- > Ja,
das i s t der "Was-ist-Philosophie ?"-Fahrstuhl. Steig´ ein, wenn du nach oben willst<.
Der Junge betritt die Zelle und die Türen schließen automatisch. Er schaut hinauf.
> Bist du bereit<?
Ein Nicken.
> Gut, es geht los. Wir schauen aus dem Fenster. Bis zur nächsten Etage sehen wir vor uns die milchigen Kreisel der Galaxien und die Unendlichkeit der Nacht. Es ist still, wenn man vom Summen der Milliarden Werke da draußen weghört. Während wir nach oben reisen, erschaffen wir die Zeit, an deren Seilen der Aufzug hochgezogen wird.
... Wir stoppen, und die Türen gehen kurz auf... hach, es gibt Atmosphäre zu schnuppern... Riech mal... das ist der Duft der Ufer, Strände und Meere. Der von Wasser und Sand. Wir sind zwischen Himmel und Erde angelangt. Soll es weiter gehen?<
>Ja<, haucht der Junge, und die Fahrt geht weiter.
> Bis zur zweiten Etage darfst du spähen... merkst du, wie es im Wasser zu leuchten beginnt?<
>Ist das der Sonnenuntergang, der sich spiegelt?<
> Nein, es sind die Proteinfäden im Meer... sie winden sich um sich und verlängern sich... dabei erzeúgen sie Bioelekrizität. Das Leben leuchtet aus sich heraus. Es wächst, indem es sich vervielfacht und selbst spiegelt. Und dabei Neues zulässt<.
> Ist das der Glanz der Heiligenscheine<?
> Die Glorie? Wohl ja, nur ist eben alles Lebendige dann heilig. Machen wir weiter?<
Das Nicken ist entschlossen, seine Augen sind geweitet.
>Bis zum dritten Stockwerk hören wir das Plätschern. Sobald dort die Türen öffnen, wirst du einen Delphin spielen sehen, achte auf ihn. Er springt aus dem Wasser und neben ihm ist seine Delphinfrau. Sieh dir das an, ist es nicht wunderschön? ...<
...
Auf der vierten Ebene ist eine Hütte zu sehen, die erste Behausung. Die Steppe und die Savanne haben die Wüste verdrängt und die Wälder wachsen ins Land. Stein und Messer sind die Insignien, die Symbole dieser Zeit. In den Höhlen malen unsere Ahnen mit Ocker Silhouetten und schmücken ihre Hälse mit Tierzähnen. Ihre Kinder lernen die Jagd und überleben ihre Kämpfe öfter, weil sie ihr Wissen weiter geben. Es wird heller, denn die Feuerstellen mehren sich.
...
Pfeil und Bogen regieren die Zeit der fünften Ebene... Ein Häuptling hat ein Land, das ist ihm untertan. Und ein König ein Reich, das er nicht mehr selbst mit Schritten abmessen kann. Die Zivilisation entfaltet sich als unterschiedliche Ausprägung von Macht und Kontrolle. Über einen anderen Menschen, über die Überlebenschancen. Die Felder drängen sich in die Wälder und der Mensch beginnt die Erde abzuroden. In seinen Lagerhäusern hält er Vorräte und sein Wissen schreibt er nieder. Die Papyrusrolle führt uns in den sechsten Stock.
...
Die Hütte ist ein Palast geworden und aus den Wäldern wurden Gärten. Längst hat man die Formen der Erde erkannt und nachgeahmt und nun beginnt man den Himmel nachzuahmen. Hochstrebende Säulen treffen sich in immer höheren Mittelpunkten und die Gelehrten befragen sich gegenseitig nach dem Ursprung und dem Sinn ihres Daseins. Sie vermitteln ihre Fragen an andere weiter und diese fügen ihre Antworten hinzu. Das Kulturgewebe beginnt zu wachsen und die Natur von sich abzuspalten. Man wird stolz darauf, dass man denkt. Also mehr als lebt und noch mehr als überlebt. Die Kaste der Wissenden bildet sich heran und
...
bis zum siebten Stock sammelt sie und hortet und sortiert.
Dort aber siehst du den Astronomen. Den Historiker und den Mathematiker, aber vor allem den Drucker. Das Buch beginnt sich zu verbreiten und mit ihm die Wissenswelle. Im Gegenzug, als ob wir auf Baumrinde schrieben, beginnen die Wälder zu schrumpfen. Wir sind nah an der heutigen Zeit, die letzten Seufzer der Natur sind zu hören.
...
Denn auf der achten Ebene wurde aus der Silbe Zahl und aus Satz Abfolge, und wir hören die Lochkarten durchsurren. Das ist das Zeitalter der zur Sprache gebrachten Kommunikation.
Von hier aus kann man hevorrragend auf die hinter uns liegenden Stockwerke blicken, das gesamte Wissen ist darunter verkeilt, an den Seilen entlanggefasert, auf denen wir hochgezogen werden.
...
Bis zum neunten Level haben wir eine Schau über alles. Hier ist das Synchrone zugleich deutlicher wie auch versteckter, der blinde Fleck des Sehers ist riesig geworden, wir haben uns von der Basis zu sehr entfernt. Die Zeit wird flüssig und formbar, sie verliert ihre Konsistenz und wir halten im Jetzt still und inne. Immer öfter. Unsere Optik ist ein Erfassen, aber kein Sehen mehr, aber dahinter beginnt das Schauen.
Sieh also hin, wie wir beide aus dem Fenster blicken, hier, jetzt, du und ich. An diesem Punkt. Denn nun öffnen sich die Türen und unsere Reise ist vorbei. Wir sind angekommen in der Philospophie, der letzten Etage. Alles ist da. Nur
wie?
Der Junge zögert. Die offenen Türen entließen uns auf ein Bergplateau, windumtost und von einer scharfen Sonne durchpfeilt. Er sieht mich an.
> Das kann nicht stimmen, sagt er. Das ist erst der neunte Stock. Was ist bis zum zehnten noch?<
Ich lächle. Erwischt hat er mich. Ich entgegne selbstsicher:
> Das ist der zehnte. Du hast nur nicht mitbekommen, dass es einen unterirdischen gab. Die Etage zwischen Null und Eins. Oder?<
Der Junge blinzelt, als ob er mir nicht glaubte.
> Wie alt warst du, bevor du ein Jahr alt warst? Hm?<
Er grinst.
> Und bevor du geboren wurdest? Da unten war das Reich der Zahlen, der reinen Ideen, das der Funktion. Also wenn ein Eines in einer Abhängigkeit von einem Anderen steht, der Beginn des Unterscheidungsvermögens. Eins und Zwei. Ich und du, du und ich, wer zuerst war, kann keiner mehr sagen. Aber beiden, Eins und Zwei dämmert, dass sie im Selbstansehen eine Drei herstellen. Die Drei ist das Kind, die Liebe, die Synthese, der Raum und die Essenz.<
Ich punkte, meine ich, und weiß, es wird Zeit meine kleine Vorstellung als Lebensweise langsam abzuschlie0en und will mich verabschieden. Da ruft er nochmal:
> Und was ist mit Gott? Wo ist Gott, auf welchem Stockwerk?<
Ooops. Achso, jetzt fällt es mir ein:
> Wären wir um den Aufzug herum die Treppe hinauf gegangen, er wäre das Geländer, an dem man sich festhalten kann.<
Der Junge sieht mich so an, als ob ihm die Idee gut gefiele. Während die Türen schließen und meine Fahrt wieder zur Ausgangsstelle führen wird, werfe ich noch hinterher:
> Und denk` dran, es könnte auch ganz anders sein<.
Neben mir, parallel, beim schwebenden Hinabfahren zum Grund, meine ich Gott zu ertappen, wie er jubelnd das Treppengeländer hinabrutscht, mit einem Bubengrinser im Gesicht.
Jaja, mach nur. Du kannst dir lange Reisen leisten, denke ich, während der Aufzug in die Tiefen gleitet.
( das ist eine kleine fingerübung, ohne die idee der vollständigkeit oder gar des wahrheitsgehalts runtergetippt, reines brainstorming-
danke für diese gelegenheit, mujer).