7 Wochen ohne Vorurteile
Die Idee ist nett, aber ich selbst halte den Wortgebrauch für eine Sprachverirrung. Ohne Vorurteile kann ein Mensch nicht leben, weil die Komplexitätsreduktion unserer Umwelt notwendig ist.
Beispiel:
Du steigst in eine Straßenbahn und der Blick schweift kurz über die Anwesenden. In der Regel fällen wir über jeden Menschen (und evtl. Hund) ein Vor-Urteil dass diese Person harmlos/normal ist und keine Gefahr für uns darstellt, oder das eine Gefahr vorhanden ist. (Man denke nur an eine Gruppe Glatzen, die einen schon beim Einstieg finster mustern.)
Dazu kommen meist noch andere Vor-Urteile (Geschlecht, Attraktivitätslevel, Sympathie), wie uns die gesamte Forschungsbreitseite von der Soziologie bis zur Hirnforschung aufzeigt.
Da wiederum drauf kommen Vor-Urteile über uns selbst, z.B. ob wir angemessen gekleidet sind, sympathisch wirken etc.
Das alles sind Vor-Urteile, weil sie nicht fundiert und recherchiert, reflektiert und im Austausch mit anderen verifziert sind. Sie sind notwendig und unausweichlich und stellen meiner Meinung nach auch kein Problem dar.
Von was landläufig geredet wird, wenn von Vorurteilen gesprochen wird, sind eigentlich Urteile. Damit meine ich, dass eine Verstetigung oder Verallgemeinerung eines wirklichen Vor-Urteils stattgefunden hat.
Wir nennen es abschätzig Vorurteil um dem Urteilenden mangelnde Sorgfalt beim urteilen zu attestieren. Wer aber seit 20 Jahren alle Sinti für dreckige Zigeuner hält, begeht kein Vor-Urteil, sondern ein Fehlurteil.
Von daher würde ich vorschlagen nicht zu versuchen Vorurteile wegzulassen, denn dann wird man nur scheitern. Allerdings könnte man versuchen 7 Wochen nicht zu urteilen, also keine Beurteilung zu treffen, die die Zeit überdauert.
Aber auch hier bleibe ich dabei, dass dies wenig mit Religion zu tun hat, sondern eher eine religiöse Bußzeit, die auf Ostern vorbereiten soll, zum sozialen Brutkasten für Verhaltensveränderungen genutzt wird. Grundsätzlich finde ich gut, wenn Leute sich Gedanken machen über ihr Leben, andererseits kann ich auch Kirchen/Gläubige verstehen, die mahnen, dass damit der (religiöse) Sinn der Fastenzeit entkernt wird.
Das führt dann dazu, dass die Leute zwar Fasten und Verzichten, aber wenn man sie fragt, was Ostern eigentlich gefeiert wird, wissen sie es erst nach einem kurzen Blick auf die Wikipedia-Seite in ihrem Handy.