MDR „Nah dran“ Unsere Erfahrung und die Folgen
Nachdem der Pulverdampf verflogen ist, ein Resümee aus unserer Sicht als eines der beiden Protagonistenpaare.
Liest man die mehr oder weniger warnenden Beiträge in diesem Thread, dann hätten wir spätestens im September 2014 unsere Mitarbeit an dem Film „Warum nur einen lieben?“ kurz vor Abschluss der Dreharbeiten abbrechen müssen. Haben wir aber nicht, weil wir bis dahin nur positive Erfahrungen hatten.
Nun kann man sich, wie in diesem Thread trefflich drüber streiten, ob wir mit Polyamorie tatsächlich in die Öffentlichkeit gehen müssen. Am ehesten entspricht Tinchenbinchens Empfinden im Eingangsthread auch unseren Gefühlen, Bedenken und Zweifeln, als wir uns entschlossen, an diesem Film mitzuwirken. Ganz bestimmt war unbedingt ins Fernsehen zu kommen, nicht der Grund, wir glauben, da gibt es bei den meisten eine ganz natürliche Hemmschwelle. Aus einer früheren und auch jetzigen beruflichen Tätigkeit gab es bei mir jedoch schon eine ganz kleine Medienerfahrung, was Interviews vor einer Kamera betrifft, sodass die Berührungsangst etwas gedämpft war.
Missionieren wollten wir schon gar nicht, aber wir haben für uns aus einer Situation, in der sich die meisten Paare meist schmerzhaft trennen, einen Weg gefunden, wie man es auch anders machen kann, ohne dass sich am Ende des Weges einer dabei „verbiegen“ muss und der vielleicht andere Paare in ähnlicher Situation Anregung sein könnte über die Beziehung nachzudenken. Und wir wussten aus einem umfangreichen CM-Austausch und noch mehr aus persönlichen Begegnungen mit JC-lern, das gleiche oder ähnliche Probleme viele hier und sicher auch außerhalb des JC beschäftigen. Tinchenbinchen schrieb:
Aber wie sollen sich die Dinge sonst ändern?.
Letztlich entscheidend war aber, dass wir die von der Kirchenredaktion des MDR verantwortete Sendereihe „Nah dran“ kannten und regelmäßig auch die Beiträge, in denen es immer um sehr persönliche Dinge geht, gesehen haben ohne jemals das Gefühl gehabt zu haben, dass da jemand vorgeführt wurde.
Natürlich haben wir uns auch gefragt, was kann das für uns für Folgen haben, zumal wir beide beruflich in einer gewissen Öffentlichkeit stehen. Hinsichtlich Hinweises auf die Sendung und Diskussion hier im JC hatten wir keine Bedenken.
Und außerhalb des JC…? Unser Gedanke war, dass den MDR eh nicht so viele sehen und wer sich zu später Stunde diese Sendereihe anschaut, interessiert sich für Menschen und wird eine gewisse Offenheit für das Thema haben. Das hat sich allerdings anders entwickelt, die Sendung wurde doch recht intensiv mit Foto auf dem Sender selbst, aber auch in Programmzeitschriften angekündigt. Das führte dazu, dass die Sendung letztlich nach Auskunft des MDR die bisher vierthöchste Einschaltquote im Jahr hatte, es interessierte also doch eine große Anzahl Zuschauer. Von unseren am Film mitgewirkten Freunden erfuhren wir, dass noch während des Films Rundrufe über Telefon erfolgten, dass da ein Film auf dem MDR läuft, in dem usw…
Zu den Rektionen außerhalb des JC ganz kurz, nur sehr wenige haben uns bisher überhaupt direkt darauf angesprochen, so wurde meine Frau von ihrer Chefin angesprochen, mit Achtung vor dem Mut, mit diesem Thema in die Öffentlichkeit zu gehen ohne irgendwelche Folgen. Und ein Mitarbeiter aus meinem Büro, von dem ich überzeugt war, dass er eine ablehnende Haltung zu diesem Thema haben würde, sprach mich am nächsten Tag an, dass ihn der Film sehr berührt hat und er das gleiche Gefühlschaos, wie ich es zu meiner Frau und meiner zweiten Liebe hatte, selbst gerade durchlebt und die zweite Liebe meine Sekretärin ist…!
Einmal wurde ich wohl am Tag nach der Sendung im Supermarkt erkannt, als mich ein Mann regelrecht anstierte und dabei gegen eine Säule lief. Für den Fall, dass uns unbekannte Leute direkt angesprochen hätten, hatten wir uns als Antwort zurechtgelegt, dass die Autogrammfotos leider schon aus sind…
Von den Gartenfreunden, die natürlich die Dreharbeiten auch mitbekommen haben, wir hatten ihnen gesagt, diese seien für die (ehemalige) MDR-Sendereihe „Du und Dein Garten“, werden sicher einige die Sendung gesehen haben, nur die Gartenfreunde sehen wir erst zur „Frühjahrsbestellung“ wieder und bis dahin ist das vergessen, die Zeit ist schnelllebig, bereits jetzt ist wieder völlige Ruhe eingezogen.
Völlig unerwartet hatten wir die heftigste Ablehnung von unserer älteren Tochter, welche mit ihrer Familie in Mexiko lebt. Sie wusste zwar, dass wir mit dem MDR etwas drehen, von der Sendung erfuhr sie aber über eine Freundin und sie hat sich diese dann im Internet über die Mediathek angesehen. Sie hat wohl den Film etwas missdeutet und die Wogen haben sich mittlerweile geglättet, nachdem wir ihr erklärt hatten, dass wir uns nicht trennen.
Die Zusammenarbeit mit dem Drehteam und Mia Media Leipzig, die diesen Beitrag produziert haben, war genau so, wie in diesem zweiten Aufruf, in welchem weitere Paare zur Mitarbeit gesucht wurden, durch Jana beschrieben.
Polyamory: MDR sucht Polys
Zum Drehteam entwickelte sich im Laufe der fast 30 Drehstunden ein sehr vertrautes, schon freundschaftliches Verhältnis. Wir hatten nie den Eindruck, dass es da um irgendwelche Sensationsgier oder spektakuläre Aussagen geht.
Weil es um sehr persönliche Probleme geht, haben wir jedoch von Anfang an darauf bestanden, den fertigen Film vorher zu sehen und den Mitwirkungsvertrag auch tatsächlich auch erst eine Woche vor Sendetermin, nachdem uns die fast fertige Fassung des Films in Leipzig bei Mia Media gezeigt wurde, unterschrieben. Das ist durchaus nicht üblich, aber wenn ihr darauf besteht, gerade bei solch einem persönlichen Thema eben auch möglich. Wir konnten auch ganz bestimmte Aussagen im Film unterbringen (wobei es nie vorgefertigte Texte gab), gerade, weil es Offenheit und Vertrauen z. Zt. nur in unserer Ehe nicht aber unserer weiteren Lieben zu ihren Ehepartnern gibt. Das war uns wichtig, weil der polyamore Gedanke noch nicht umgesetzt ist.
Gerade deshalb wäre es schön gewesen, wenn sich neben dem zweiten Protagonistenpaar, welches übrigens nicht durch diesen zweiten Aufruf zur Mitarbeit überzeugt wurde, weitere Paare zur Mitwirkung bereit gewesen wären, die mit allen Beteiligten polyamor leben. So blieb am Schluss des Filmes leider der Eindruck, dass es wohl doch kaum möglich ist, dieses Lebens-/Liebesmodell tatsächlich umzusetzen.
Korrekturen am Film waren übrigens nicht erforderlich, das Vertrauen, was im Rahmen der Dreharbeiten entstanden war, wurde mit dem Film in keiner Weise enttäuscht. Lediglich der sowieso schon geänderte Vorname meiner Zweitliebe, mit der alles begann, musste gegenüber der Programmvorschau dann im gesprochenen Kommentar des Film nochmal geändert werden, weil eine Mitarbeiterin in meinem Büro, die aber nicht zu diesem Liebesreigen gehört, diesen Namen trug.
Was ist zusammengefasst festzustellen? Öffentlichkeitsarbeit zur Polyamorie über das private Verblödungsfernsehen; nein, das würde nur die Vorurteile über die Medien bestätigen und verstärken und wäre der Sache mit Sicherheit nicht dienlich. Ohne missionarisches Sendungsbestreben in seriösen Produktionen der öffentlich rechtlichen Sender mitzuwirken, ja, da sollten wir trotz aller berechtigten Kritik an der allgemeinen Qualität auch dieser Sender etwas mehr Mut und Vertrauen statt vielfach unbegründete Vorurteile haben. Die fast ausschließlich positive Resonanz hier im Forum auf diesen Film gibt dieser Aussage Recht. Letztlich waren auch alle von Ahja_Baerli im Forum geposteten Links zu ähnlichen Filmen in den Mediatheken der ÖR zumindest aus unserer Sicht sehr gelungene und anspruchsvolle Produktionen.
Ein Tipp zum Schluss für zukünftige Mutige, nach der Sendung einfach paar Tage Urlaub oder Dienstreise einplanen oder einfach abtauchen, dann hat sich der Sturm gelegt und die Leute wurden schon wieder durch andere Nachrichten in Angst und Schrecken versetzt und haben ganz andere Probleme. Und was andere über uns denken, dass ist zumindest uns egal, es ist unser Leben und das muss ja keiner nachmachen.
Samy50 + Samyswife