Vergeben und Vergessen
Hallo miteinander,
wenn wir schon Philosophen bemühen, dann hätte ich zwei beizusteuern:
Der gute alte Sokrates lebte nach dem Motto "Unrecht zu erleiden ist besser als Unrecht zu tun". Das würde bedeuten, dass Unrecht mit Unrecht zu vergelten keine Lösung ist und Rache damit kein ethisch vertretbarer Ausweg.
Hannah Arendt sieht im Vergeben und Vergessen die einzige Chance sich nicht in den Verstrickungen des Lebens zu verlieren. Da wir alle Fehler machen, bewusst oder unbewusst und die Folgen unseres Tuns fast immer für uns nicht überschaubar waren, verursachen wir viele Verletzungen und erleiden sie auch. Ohne Vergebung werden die Altlasten immer größer und überwölben irgendwann unser Leben.
1. Ich würde dir raten (falls du es noch nicht gemacht hast) die "Altfälle" genauer zu betrachten. Welche davon waren bewusste Verletzungen, welche sind nur durch Fehler oder auch durch Schwächen des Anderen entstanden. Wurdest du zum Beispiel im Stich gelassen um dich zu verletzen, oder war der Mensch einfach in dem Moment zu schwach, als du ihn stark brauchtest?
In all den Fällen, in denen dich die Fehler, Schwächen oder mangelnden Gefühle der Anderen verletzt haben und es nicht ihre Intention war, würde ich mich bemühen Ihnen zu verzeihen.
2. In all jenen Fällen in denen dich verletzt was jemand anderes über eure gemeinsame Zeit erzählt, da würde ich den Dialog versuchen, denn genauso wie du eine Sicht auf die Dinge hast, kann er auch eine haben. Schließlich entsteht auch in ihm eine Geschichte eures Lebens und manchmal kommt so etwas wie die "Klo-Geschichte" aus einer Verletzung seinerseits heraus und ist weniger ein Ausdruck von fiesem Charakter als von einem seinerseits verletzten Menschen.
Sprich ich würde darüber nachdenken, ob in dieser Beziehung nicht zwei Menschen verletzt sind und der einzige Unterschied darin liegt, dass der Andere schon gehandelt hat und du es noch überlegst, ob du es ihm gleich (oder schlimmer) tun willst.
3. Übrig bleiben dann im dritten Schritt noch die Menschen, denen du eine gehässige Art und Weise unterstellst. Bei dieser Klasse würde ich als erstes mit Freund_innen reden, weil meine Freund_innen mich korrigieren oder mich auf Schwachstellen in meiner Geschichte hinweisen, wenn ich eine Wut haben auf jemanden. Das heißt, sie fragen kritisch nach und sind in der Lage meine persönliche Blindheit in manchen Stellen aufzudecken. (Was nicht immer angenehm ist, weil man doch schon so schön sauer war. :-D) Natürlich gilt dieser Punkt auch für 1. und 2., aber bei der 3. Kategorie ist es am wichtigsten meiner Meinung nach.
Wenn nach all dem wirklich nichts übrig bleibt als Gehässigkeit und der Drang dich zu verletzen, erst dann würde ich sagen: Nein, da musst du nicht vergeben oder vergessen. (Obwohl du als Christin eher auf der Sokrates Schiene sein müsstest und Rache keine Option für Christen darstellt. "Auge um Auge" ist 1. altes Testament und war 2. damals revolutionär, weil es ausufernde Blutrache eindämmen sollte. )
Meine Argumentation ist folgende: Die Geschichte ist noch nicht abgeschlossen, daher ist noch kein Verzeihen notwendig. Du bist sozusagen am Zug.
Ich selbst bin jedoch kein Freund der Rache, sondern eher ein Freund der Beschämung durch Integrität. Nach meiner Erfahrung habe ich mehr Erfolg und Wohlbefinden meinen Opponenten zu konfrontieren und dabei meine eigene Würde zu behalten. Das gelingt mir dadurch, dass mir in dem Konflikt nicht die Anerkennung meines Gegners wichtig ist, sondern die der Leute, deren Urteil ich schätze.
Das erscheint mir deshalb wichtig zu betonen, weil psychologisch gesehen negative Gefühle eine stärkere Bindung hervorrufen als positive. D.h. Hass, Ärger, Wut, Verletzung binden dich an den Peiniger und machen ihn für dich immer wichtiger. Meine Strategie ist es, dem ganzen Gleichgültigkeit für ihn beizumischen und das gemeinsame Umfeld für mich zu gewinnen. Denn die meisten Menschen schmerzt es mehr, wenn seine Untat vom Umfeld widerhallt, als wenn er von dem angegriffen wird, den er selbst nicht sehr achtet.
Ein Beispiel:
Ein Verwandter von mir hat mit seiner Frau drei Kinder gezeugt, sich als Ernährer installiert und ist dann mit seiner Sekretärin durchgebrannt und hat seine (finanziell unerfahrene) Frau auch noch um Geld und Unterhalt geprellt und begonnen die Kinder (mit seinem Geld) zu manipulieren. Auf die Wut, Enttäuschung und den Hass seiner Frau war er natürlich vorbereitet, der war in die Rechnung eingepreist, schließlich kam er nicht überraschend.
Doch was er nicht erwartet hatte war, dass die ganze restliche Familie (also seine, nicht ihre) sich auch von ihm abwandte und sein Vater die verlassene Schwiegertochter bei sich aufnahm und erklärte: "Ich habe keinen Sohn mehr." Zwar war der Schmerz der Verlassenen nicht von heute auf morgen verflogen, aber die Verletzung begann zu heilen, weil das Umfeld für sie Position bezogen hatte. Es war keine Rache nötig, weil das Umfeld bereits ein "Gleichgewicht" hergestellt hatte.
Hm, ich hoffe es kam rüber, was ich ausdrücken wollte.