Die Debatte kommt auf den Kern der Sache. Existieren Strukturen unabhängig vom Menschen?
Warum ein klares ja oder nein? Wir tun gut daran, dazwischen zu bleiben. Das Abwechseln von Tag und Nacht auf unserem Planeten ist eine Struktur, die viele Lebewesen kennen. Nur ein Lebewesen nennt es Struktur, weil es einen solchen Begriff für Phänomene, die sich in ihrer Zusammensetzung ähneln oder wiederholen, für sich entdeckt hat. Das ändert in diesem Falle aber nichts an dem täglichen Ablauf.
Struktur ist hier etwas, was wir vorfinden und was schon vor der Entdeckung der Sprache existierte.
Mit der Erkennung der Struktur Tag-Nacht haben wir ein Modell an der Hand, mit dem wir rechnen können. Es hat sich bisher bewährt und wir haben daraus unter Zuhilfenahme weiterer Parameter (Mond- und Sonnenstand) unseren Kalender entwickelt.
Ob Mensch oder Tier, nehmen alle diese spezielle Struktur wahr. Das Phänomen dieses sich wiederholenden Vorgangs sollten wir als existent annehmen. Dass es sich für den Menschen um eine Struktur handelt, ist rein menschlich, denn kein Tier hat einen solchen Begriff zur Pfote. Heißt nicht, dass Tiere nicht andere Zeichen für ein Phänomen haben, dass wir Struktur nennen.
Unsere Modelle von weniger offensichtlichen Strukturen dagegen sind oft hausgemacht (Beispiel: Atommodell) und müssen ständig angepasst werden. Ist ein Modell überaltert, so können wir mit einer gewissen Sicherheit sagen, dass es so nicht in der Realität existierte.
Dass sich nun in der Natur die Sprache als eine Struktur entwickelte, in der wir heutzutage denken, macht die Sache aus philosophischer Sicht heraus spannend. Alle Beobachtungen und Mitteilungen philosophischer Art über Strukturen können wir nur mit Hilfe einer weiteren Struktur machen: der Sprachstruktur.
Dies macht eine wiederholbare wissenschaftliche Versuchsanordnung undenkbar. Eine Untersuchung eines Tatbestandes ist schlecht möglich, wenn das einzige Werkzeug zur Untersuchung des Tatbestandes der Tatbestand selber ist.
Eine auf größtmögliche Objektivität ausgelegte Untersuchung der Struktur Sprache zum Beispiel könnte nur dann statt finden, wenn wir uns außerhalb des Sprachbereichs begeben würden. Das ist leider unmöglich.
Aus dieser Tatsache heraus erklären sich 50% der Missverständnisse, mit der wir hier in der Philosophiegruppe ständig kämpfen:
Ich sehe ein Ente.
Du siehst keine Ente, sondern etwas, was du Ente nennst.
Nennst du es nicht Ente?
Doch, aber das Ding an sich ist aber einzigartig.
Wir haben uns doch darauf geeinigt, dass wir die Dinger Enten nennen.
Ja, weil es praktisch ist, Dinge, die sich ähnlich sind, in einem Begriff zusammen zu fassen.
Genau.
Die Zusammenfassung aber ist von uns selbst hergestellt und in der Welt eigentlich nicht existent.
Wieso eigentlich, den Begriff Enten gibt es aber doch?
Ja, aber nur beim Menschen.
Aber der Mensch ist doch auch Natur.
Richtig, so gesehen gibt es jetzt Enten, aber der Begriff dafür weist eher auf den Menschen zurück als auf die Ente selbst. Es ist ein menschlicher Begriff und sagt aus, was du siehst und nicht, was es in Wirklichkeit ist.
Das bedeutete ja, dass ich nicht die Ente erkenne, sondern eher mich selbst als einer, der Enten erkennt?
Ja, wir Menschen sind Entenerkenner, das zeichnet uns aus.
Der Dialog zeigt, dass wir nicht heraus kommen aus dem selbst geknüpften Netz unserer Sprache und, dass wir uns ständig selbst neu erfinden und definieren, selbst wenn wir meinen, nur Strukturen außerhalb von uns zu beobachten.
Wir können uns weder von unseren Sinnen noch von unserer Sprache abkoppeln und müssen damit leben, dass sich außer- und innermenschliche Strukturen beständig durchdringen und dazu noch einem ständigem Wandel unterliegen.