Den Fokus verändern
Hallo Domsub,
da gerate ich jetzt ein wenig ins Schleudern. Ich habe gedacht, in diesem Thread könnten wir es gemeinsam erkunden. Denn es braucht Zeit und ich hoffte, auf Argumente und Gegenargumente zu treffen, die es mir erleichtern, eine Position dazu zu finden. Zudem ist man meiner Schreiberei hier schon überdrüssig. Auch das motiviert wenig.
Ich will also versuchen, meine unreifen Gedankengänge dazu aufzuschreiben. Bitte seht es nicht als fertig an, wird wohl eher eine Skizze werden.
Ich glaube und hoffe, dass der Wegfall der Instanz freier Wille in erster Linie dem Hochmut, den der Mensch gegenüber der Natur hegt, einen Dämpfer geben wird. Der freie Wille wird als ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen gegenüber der Tierwelt gesehen und diesen gibt er ungern auf. Er ist zu stolz auf seine Errungenschaften, als dass der große Gedanke der Freiheit schlechthin mal eben über Bord gekippt werden kann. Sie scheint uns unser größtes Gut.
Die Freiheit haben sich viele Staaten auf die Fahnen geschrieben. Das kommt aber aus einer Zeit, wo es noch Leibeigentum gab und bedeutete damals etwas anderes als heute. Es bedeutete die Freiheit von der Knechtschaft. Im Grunde hat heutzutage jeder Deutsche die Freiheit, die damals gefordert wurde. Es war ein politisches Schlagwort und ist heute verkommen zu einem Wertebegriff ohne Inhalt. Freiheit gibt es immer nur von etwas. Von was der freie Wille frei sein sollte, erschließt sich mir nicht.
Dennoch, und vielleicht gerade aus dem beschriebenen großen historischen Gefühl, wollen wir unser liebstes Kind nicht opfern. Und so hat sich der freie Wille bis heute gehalten als die geistige Instanz, die das Gute ausmacht und das Schlechte verhindert. Ich sehe keinen Menschen, dessen Wille eingesperrt ist und deshalb befreit werden müsste. Genau so könnte ich von einer freien Armbanduhr reden, es macht für mich keinen Sinn. Alle Fragen diesbezüglich (wovon ist der Wille frei?) wurden hier nicht beantwortet.
Die Entlarvung des Begriffs des freien Willens ist überfällig in unserer Gesellschaft. Ob die Welt deterministisch ist oder nicht, glaubt doch ein jeder an Ursache und Wirkung. An die Wirkung von Erziehung zum Beispiel. An die Wirkung von sozialen Einrichtungen oder aber auch an die zu erwartende Wirkung, deren Ursache darin liegt, dass es heute viel mehr Einzelkinder gibt, die quasi elternlos und durchgehend in Instutitionen aufwachsen. Es scheint eine Übereinkunft zu geben, das unser erkennbares vierdimensionales Erleben zumindest teildeterministisch ist. Wenn dem so ist, haben wir also Einfluss auf unser Geschick (was für ein schönes Wort!).
Wir sind in eine Zeit "geschickt", die uns viel abverlangt. Wir müssen nicht nur die familiären, ländlichen, städtischen bis nationalen Fragen des Zusammenlebens wuppen, sondern immer mehr auch die globalen. Eine schwierige Aufgabe, die meines Erachtens ein Mehr an Kommunikation braucht, ein Mehr an Aufmerksamkeit für die gemeinschaftlichen Belange. Es ist nur der Fokus, den ich anregen will, zu verschieben. Der Fokus sollte weg von der persönlichen Freiheit hin zu einem Gemeinschaftsdenken gehen und das erfordert neue Sichtweisen.
Die Themen Schuldprinzip und Strafe können da stellvertretend für eine solche veränderte Fokussierung stehen. Nicht der einzelne Missetäter sollte im Blickpunkt stehen, sondern die Gesellschaft, die es hat zulassen können, dass ein Teil ihrer Gemeinschaft nicht gut funktioniert. Nicht die Abschreckung durch Strafe, nicht die Ausgrenzung und das Einsperren der Delinquenten sollte im Vordergrund stehen, sondern eine Gesellschaft, die vorsorglich solchen Individuen erspart, in eine solch missliche Lage zu kommen.
Das Strafen und das Wegsperren sind Gesten einer hilflosen Gesellschaft, die es nicht schafft, soziale Gerechtigkeit herzustellen, es nicht schafft, allen ein angemessene Bildung mit zu geben und es nicht schafft, alle Mitglieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Es sind nicht zuletzt Gesten einer überkommenen Auffassung, die sich an die Existenz des freien Willens klammert. Deshalb finde ich Entkriminalisierung so wichtig. Versteht die Täter anstatt sie zu strafen! Lernt von ihrem Geschick! Das bedeutet erhöhten Kommunikationaufwand. In der Erziehung sowie auch in der Betreuung von "straffällig" (auch bezeichnend das Wort) gewordenen Mitmenschen.
Freiheit, Strafe, Wegsperren, Schuld sind Begriffe, die im Mittelalter Sinn machten, heutzutage aber in den Hintergrund treten dürfen. All das natürlich mit meiner Deutschen Brille gesehen. Viele Länder sind da noch weiter von entfernt.
Ich komme zum Anfang zurück. Auf den Hochmut und das Alleinstellungsmerkmal. So stolz wir auf Letzteres sind, so sehr trennt es uns auch von dem, was wir Natur nennen. Im Rahmen von Überlegungen, wie wir uns in Zukunft weltweit ernähren, wie wir mit Ressourcen und Klima umgehen, erwarte ich heute eine Sichtweise, die Stein, Pflanze, Tier und Mensch nicht trennt, sondern als gleichberechtigte Evolutionspartner ansieht. Wenn wir da ein bisschen mehr Grips haben als andere, so fordert das auch die besseren Ideen und eine größere Verantwortung für's gemeinsame Geschick.
Lasst uns schwärmen und schauen, wie wir uns synchronisieren können anstatt diese pisselige persönliche Freiheit hoch zu halten.