna mit den Aufgüssen. Sie konnte sich nicht entscheiden, nach Hause zu gehen, und als sie es endlich tat, spüret sie einen Druck auf ihrer Brust wie von einem zu eng geschnürten Korsett.
*****one Frau
13.323 Beiträge
Die Kundin wickelte den Kopf in mehrere Lagen Blumenpapier ein und dann in einen Schal, stopfte ihn in ihre Tasche und mit einem weiteren Dank für die Mühe stand sie schon an der Tür. Im Hinausgehen überschaute sie noch einmal das viele Spielzeug, das den Laden erfüllte. Hunderte Puppen, Teddys, Stofftiere und Blechernes, die alle mal irgendwann in den Händen eines Kindes gelegen hatten.
Die Türglöckchen entließen sie in einen hellen Nachmittag; der Regen hatte aufgehört und die Straßen glitzerten. Ihre Sonnenbrille rutschte vom Scheitel auf den Nasenrücken und sie schlenderte beschwingt los, in Richtung Straßenbahn.

Was ist zu tun, um dem Kopf einen angemessenen Körper zu geben?
Eine Entscheidung von Tragweite, das wurde ihr klar.
Passen muss es. Nicht nur, es muss vervollständigen. Um des Bildes wegen und wegen der Erinnerung.
Ganz sein als Gegenteil von versehrt oder kaputt.
Leben einhauchen?
Sie hat strassenlang Zeit und unendlich Lust darauf, diesem Kopf einen Körper zu geben.
Einen weichen zum Betasten und schmücken.
Und Augen, nichts geht ohne Augen.
Leben einhauchen!
Nein, eine Puppe lebt nicht.
Eine Puppe ist Abbild, Abbild von Leben, Abbild von Zeit, Abbild von Sehnsüchten und Idealen.
von mir bekörpert etwa 1980, wenig professionell
****e_H Mann
8.282 Beiträge
...
von mir bekörpert etwa 1980, wenig professionell

Die Frankensteinsche Schule ist unverkennbar.

Aber man muss natürlich zu Gute halten, dass die Wahl der Mittel im östlichen Teil der Republik 10 Jahre vor dem Mauerfall auf ein Minimum beschränkt war.
*ggg*
Die Liebe zur Sache hingegen ist mehr als deutlich spürbar und wirkt bis in unsere Tage.
*sonne*
*blumenschenk*
*******AYER Mann
3.056 Beiträge
Sieben Sünden
Ach, die Liebe! *blume*

Immer, wenn ich "Liebe" *herz* lese, weiß ich nie genau, ob es sich um

1) die wahre Liebe,
2) die Nächstenliebe,
3) die platonische Liebe,
4) die freie Liebe,
5) die käufliche Liebe,
6) die virtuelle Liebe,
7) oder die Selbstliebe

handelt. Oder gar noch eine andere Liebe. *koenig* Wie viel Liebe kann der Mensch überhaupt verkraften? Wie soll man das alles von Projektionen und Wunschvorstellungen überhaupt freihalten ? Und es dann auch nicht mit Aufmerksamkeit und Brüderlichkeit vermischen? Schon komplex, oder ?! *nachdenk*


Am liebsten ist mir an dem Begriff "Liebe", dass er recht undurchsichtig, unberechenbar, unergründlich ist. Das hat was Wildes. Das mach mich an. Die Liebe ist eine irrationale Einladung, die Welt intensiver zu erleben.

Ich liebe es, dass Du Dir das hier anliest. *hypno*
Wortfetzen oder Fragmente der Liebe
Reden? über was?

Haut spüren, küssen, streicheln. Wer ist da an meiner Seite? Warum darf ich nicht mit jedem, der mir gefällt? Warum muß ich mich entscheiden – für EINE Person entscheiden?

Was hätte ich anders machen können? Gab es übersehe Anzeichen:
"Ich habe mich gefühlt wie ein liegengelassenes Kind" bekannte sie. "Die Zukunft ist mir abgebrochen worden dadurch, dass mich mein Mann verlassen hat."

"Dass man gebraucht wird, das ist ganz wichtig. Ich möchte gebraucht werden. Das ist mir schon wichtig. Man erntet ein Lächeln, das beste was einem passieren kann."
Nach der Trennung setzt sie sich neue Ziele.

"Am Anfang konnte ich nichts machen, was wir gemeinsam gemacht haben. Oder alleine in ein Café gehen – das ist wie eine Mutprobe!"

„Sie war die schönste Frau am Ort“, fand er am Hochzeitstag. Das weinende Auge: Es war ja doch eine schöne Zeit, auch wenn es nur kurz war!

"Ich versuche jeden Tag zu genießen und zu hoffen, dass es ein guter Tag wird."
*****_bw Frau
1.443 Beiträge
Man entscheidet nicht für eine Mensch...

Es wird gemeisam entschieden...
Es entsteht oder auch nicht.

Das Leben hat nicht nur mit dem Will einzelnen zutun. Sondern es ist auch Teils Glück, Teils Zufälle...

Was ist wenn eine Mensch nie der Eine begegnet, bleibt doch zwängslaufig das Vieles anstatt das Bestimmte.
*********June Paar
7.196 Beiträge
Rechnungen . . .
Es wird gemeisam entschieden...
Es entsteht oder auch nicht.

--> dies kann ich nur unterstützen . . .

Es gibt Dinge,
die nur gemeinsam
erzeugt werden können . . .

Zusammen oder gar nicht . . .

Folgende Gleichung entscheidet:
Eins plus eins
= mehr als zwei!



Johnny Cash:
I walk the line ...

*****one Frau
13.323 Beiträge
...
mehr als zwei!

Eine überlegenswerte These mit Ergründungsversuchen zwischen drei Tassen Espresso und vier Selbstgedrehten.
Die konnte sie natürlich nur vor der Tür rauchen, denn erst ab 22:00 ist die Location ein Raucherclub.
So nahm sie die Überlegungen mit hinaus und betrachtete die flanierende Menge.
Ein Rätsel oder ein Ausflug in „Wetten, dass?“
Menschengucken ist fein.
Körpersprache.
Eins plus eins- ich könnte mehr sehen, wenn ich Lust dazu habe.
Oder ich puste einfach aus. Nachblickend.
*****one Frau
13.323 Beiträge
angebastelt
Nicht wegen dunkel und so. Nein, alles ist irgendwie langsam oder neudeutsch entschleunigt.
Oder inklusiert.
Da empfinde ich mich als Raucher ziemlich ex- klusiert.
Macht nichts.
Ich stelle mich darauf ein, dass ich demnächst mit Tomaten beworfen werde.
Öffentlich .
Keiner liebt mich, wieso ich?
1.
Ungeschäftig die Straße, still das Viertel, nur die Amseln rufen von der Firsten, ungetrübt, wie pflichtbewusste Muezzin.
In einer Seitenstraße eine Bank, vor einem eingedellten alten Bauernhäuschen; mitten in der Kleinstadt eine Behausung aus der vorigen Zeit mit einer gußeisernen Bank davor und darauf zwei alten Männern. Einer sitzt breitgegrätscht, der ältere sackt in sich zusammen, zwei Bierdosen haben sie vor ihren Schuhspitzen abgestellt. Zwischen ihren Rücken flimmert das blaue Fernsehprogramm durch das schiefe, kleine Fenster.
Im Nachbarhaus, stattlicher und frisch getüncht, klimpert Geschirr zum Abendbrot und die Hunde kurven im Vorhof um einen verlassenen Spielball. In der Nähe des Gartentores eine Voliere, darin ein blasierter Papagei in struppigem Arbeitsgrün, der seine Stange den Krallen nach bemisst. Einige Schritte weiter blühen seltsame blaßrosa Trichterblumen und schwenken ihre Stängel einstimmig aus den Schatten heraus.

Statt mit jedem Schritt dunkler zu werden, stemmt sich der Tag ungehorsam gegen die Dämmerung hinter den entfernten Dächern. Lange, sehr lange, geht Paul den Hügel hinauf und setzt seine Füße in Zeitlupe hintereinander auf den noch warmen Asphalt.
Es ist anzunehmen, dass dieser Tag den echten Frühlingsbeginn einläutet.
*****_bw Frau
1.443 Beiträge
XXX
Ein Morgen hieß es, es war die Liebe!
War es das Einzig?
Gab es nicht mehr zu entdecken?
War Sie am Ende Ihr Weg.

Die Jahre waren,
gingen,
verschinden,

Die Jahreszeiten gingen worüber,
wie ein Zug auf hohe Geschwindigkeit.

Sie wollte nicht hinter die Fenster leben,
sondern mitten in Leben,
aber Glück in der Begegnung blieb verwehrt.

Sollte sie glauben an das was unmöglich erschiene.
Sollte sie fühlen, was ihr so schmerzt.

Es war immer wieder Liebe,
aber nicht DIE.

Die Tage erbrachten immer wieder die Botschaft:
es gab, ist und war Hoffnung...

Das Herz war endlich frei,
frei zu leben,
wie immer...

Die Unendlichkeit der Zufälle.
2.
.
.



- Ach, Gott, ja... Man nimmt, was man kriegt...
Im Telefon krachte es, als wäre es herunter gefallen.
• Hä? drang eine kehlige Frage durch.
• Ich sagte, man nimmt was man kriegt. Oder?
Das Krachen wiederholte sich. Consuelo trieb ihre Fußkante zwischen die beiden Matratzen und richtete sich etwas auf, in ihrem Bett. Den Hörer drückte sie näher ans Ohr.
• Spinnst du? Was soll´n das jetzt?
Zwischen den Matratzen ging es dem Fuß gut. Er wurde gehalten und sanft gepresst.
Sie bohrte sich im Spalt zurecht und begann auch die andere Sohle hinein zu pressen. Was wollte Schwesterherz eigentlich nun? Sie hätte nicht anrufen sollen, ihr Gefühl hatte es nicht anempfohlen, nun hatte sie keine Lust solche Fragen zu beantworten.
• Ich glaub´, du spinnst.
Ich fühle mich in Frieden, dachte sie. Mir fehlt es an nichts. Also kommt alles in eine Fülle hinein und ist umso ausreichender. Oder befriedigend? Welche Note vergibt man an das Genügen?
-Sehr gut so, gab sie zur Antwort.
• Ist es das, was du willst?
• ...
• Ich meine, willst du Pausenfüller sein? Du bist doch Pausenfüller, der kleine Snack zwischen-
• Ohgott!
• ... zwischendurch. Ist es das, was du willst?
• ...
• Bitte beantworte mir das, ist es DAS?
An der fragenden Stimme schien ein Regler dranzuhängen. Je lauter sie wurde, desto mehr pressten die Waden ins Bett hinein. Aber ein Blick zum Fenster genügte. Die Abendsonne war am Niedersinken und sah eben ins Zimmer hinein. Alles erglomm in tiefem Orange, so wie dann, wenn der Himmel drumherum bewölkt und violett ist und der Wald in der Nähe begann zu schweigen. Consuelo musste lächeln. Wieder war es da, das Genug. Ein feiner Geschmack haftete an der surrealen Färbung, das Genug roch nach Abend und nach Bettlaken. Sie wurde unversehens milde.

• Das will ich, sagte sie leise.
...
Das Telefon knackte nicht. Die Stille erlaubte den Farben aufzuzüngeln, sie malten die ganze Decke an. Das will ich, hatte sie gesagt, und es klang ein wenig wie ein Hochzeitsversprechen. Es klang nach Sein, in sich selbst und dem Orange. Je mehr sie nachsann, desto wirbelnder wurde das Lecken der Lichter im Zimmer und desto behaglicher wurde ihr selbst. Sie wechselte den Hörer ans andere Ohr und gluchste hinein.
Setzte sich auf und drehte sich zur Seite und nahm einen Stift und ein Heft vom Nachttisch und legte sie auf ihren Schoß. Klappte das Heft auf und schraubte den Federhalter auf. Ein langer Tuschestrich von spielerischer Zuspitzung teilte das Blatt in zwei ungleiche Hälften.
Sie sah hin, und hielt inne. Auch dieser eine Strich schien wieder genug zu sein. Das Blatt schien gesättigt worden zu sein, es schwieg. Und am anderen Ende der Leitung schwieg es auch immer noch.
Dann nicht mehr.
• Okay. Hm. Ja, wenn das so ist. Dann sage ich nichts mehr. Dann machst du das so weiter. Dann ist das gut so.
• Eben.
Irgendein Kobold muss es gewesen sein, der da die Taste drückte, aber plötzlich war die Leitung tot. Sie bedauerte es nicht, und gab auch den Gedanken auf, nun eine Message nachzuschicken, die da etwas von Netzproblem gesagt hätte. Sie legte den Hörer beiseite und brachte in der Mitte der oberen Hälfte ihres Blattes einen kleinen Kreis an, in der unteren kleineren, einen wasserweichen Strich. Dann kam auch das Heft auf den Nachttisch.
Das Genug hatte den Raum verschluckt. Nun haftete es dunkel und honigweich an den Tapeten und auch das Zimmer roch nach Wabe. Es roch nach eckigrundem, leuchtendem Wachs. Das Laken war warm und ihr Körper lag quer über dem Bett, bevor sie sich einrollte. Sie machte sich rund, wie eine Muschel, und das Genug rann die Wände entlang wie Met, wie stolzer Rausch. Sie musste grinsen, als sie dahinterkam, dass ihre Empfindungen etwas Abweichendes hatten, etwas Robustes, Sattes. Wie das Orange, verdichteten sie sich zu Lichtklumpen. Die Idee, an der eigenen Genügsamkeit, dem Hinnehmen von allem Vorhandenen einen Augenblick teilzuhaben war selbst wiederum erfüllend.
Allmählich erkannte sie, dass sie aus unerfindlichen Gründen eben einen spontanen Glücksanfall erlitten hatte. Sie war aus sich selbst high geworden, und war auf dieser Farbe davon geritten, während ihre Schwester in der Welt geblieben war.

Es war ihr gelungen davon zu reiten, sich dem hämmerndem Programm der Vorwurfsammen zu entziehen. Etwas in ihr hatte die Taste gedrückt, und der Vorgang der Wahl hatte sie derart angetriggert, dass sie davon high geworden war.
Sie drehte sich wieder auf den Rücken.
In allen Einzelheiten wusste sie, was die Schwester niemals deutlich gesagt, aber sehr wohl vermittelt hätte. Sie hätte den Tonfall auch jederzeit imitieren können. Dieses halb tragische, halb scharf diagnostische Zisellieren an der Unglückswunde: du bist ein Pausenfüller, dir steht Besseres zu, du gibst dich mit Geringem zufrieden, du machst dich klein, du hast mehr verdient, dir steht das Große zu...
Sie hörte diese Worte, aber das Genug hatte dafür gesorgt, dass die Aussagen stimmlos wurden. Sie waren erloschen. An keinem blieb ihr Herz stehen. Es war vorbei.

Nun drehte sie sich wieder auf die Seite. Das Violett hatte mit dem Orange ein irdenes Umbra gezeugt und draußen roch es nach Schatten. Nichts riss, nichts drohte, alles schwieg. Hinter den Häusern, dort, wo der gigantische Umriss des Berges sich bereits ausgebreitet hatte, dort musste das Genug geboren worden sein. Das Schattige.
Dann war es zu ihr ins Zimmer gekrochen und hatte auch sie befruchtet, eine gütige warme Dunkelheit zwischen ihren Schenkeln. Sie konnte nicht erinnern, dachte sie, wie Verlangen sich anfühlt. Obwohl sie wusste, dass das Highsein ihren Körper auch erreicht hatte.
Sie jauchzte voller Dankbarkeit und wieder waren diese unwillkürlichen Tränen da. Diese vollkommene Leere, die unerschöpfliche Unersättlichkeit, sie waren kaum auszuhalten. Das Leben pochte in ihrem Schädel wie Fernweh. Sie las die Inschriften, die wie auf einem unsichtbaren Band hinter ihren Augen sich abspulten: du bist die Liason eines Taxifahrers, der seine Ehe rettet und die Verblichene eines dubiosen Händlers und die Seiltänzerin eines verstockten Yogi, der in einer Almhütte wohnt. Du bist Consuelo, die Germanistik promovierte, in Las Vegas heiratete und in London geschieden wurde und du bringst es nur dazu, dein Geld zu verschenken und deinen Leib auch.

Sie las, und alles erschien so entfernt, als sei es im Morse-Alphabet geschrieben worden: sie las den Code mehr als die Schrift. Sie spürte ihr Alter wie einen Schutzpanzer an ihrem Körper, wie eine zweite Haut, die am Wachsen war. Als das Umbra nach Punkten gewann und der Abend das Dörfchen, das Haus, das Zimmer, das Laken und ihre Augen erreichte, bog sie sich noch einmal fest um sich, das Laken über die nackte Haut der Hüften ziehend. Einem Frösteln vorzubeugen, das lehrt die Zeit. Sie lehrt, zu nehmen, was man bekommt, weil das, was man bekommt, das ist, was man verarbeiten kann. Man kann nichts verarbeiten, was man nicht hat. Und was man hat, muss genügen. Deshalb war das Genügen heute abend zu Besuch gekommen.
Das köstliche Schmiegen von "es ist gut". Ihr einziger Gedanke war noch "es ist gut" und sie lachte über sich selbst, in diesem leisen Rausch. Aber der Rausch wich nicht weg, er blieb den ganzen Abend noch an ihrer Seite, wärmte sie durch die Nacht und lag bei ihr, ein wacher Liebhaber.

In der Frühe, als sie aus der Dusche herauskam, entdeckte sie, dass sie noch einen Satz geschieben hatte. Auf der Linie, die beide Blatthälften trennte, klein, aber in Majuskeln gemalt: DANKE

Sie grinste, schob das Heft vom Bett und öffnete den Schrank, hätte weinen können vor Lebenslust. Der Morgen fraß sich hinein, er biss in das Kommende mit ehrlichem Hunger. Das rosa oder das weiße Kleid? Und welcher Hut?
Ich will die Geliebte von Allem sein, sang sie, während sie ihre Seidenstrümpfe hochzog. Ich bin die Geliebte des Windes. Mir fehlt es an nichts---

der Schuh umschlang ihre Sohle so lüstern, wie es gestern das Bett getan hatte----

ich bin die Geliebte von Umbra, das Genug ist mein Gatte und in mir ist nichts als Licht.
Sie musste laut lachen. Das Blau im Zimmer verneigte sich vor dem Tag. Im neuen Licht erschien der gestrige Abend wie ein Traum.

Heute würde es Spiegelei zum Frühstück geben. Und Toast.
Und das Genug würde nach Hause gehen.
Und sie würden den ganzen Tag im Gras draußen sich aneinander betrinken.
4.
Die längste Nacht des Jahres.

Paul zögerte.

-Du meinst die kürzeste. ?.

Alice sortierte ihre Waden, die rechte kam auf die linke zu liegen. Unter der Sohle drückte das Balkongeländer.

- Nein, die längste. Sie ist länger als alle Nächte. Im Winter kriegst du das ja nicht mit, da ist alles gleich lang. Aber jetzt ist alles kurz. Man will leben.
Sie zog an ihrer Zigarette und sondierte die Distanz zum Mond. Der blähte sich auf, unter ihrer Aufmerksamkeit. Die Schauer der Luft schienen sie nicht zu erreichen, das Kühlsystem reagierte nicht. Ihr war warm, von außen nach innen.
Du meinst, im Sommer bekommt man den Wert mit?
Paul hatte seine Stimme tiefer gelegt.
-Die Kostbarkeit, sagte Alice unverdrossen. " Man sollte mich Alice Unverdrossen nennen", dachte sie.

Atempausen ungerechnet, wieviele Pausen macht ein Mensch, wenn er sprechen will? Wie viele Stunden unseres Lebens verbringen wir damit darauf zu warten, dass ein anderer etwas sagt?
Alice genoss die Stille, und er auch.
An Beider Ohren wäre das Rauschen der Bäume zu hören gewesen, in der Nähe des Anderen, oder war es auch. Aber die Stille wog über.
Ich denke dauernd an das Gewicht des Glücklichseins, sagte sie nach einer Weile. Dabei sank ihre Stimme auch, wie ein Lot, ein Anker, in die dunkle Tiefe des Wassers. Wie beim Tauchen, ging ihr Ohr zu.
An das Gewicht, das zieht, das die Dinge länger macht, den Lebensfaden ausdehnt.
Im Sommer dehnen sich die Dinge aus, liegt an der Temperatur wahrscheinlich, und alles erscheint näher und länger.

-Oder breiter und kürzer, schlug seine Stimme schelmisch ein. Sag mal, hast du was geraucht?
Sie wechselte die Wadenkoordinaten. So eine Frage erfordert ene Repositionierung. Sie lachte erfrischt.

- Nein.
-Hm.
Hörst dich so an.
• ...
• Wie hast du den Tag verbracht?

Alice`s Grinsen mündete in echter Heiterkeit. Sie schwang die Beine und stand auf. Durch den Vorhang glitt sie ins Zimmer:

- Mit Masturbieren.
• Hey, das ist mal ein Wort! Und, jetzt biste relaxed?
• Jah.

Sie lachte ermunternd und er zurück.
Aktives Teamlachen ist eine Sportart, hatte sie mal gesagt. Immer öfter fiel ihr auf, dass es zu Höhenflügen kam, wenn Menschen zusammen lachten. Aber sie hieß Unverdrossen, und deshalb fügte sie hinzu:
- Ja, relaxed. Mir fehlt es an nichts.
-Bist du sicher?
• Ja. Jetzt ja eh.

Paul prustete:
-Bist du sicher?
-Oh, Mann.


Alice schwankte. Es schien bedeutungslos sich ihm mitzuteilen, aber auch möglich. Sie wog ab, ob das Hingezogensein zur Kommunikation ihre Nichtmitteilbarkeit übertraf.
- Was macht man in der längsten Nacht des Jahres?
• Der kürzesten,
korrigierte er wieder.
Hm. Was denn?

Er hätte erzählen können, dass er die Nacht in der Praxis verbracht hatte. Dass es um Mitternacht klingelte, weil eine Wachgesellschaft Licht erspäht hatte. Dass Constanze und er noch morgens um Vier in den Keller gegangen waren, weil sie erzählt hatte, dort hause eine Fledermaus und er hatte ihr in beherztem Minenspiel das Tier mit ritterlichem Schwertfuchteln verjagen wollen. Dass Constanze in einer Ecke stand und lachte, gekrümmt, während er spontan erinnerte Villon-Fragmente schmetterte und auch etwas von Bergerac, also Rostand, und sie waren fast umgefallen in ihrem Ablachen.
Und dann waren sie eingeschlafen, die Sonne schon da, und ein Zettel an der Tür mit dem handgezitterten "Do not disturb" sollte ungläubig morgens hin und her gedreht werden beim Lesen.
Er hätte alles erzählen können und tat es nicht.
-Ich hole dich ab, wir fahren raus und gucken am Waldrand der Nacht zu. Ja?

Alice stand in der Mitte es Zimmers, barfuß. Das Holz unter ihr kühlte schon aus. Sie wog ab, wie weit es zum Mond reichen würde, wenn sie es zuließe, ganz da zu sein. Der Vollmond hatte sich unter ihrem Blick verdoppelt. Vor Freude, dachte sie, und sagte:
Ja. Hol`mich ab. Ich ziehe das blaue Kleid an.
Und legte auf.
Er schüttelte den Kopf. Sie machte einen entrückten Eindruck. So kannte er sie noch gar nicht. Das verpeilte Mädchen, die "Ledermaus", damals " ohne F " genannt, die mit ozeanblauen Haaren in seinem Jugendzimmer genächtigt hatte, nachdem sie zu lange -


achwas. Sowas schreibt man nur hin, weil es den Leseraum auffüllen soll, oder?
Wer will das wissen? Das ist ja hier keine Historie. Es geht nur um Jetzt.
Man benötigt keine Vita, um da zu sein und diese Geschichte auch nicht. Ja, doch, natürlich. Es ist eine Geschichte, aber was er-zählt die nur?
Allein das Gesprochene, das Mitgeteilte, gibt den Dingen Gewicht.

Sowas hatte der Marquis mal gesagt. An dem einzigen Abend, da Paul ihn getroffen hatte. Und das war lange her. Und so war es dennoch eine Geschichte, allein zu erinnern, w a n n es gewesen war. Man kam nicht um die Geschichten herum, es gab immer eine. Und sie auszulöschen mehrte auch nicht das Gewicht.
Deshalb erzählte Paul nichts. Nichts von den Verkettungen, die den Raum zusammenfügten. Er verzichtete nicht nur darüber zu reden, er vergaß sie sogar. Wenn wir es schaffen, in einer Waagschale das Verbundene und in der anderen das Lose zu halten und es in der Nabe nicht unbehaglich, sondern warm wird, dann haben wir das Schaukeln der Balance. Die Wonne der Bewegung.
Paul erzählte und dachte an dem Abend nicht an Consuelo, die er zu besuchen sich aufgemacht hatte. Nicht an Constanze, deren Haar Alice an der Tür bereits wird vorfinden, als er sie abholt, an seinem Hemd. Nichts von alledem hat Gewicht und irgendwie ist an Geschichten das wertvoll, also kostbar, dass sie schweigen können. Wie das Leben, entfalten sie sich erst im Verschweigen. Das Hinter-den-Dingen gibt ihnen Gewicht.
Ist der Winter die Zeit des Schweigens, ist der Sommer die des Nichtaussprechens, was etwas völlig Verschiedenes ist.
Nichtaussprechen macht reich, eröffnet alles, was man sonst abgewählt hätte. Schweigen verschließt es. In der Nacht, unter der Johannis-Eiche, liegen sie da, zwei Fremde, die gemeinsame Erinnerungen haben. Es ist die kürzeste längste Nacht des Jahres und keiner sonst war dabei, außer der Leser. Geschichten, in denen der Leser dabei ist, und sonst keiner, sind keine Kriminalgeschichten. Sie sind Artefakte. Sie bilden die Realität ab, indem sie den Beobachter ausschließen.
Ob das nun Alice dachte oder Paul, wird unklar bleiben.
Wen kümmert das schon? Wenn das Leben sich selbst niederschreibt, ist es im Nachhinein gleich, ob man Schöpfer oder Erschaffener war. Nur die Mitteilung zählt mehr.

Ihr war warm, von innen nach außen. Den Mond buk der Himmel gar. Nach Mitternacht atmete er auf und erfüllte den Raum um den Waldrand mit Licht. Danach begann die Dunkelheit.
Wie immer, wohnen wir unserem Davonstreben und Auflösen bei. Nach der längsten Nacht kommt die kürzeste. Und dann das Rauschen der Bäume dazu, so wir es hören.
16einhalb oderso
Paul war damals ein Schaf zugelaufen.
Eines Morgens, genauer gesagt am 4. August des Jahres vor dem Frieden, just als die Sonne über dem Bergkamm hervorsah und das Gras vor seiner Hütte im eigenen Saft zu schimmern begann, an einem Almmorgen also. Zu spüren war, dass sie später erschien als im Hochsommer, und dass der Schatten der Felsen eine Eigentümlichkeit besaß, die man mit graublausamtigem Entlangschleiern übersetzen könnte. Und dass ein Lebewesen im Garten war. So jedenfalls bemerkte es Paul, als er die Teekanne mit Wasser füllte, das er vorher, noch verschlafen, aus dem Brunnen geholt hatte. Der Blecheimer fühlte sich eisig kalt an. Und als das Wasser wieder gurgelte, musste er hinaussehen, weil er genau wusste, sie war da. Griseldis, sollte sie heißen. Sie war allein und grau. Oder weiß. Oder wollweiß eben, nur genau das war sie nicht. Ihre Zottel hingen noch klamm herab und sie sah zu ihm herüber, als hätte sie vorher eine Türklingel betätigt. Geradeheraus und wissend. Ihre Ohren waren im Fell versteckt und ihre Nase glänzte feucht unter den unerbittlichen Augen.
Paul sah mehrmals hin, eh er sicher sein konnte, nicht zu träumen. Ihre Herde hatte im Sommer öfter unter seinem Bergkamm gegrast. Koi, der schwarze Mischling des Hirten, hatte ihm einmal, wie in verspieltem Zeigen, ein Schaf hinauf gelotst, aber Paul hätte nicht sagen können, ob es dieses war. Griseldis hatte eine hellere Strähne am Hinterkopf. Stand da und guckte nur. Das Wasser auf dem Herd begann zu sieden, als er langsam und bedächtig in Richtung Gartenzaun ging. Im Grunde hätte sie, er ahnte, es war ein weibliches Schaf, über die nur erahnbare, niedrige, steinerne Umrandung treten müssen, aber sie stand da, als sei ein Tor zu passieren. Paul´s weiße Teekanne wartete in ihrem weißen Schmelzmantel.
Er ging vor, in langsamen Schritten und als er vor dem Tier stand, und dessen herbes Erderoma zu ihm wehte, beugte er sich etwas tiefer. Sah ihm ins Gesicht. Und Griseldis sah zurück. Als hätte sie genauso gut wie er ihren, seinen Geruch zuordnen können. Er öffnete das nicht vorhandene Tor, indem er einen Schritt zurückwich und sie mit einer sparsamen Geste einlud. Woraufhin sie mit leise stampfenden Schrittfolgen einige Tritte in das Innere des Gartens tat, den Paul mit Kräuterbeeten angelegt hatte.
Nun stand das Schaf in seinem "Hof", also dem Areal, das er für sich meinte dem Berg abgerungen zu haben. Seinem intimen Bannkreis, wie ihm schien. Nichtmal der Postbote wagte es in die nicht vorhandene Umzäunung hineinzurufen. Er blieb "draußen" stehen. Das Tier stand da und trat wechselnd in kaum sichtbarem Trab auf seine Hufen herum.

Nachdem er den Tee getrunken hatte, immer noch. An derselben Stelle wie davor, fast unbewegt und in Beharrlichkeit. Graublausamt begann schon in Lavendelfeld zu wechseln, also am späten Vormittag, als sie, also Griseldis, einige Schritte in Richtung Hüttentür tat. Und wartete, wie ein geduldiger Vertreter. Eh er sie entdeckte, nach der morgendlichen Yoga-Session, dem Wasserwechsel im Aquarium, der Dusche hinter der Hütte, die aus dem Wasserbeutel quoll. Er öffnete die Tür und ließ das Schaf herein. Erst jetzt war die schwarze Blase an ihrem Huf zu sehen.

Den Vormittag verbrachte sie auf seinen Bambusmatten auf dem Boden, liegend, als ob sie erst jetzt entdeckte hätte, wie sehr sie das Liegen benötigte. Und sie genas vollständig innerhalb der nächsten Tage. Ein Anruf ergab, der Schäfer war ins Tal zurückgekehrt, als Paul am 4. September verstand, dass er nun ein Haustier für den Winter hatte.

Griseldis lebte sich ein, malmte am Heu mit artiger Gelehrsamkeit und stand häufig für Nächte außerhalb des Gartens, wie ein Wachhund, eh der Winter hereinbrach.
Sie sollte dann Constanze herein bitten, als jene am 4. Dezember des Jahres nach dem Frieden aus Romuald´s Taxi stieg, um an einem Yoga-Seminar teilzunehmen, das fälschlicherweise noch als buchbar angezeigt worden war.
Der Schnee ließ auf sich warten. Erst an Neujahr gab es frischen, neuen, und Griseldis nächtigte in der Küche, am Fuße der Anrichte.
Vorher waren Constanze´s ehrlich kurze Fingernägel in ihrem Fell gewesen und Consuelo´s langrote Lackfinger danach, und das Schaf hatte zu lernen gehabt. In der Neujahrsnacht standen sie alle vier draußen herum, innerhalb des Felsentrichters, und schrien ihre Echos in die Himmelsnacht. Unten im Tal hatte man Feuerwerk gezündet, Griseldis kümmerte das wenig, sie hatte ihre Heimstatt gefunden. Die Schwestern aber jubelten sehr, verhexten den Yogalehrer zunehmend in die Unmündbarkeit, ließen Champagnerkorken knallen, enthoben ihn seiner Hirtenpflichten, entsagten sich des Hungers ihn vollends zu verführen, tranken und sangen und ließen sich von ihm fotografieren, zerrten ihn zur Morgenstunde ins Bett und wärmten ihn mit ihren wohlgeformten Hintern unter dem Laken, beklagten spielerisch das Rauhe der Leinen und seine hinreißende Schüchternheit, schliefen ein, des Hungers gesättigt, auf ihrem Bretterbett und
am frühen Nachmittag des ersten Januar hatten die Schwestern ohne Absprache Griseldis einfach zu einem Spaziergang mitgenommen. Das Schaf lief anmutig neben ihnen her und als er, Paul, den Tee zum frischen Mittag aufgesetzt hatte, trudelten sie zu dritt ein, drei blökend vor Lebenswille berstende Schafe, davon eins im Lammfellmantel und roten Stiefeln, eins im schwarzen Bergmannssuite, und eins in reinem Wollbehagen.
Zum Tee gab es Rum, es gab indische Ragas vom Band, stromgeneratorseidank, und es gab ein langes Gespräch hinein in den zweiten Jahrestag.
Zu diesem Zeitpunkt hätten nicht einmal Griseldi´s Ohren hören können, wie tief hinein die Verbindung der Schwestern reichte. Paul ahnte es allenfalls. Beide schliefen ein, wie zwei unbesorgte Delphine, an seinen Bettkanten. Und er drückte sich hinein, in ihre Luke, und genoss das Hereinbrechen seiner warmen Selbstschau wie eine Kaskade aus Behaglichkeit. Die Wasser des Lebens.

So war das, mit Griseldis.
****e_H Mann
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Griseldis
vor der Erleuchtung.

[Der Film zum Buch,]
Ovce na ispaši.(Slowenien Nord)
*
Er nahm den Aschenbecher mit, als er zum Tresen hinüberging, und leerte ihn mit einer routinierten Geste, eh er sich selbst und Alice einen weiteren Whisky einschenkte. Der Bewegungsradius des Wirtes war ihm anhaften geblieben, obwohl er seit Jahren nur zu besonderen Gelegenheiten noch an der Bar stand. Er sparte Raum und Kraft und störte nicht die Ufer anderer, wie alle, die in engen Räumen zu leben gewohnt sind. Sein Gang geriet etwas kurzatmig, als er wieder hervorlugte und auf sie zuschritt, die Gläser zwischen den Fingern balancierend. Seine schwarzen Schuhspitzen glitten über dem Boden wie über Eis, er sah auch hinunter, wie einer, der in Gedanken woanders ist und nicht ganz in seinem Körper.
Als er saß, lud ein kleiner Wink Alice ein ihre Beine wieder über seine Knie zu legen, und als sie das tat, begann er wie im Traum befangen über ihre Hosen zu streichen, wie vorher auch schon. Sie griff nach dem silbernen Etui und nahm eine vorgedrehte, weißschrumpelige Zigarette heraus, sie fischte sie, wie man so sagt, wie einen kostbaren Fisch. Der Marquis irgnorierte es und auch sie war sich sicher, heute würde er keine Ermahnung ob des Rauchens anfügen. Heute war er der Erzähler, und sie hörte ihm seit fast einer Stunde nur noch zu, nachdem sie den Großteil der Neuigkeiten gar nicht loswerdend, nur eine lange, innig-staunende Begrüßung einander geschenkt hatten. Er hatte einfach begonnen zu erzählen, während der alternde Spätsommerabend behutsam um die Fenster schlich und nun war es innen so dunkel wie draußen. Nur an der Bar leuchtete die orangefarbene Notnachttischlampe, die sie alle Notnachtischlampe nannten, weil es einfacher auszusprechen war.
-"Und dann..." nickte Alice ermunternd, "dann kam der Abend des Tages", fügte sie wie vorwegnehmend hinzu.
-"Der Abend des Tages" rezitierte der Marquis verträumt. "Ja", strich er über ihre schwarzledernen Hosenbeine, "dieser Tag war ein einziger Abend. Wir fuhren dann nach Hause, wie immer. Wie an jedem anderen Tag. Im Zug lehnten wir wie zufällig unsere Köpfe an die Schulter des Anderen, immer wieder..."
Alice`s Gesicht erhellte sich. Sie rutschte etwas aufrechter und seine Stimme wurde rauher. Und süßer. Es roch plötzlich nach Holz im Raum. Und ihre Zigarette war erloschen.
-"Wir saßen dann bei mir und haben Musik gehört. Ich hatte noch die ganze Plattensammlung. Sie grinste nur, kreuzte ihre Beine auf meinem alten Sofa und grinste vor sich hin. Ich habe sie angesehen, sie strahle einfach. Und ich strahlte auch, war ein unglaublicher Tag gewesen. Wir waren ganz entspannt. Dachten wir jedenfalls. Es strahlte im ganzen Zimmer, und ich habe es nicht mitbekommen, eh sie aufstand und sich über mich beugte. Und mich geküsst hat. Wie immer, nur blieb sie diesmal bei mir und zog sich nicht zurück. Ich hatte ihren Mund über meinen und sie ging nicht mehr fort. Das war unglaublich, ich konnte es nicht fassen. Sie blieb, und wie sie blieb, hat sie mir etwas eingehaucht, und ich hab meinen Mund geöffnet und hab begonnen sie einzuatmen. Ich weiß noch, wie durstig ich war. Ich habe sie eingesogen, und ihr Mund blies mir Lebenskraft ein. Das kennst du sicher, es steigt wie eine Säule in einem auf..."
-"... Ja, wie ein Celsius-Rohr."
-"Genau, du bist machtlos. Die Temperatur in deinem Leben steigt an, du wirst fiebrig. Und gesundest im Eiltempo. Von allen Fragen, du willst nur Mehr. Mehr davon."
Seine Hand hielt über ihren Wadenbeinen inne, wie ein Kamm, dem wunderlich die Locken entweichen. Sie schwieg, den Kopf etwas zur Seite gelegt, und mit leuchtenden Augen ihm zugewandt. Die Atempausen wurden kürzer und die Rede des Marquis wurde flüssiger und beherzter. Im Raum roch es nach Bienenwachs und Zeder und die wenigen Schatten sillhouettierten wie Gasthörer an den Wänden entlang.
"Mehr, mehr. Nicht aufhören ... Ich sehe noch ihr Gesicht über mir, seltsam glatt, voller Aufmerksamkeit, mit geschlossenen, ruhigen Lidern. Sie hat mich genauso eingeatmet, wie ich sie. Wir hatten diesen Austausch, glaube ich. Haben eine Münze gegen einen Wert eingetauscht und waren in einem gemeinsamen Boot, im gleichen Wasser. Und am Kiel hatten wir beide das gleiche Gewicht. Etwas segelte durch uns durch."
Er schwieg und Alice verzichtete darauf, mit dem Etui ein Geräusch zu machen. Sie hielt still an.
"Sie blieb an mir und hörte nicht damit auf. Dann habe ich verstanden, sie bleibt. Sie weicht nicht mehr aus. Nach den Jahren der Küsschen war der Abend des Kusses gekommen und sie hatte ihn eingeläutet. Und weißt du, wir Menschen sind begabt, wir erkennen sofort, wann es tief innen klingelt. Wenn wir gescheit sind, öffnen wir dann unversehens die Tür. Ich kann mich erinnern, ihr auf der Treppe nach oben nachgegangen zu sein, da machte sie noch eine Bemerkung über ihre Steilheit, ging aber unverdrossen weiter, ohne Vorsicht. Und wie sie dann auf dem Bettrand saß, wie eine, die weiß, was geht. Ich fand sie so zauberhaft, dass ich sofort vor ihr kniete und ihr mein Gesicht entgegenstreckte, wie einem Sonnenstrahl. Und sie hat es dann auch in ihre Hände genommen, wie um sicher zu sein, ich bliebe da. "

...

" Ich erinnere mich an ihre Haut; konnte es nicht fassen, wie geschmeidig die war, sie war seiden. Sie war jung. Ich war ganz entgeistert und habe sie nur abgegangen, wie ein Schulbub, wie ein Wunder. Sowas hatte ich nicht erwartet, diese ausströmende Wärme. Sie war ein Honigkuchen, sie war einmalig warm und weich. Ich wusste nur, da will ich eintauchen! Da muss ich hin. Alles war weg, kein einziger Gedanke war noch da, nur, dass ich da hin muss.
...Sie hat mich geheilt. Und sich. Das war damals eine Trauung im Sine des Wortes, wir haben uns getraut. Wir waren von der Angst geheilt worden. Die war ganz woanders und wir waren in einem andern Land. Ich habe vor ihr gelegen, eingekeilt zwischen ihren Schenkeln, und habe mich betrunken."
Alice´s Gesicht wurde herzförmig bei Zuhören. Die Dunkelheit hatte alles erfasst, es gab nur noch das Licht zwischen ihr und dem Marquis, das körperlos herabrann und das Notlicht übertönte. In die Nacht hinein flossen nun Worte.
"Sie lag da, wie eine Mondsichel. Ich hatte sie vor mir und meinte den Himmel zu fassen. Ich höre noch das Gurren und das Bitten, nicht aufzuhören. Ich höre jeden Laut, den sie tat. Sie hat mich an dem Abend beschriftet, unumstößlich beschrieben, mit d e r Geschichte meines Lebens. Mir zum ersten Mal eine Botschaft vermittelt von weiser, barer, unverfälschter Lebendigkeit. Sie war die erste, und letzte auch, die mir die Stille gezeigt hat. Hatte keine Beiworte, sie lebte ohne Beiwerk und gab sich hin. Ich habe sie ausgeschlürft und konnte selber nicht mal einen hochkriegen, das wäre mir zu eindimensional gewesen. Der Sturz aus dem Traum. Hab´ sie geleckt mit einer Hingabe und Geduld wie nie zuvor, ich hätte sie fressen können. Dann kam sie mir in die Handfläche, wie ein tollgewordener Pfirsich, und ich hab ihren Stößen standgehalten. Ich kam mir vor wie ein Recke auf dem Feld, jung und blutdürstend. Ich hab es ihr so königlich besorgt, dass ihre Schenkel mich gedrosselt haben und ich habe mich beim Griff um meine Handgelenke gefühlt wie gekürt. Gekrönt.
Ich sehe sie noch vor mir. Weiß um ihre Mädchenbrüste noch, den Glanz der weißen Haut, die die Sonne nicht beschienen hatte. Dann lag sie da. Und ich habe sie ewig angeschaut, weil ich dachte, so ein irdener, klangvoller Ton kann unmöglich einem Menschenleib entquollen sein. Sie war eine Schönheit. Eine echte Schönheit..."

...


Alice´s geschlossener Augwinkel entließ eine Träne. Die Zeiger der Wanduhr schienen stehen geblieben zu sein, es war immer noch kurz vor zehn. Etwas hielt die Welt an. Draußen fuhren ein Paar Scheinwerfer vorbei. Der Marquis hatte ein Ohr in eine unbestimmte Richtung erhoben, und hinter seinen Lidern herrschte Unbewegtheit.
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