Vorneweg zwei Bemerkungen:
1. Reynolds wurde auch deswegen verurteilt, weil nachgewiesen wurde, dass die Firma seit über 60 Jahren von den tödlichen Folgen für ihre Kunden wusste.
2. Erstinstanzliche Urteile bringen auch in Deutschland so manche seltsame Blüte hervor, da sollten wir nicht zusehr in die USA schielen.
A) Ein kurzer Kommentar zur Summe:
In den USA gilt ein anderer Rechtsgrundsatz, nämlich der, dass nicht die absolute Höhe der Strafe zählt, sondern die Relation zum Leistungsvermögen des Verurteilten. Die enorme Summe kommt zusammen, weil es eine Strafe sein soll, die der Verurteilten weh tun soll und die verurteilte Firma sehr finanzstark ist. Damit soll vermieden werden, dass große Firmen/Institutionen feste Strafen in ihre Kalkulation einfließen lassen.
Z.B.: Alle 3-4 Jahre können wir uns die 20 Millionen für einen verlorenen Raucher locker leisten, weil wir mit unserem Verhalten in der Zeit 2 Milliarden Gewinn machen. Also verschweigen wir die Folgen des Rauchens, verzörgern Einzelklagen bis die Raucher tot und die Angehörigen pleite sind und die paar die Durchkommen zahlen wir halt...
Hier prallen schon zwei unterschiedliches Gerechtigkeitsvorstellungen aufeinander:
1. Gleiche Tat, gleiche Strafe
2. Gleiche Tat, gleiche relative Strafhöhe
B)
Ein weiterer Unterschied zwischen den USA und Deutschland ist die Verfolgung von Institutionen/Firmen anstatt von Einzelpersonen. So weit mir bekannt haben wir in Deutschland immer noch kein Strafrecht für Firmen. Bußgelder können nur bei Kartelldelikten verhängt werden, oder wenn Fördergelder zurückverlangt werden... da bin ich mir nicht sicher, wie weit das mittlerweile geht. Tendenziell werden in Deutschland jedoch Personen und nicht Firmen belangt.
Das hat natürlich bei solchen Prozessen gewaltige Folgen. Denn egal wieviele Personen du verklagst, du wirst niemals solche Summen eintreiben können.
Eine Frage wäre also:
Ist es gerecht Firmen als Gesamtkonstrukt anklagen zu können, oder muss die Schuld immer auf einzelne Menschen runter gebrochen werden, damit ein gerechtes Urteil möglich ist?
Einerseits werden bei einer Firmenstrafe möglicherweise Menschen getroffen, die mit der eigentlichen Tat nichts zu tun hatten. Andererseits kennen wir alle mehrere Beispiele in denen es gelingt eine offensichtliche Tat durch Zuständigkeitsgerangel so zu verwässern, dass am Ende niemand verurteilt wird und das Opfer auf dem Schaden sitzen bleibt.
C) Zum Fall der Tabakfirmen in den USA:
Es ist nachgewiesen, dass der Lobbyverband in den USA eine Strategie gefahren hat, die so erfolgreich ist, dass die Gegner von Umweltauflagen sie mittlerweile kopiert haben (ich glaube sie haben sogar einen früheren Lobbisten eingekauft). Die Tabakindustrie hat jahrzehntelange gezielte Desinformationskampagnen gefahren. Das war nicht nur Werbung, sondern auch eine bewusste "Spaltung" der wissenschaftlichen Meinung. Das sieht so aus:
99% der Wissenschaftler sagen A. Du kaufst einen Wissenschaftler der sagt B. Dann verlangst du, dass beide Thesen diskutiert werden und suggerierst damit, es gäbe eine Kontroverse und verlangst in Schritt 2, dass beide Haltungen gleichberechtigt in den Medien vertreten werden müssen. (oder bei intelligent design in der Schule)
Damit gelingt es effektiv scheinbar so klare Tatsachen wie "Rauchen führt zu tödlichen gesundheitlichen Folgen" ins Reich der Wahrscheinlichkeit zu rücken. (und dann schreibst du eben auf die Packung: "kann zu..." was klarstellt, dass es nicht zu 100% passieren wird...)
Anders gesagt die Tabakindustrie hat selbst dafür gesorgt, dass die Tatsache, dass Rauchen schädlich ist, eben nicht als Tatsache wahrgenommen wird, sondern als eine heftig umstrittene wissenschaftliche Behauptung.
In diesem Sinne wurden die Folgen des Rauchens nicht nur einfach verschwiegen, sondern aktiv verschleiert. Wer 60 Jahre von den tödlichen Folgen seines Produkts weiß, sie verschweigt und sogar Verschleierungstaktiken fährt... der kann froh sein, wenn das Unternehmen nicht einfach dichtgemacht wird.
Das einzig ungerechte was ich entdecken kann ist, dass die Summe so hoch ist, dass (sollte es vollstreckt werden) nicht viel für die vielen anderen Millionen Opfer der letzten 60 Jahre bleibt.
gruß
Brynjar