Galt früher eine nackte Frau, wie Gott sie schuf, per se als erotisch, so gilt sie in den verwestlichen Ländern bei vielen erst als sie erotisch, wenn sie einer Norm entspricht, die die meisten Frauen nicht erfüllen.
Da sehe ich gleich zwei falsche Beobachtungen drin.
Erstens: Glaubt man den Historikern gab es in unserem Kulturkreis ganz unterschiedliche Epochen mit unterschiedlicher "Keuschheit".
Es gab Phasen in denen Nacktheit überhaupt nicht erotisch belegt war und Phasen in denen die geforderte Verhüllung eine Sexualisierung der Nacktheit zur Folge hatte. Ich wage sogar zu behaupten, dass wir jetzt wieder in einer solchen Phase sind. Nacktheit wird ungemein sexuell aufgeladen und das direkt und auch indirekt. Meine Liebste und ich machen uns einen Spaß bei unseren Serien daraus sexuelle Kontakte vorherzusagen.
Bei fast allen amerikanischen Serien scheint die Regel zu gelten: Sieht einer den anderen nackt (auch nur zufällig!), werden sie Sex haben. (Was natürlich auch der begrenzten Erzählzeit liegt, dennoch...)
Wir haben zwar einer sehr große Präsenz sexualisierter Körper um uns herum in den Medien. Doch wer ist im Alltag mit seinen Freunden oder in der Öffentlichkeit selber nackt? Wir spielen mit der Nacktheit als etwas, was gerade nicht wirklich passiert. (kurze Röcke, aber nicht kein Rock und Höschen, enges Top aber nicht brustfrei)
@*****sch oder nicht erotisch
Angesichts dessen, dass die Menschen offensichtlich auch Sex haben, wenn sie nicht in die Top 10% er Erotikcharts kommen, widerspricht ja schon der These von oben.
Doch ich würde auch strukturell widersprechen. Es gab zu allen Zeiten sog. Anerkennungsregime, also im gesellschaftlichen Diskurs vorgegebene Bedingungen die erfüllt sein mussten um als "erotisch" zu gelten. Dabei ist in so einem Zusammenhang meist ein Ideal gemeint, auf dass sich die jeweilige Mehrheit (scheinbar) einigen kann. Es ist weniger eine bestimmte Person, als Kenngrößen und Ausschlusskriterien. Doch diese Ausschlusskriterien existierten immer, waren nur anders ausgeprägt. (Stichwort: Lotusfüße in China oder auch andere Schönheitsvorstellungen in Afrika, anderen Jahrhunderten in Europa etc.)
Was die frühere Zeit von der heutigen unterscheidet ist meiner Meinung nach eher die Kommunikationsstruktur. Früher waren Schönheitsideale nicht so stark präsent und auch nicht gut weit kommunizierbar, einfach weil die mediale Durchdringung nicht existierte. (Ich las schon vor gut 10 Jahren eine Studie, die untersuchte, wie sich die Ergebnisse von afrikanischen Schönheitswettbewerben veränderten und langsam an das westlich-europäische Idealbild annäherten... sehr interessant)
Heute bist du nur 3 Klicks oder einen Gang zum Kiosk von dem nächsten Model entfernt. Dazu kommt die fatale Ideologie, dass du theoretisch auch so aussehen könntest, du musst nur stark genug im Geist sein!
Die Mehrheit der heutigen Frauen lebt in dem Bewusstsein, mit dem, was die Natur ihr gab, nicht gut genug zu sein.
ich lese das mal als these, die aus meiner sicht nicht belegt ist.
Die Umfragen, die ich kenne, gehen von 98% der Frauen aus, die etwas an sich auszusetzen haben. Es gibt paralell Umfragen auch für Männer. Während die Frauenunzufriedenheit konstat ist, steigt die der Männer rasant an.
Meiner Meinung nach lässt sich das gut nachvollziehen. Frauen wissen genau, dass sie hier und da dem Ideal nicht entsprechen. Für Männer wächst der Druck auf den Körper in den letzten 20 Jahren stark an, weshalb auch die Zahl der Männer ansteigt, die unzufrieden sind.
Leider hat sich aus einem feministischen Traum ein Alptraum entwickelt. Anstatt die Frauen von dem Schönheitsideal zu befreien, haben wir eines für Männer kreiert.
pseudojubel
Frag mich, wann der erste Model-Mann die Photoshopretuschierung seines eigentlich schon Model-mäßigen Körpers zu einem unerreichbaren Ideal öffentlich kritisiert.