Mich macht aktuell der Konflikt Mono-Poly krank, traurig und verzweifelt. Daher schreibe ich ein paar Zeilen, in der Hoffnung, das vielleicht mancher antworten kann.
Für mich war es so, das ich in den uns vorgestellten und vorgelebten Beziehungsmustern einfach keine Erfüllung, keine Antwort auf die Frage des Miteinanders bekommen habe. Vielfach hier diskutiert, vielfach auch in Literatur und Büchern analysiert und beschrieben; die exklusive Zweierbeziehung als geschlossener Raum, mit Abgrenzung nach rechts und links, oben und unten. Macht- und Ohnmachtssystem, so habe ich es kennengelernt und konnte es nie leben. Ich glaube, das es vielen ähnlich ergeht oder erging, und viele eben eine Alternative gesucht haben. Nicht mit intellektuellem Anspruch, sondern aus einer Art Not, aus einem Bedürfnis heraus.
Ich möchte gern versuchen zu beschreiben, wie ich es sehe und fühle: ich bin in einer ganz klassischen Familienkonstellation aufgewachsen, mit Vater, Mutter und Geschwistern. Meine Eltern hatten, als Kriegskinder mit vielen Entbehrungen, Begrenzungen und Not, nie die Möglichkeit, ihr Leben und ihre Beziehung mit gewissem Abstand zu betrachten, zu reflektieren und vielleicht auch etwas zu verändern, etwas anderes zu versuchen. Sie sind quasi in die Ehe reingerutscht, und alles was folgte, war zum einen Teil für sie vollkommen vorbestimmt in Struktur und System, zum anderen Teil traurige Konsequenz in Wiederholung ihrer Kindheit und Kompensation ihrer Erlebnisse, ihrer Traumata und Not. Liebe war gebunden an Erfüllung von Erwartungen an den Anderen und der Erwartungen des Anderen, war umfangreiche Funktionsübertragung und Verstrickung. Ein System von Macht und Ohnmacht, sehr traurig anzusehen und noch trauriger, als Kind darin aufzuwachsen.
Ich beschreibe das nicht, um jetzt für meine persönliche Situation Mitleid oder Verständnis zu bekommen, im Gegenteil: ich glaube, das es so oder so ähnlich vielen von uns erging. Liebe ist gebunden an ganz viele Konditionierungen und wird oft so gelebt, das man sich in seiner Bedürftigkeit unterstützt, seine Verletzungen zu kompensieren versucht, man vom anderen Funktionen übernimmt, die er für sich nicht zu leisten imstande zu sein zeigt, man Funktionen an den anderen abgibt: sei so wie ich es brauche, damit ich Vertrauen haben kann, damit ich mich für Dich öffnen kann, damit ich nicht verletzt werde, damit ich mich geborgen fühlen kann.
Ein solches System kann nur geschlossen sein, kann nicht wirklich Wachstum erzeugen; es schliesst jeden in sich ein. Und führt unweigerlich zu Enttäuschung, weil der Andere das garnicht übernehmen kann oder man selbst merkt, das man diese Aufgaben nicht übernehmen kann, man dem Anderen auch garnicht mehr wirklich begegnet, sondern im Grunde nur noch das System bedient, quasi dem Dritten im Bunde, der „Beziehung“ gehorcht.
Jedes System hat eine unglaubliche Selbsterhaltungsdynamik. Erst das offene Entdecken von Missständen oder eine Bedrohung versetzt die Untergebenen in die Situation, irgendetwas verändern zu müssen. Und macht überhaupt deutlich, das es ein System ist, unter dem wir leben. Und ja, es gibt genau deswegen ganz viele Wege, das überhaupt zu vermeiden: Zwiegespräche zum Beispiel, das Forum in Gemeinschaften. Um sofort im Ansatz zu verhindern, das man unter einem System erdrückt wird, sondern in Begegnung sich selbst und andere wahrnimmt und dann alle Handlungen an sich und dem anderen zu orientieren versucht - und eben nicht am System.
Was aber, wenn ich mich eben nicht an den Mustern und Bedürfnissen des Anderen orientiere, wenn ich ihm begegne? Wenn ich ihm in die Augen schaue, ihm von Herzen aus zu begegnen versuche? Achtsam akzeptiere, wo welche Grenzen aus welcher Konditionierung auch immer bestehen? Und ich mich ihm nicht als bedürftiges Gegenüber präsentiere: ich bin aus meiner Biografie heraus verletzlich, also gehe auf mich ein, sei so wie ich es brauche? Wenn ich die Offenheit, das Vertrauen selbst investiere und sage: ja ich weiss, Du möchtest nichts anderes als ich, bist genauso verletzlich, hast dieselben Wünsche nach Wärme, Geborgenheit und Liebe? Wenn ich also offen in eine Ich-Du-Begegnung gehe, quasi durch den Mantel aller Verletzungen und Begrenzungen hindurch? Kann ich den Anderen nicht viel intensiver finden, und mich im Anderen finden? Kann ich nicht viel mehr bewegen, wenn ich die Mitte des Anderen erwärme und Kraft gebe, ich mich in meiner Mitte berührt fühle, getragen fühle? Und daraus dann die Kraft finde, an meinen Verletzungen zu arbeiten? Das Gegenüber eben nicht als Ergänzung verstehe, sondern begegne - und einen ganz tiefen gemeinsamen Raum mit einer grossen Verbundenheit, Ruhe, Vertrauen und Hingabe finde?
Diese „Verbundenheit“ ist nicht geschlossen, und sie schliesst nicht aus. Im Gegenteil macht sie Platz für ein Öffnen auch anderen Menschen gegenüber, ohne zu verletzen. Ich finde es ungemein wichtig und einen ganz wesentlichen Punkt dieser Art zu lieben: ich schliesse nicht aus, und ich bin nicht ausgeschlossen. Ich kann mich in ganz anderem Kontext erleben, ganz andere Impulse bekommen und fühle eine ganz tiefe Befriedigung, in Begegnung dem Anderen genau dasselbe zu geben.
Aber die Beziehung bleibt verbindlich, oder mehr noch: sie ist viel verbindlicher. Sie ist nicht solange tragfähig, bis man sich verloren hat im Bedienen irgendwelcher Übergriffe, bis man den Anderen verloren hat und „sich nichts mehr zu geben hat“ und der/die nächste attraktiver erscheint. So empfinde ich es gerade, und ich fühle mich so sicher, so unglaublich tief verbunden und in Liebe zu meiner Partnerin. Ich schaue sie an und alles ist gut, alles ist richtig. Und es ist nicht wichtig, wo sie wie reagiert oder agiert; ich brauche es nicht zu bewerten.
Und insofern ist es eine Einladung, diese Erfahrungen zu machen. Es ist nicht Dogma, es ist nicht besser oder schlechter - es ist einfach nur lebendig und gibt die Möglichkeit, sich selbst ganz anders wahrzunehmen, sich selbst nicht bewerten zu müssen und auch keine Bewertung des Anderen zu erwarten. Mit dieser Grundlage kann man Absprachen schaffen, ein Commitment erarbeiten, um es ins tägliche Leben zu heben.
Und - es scheint nicht zu funktionieren. So sicher ich bin in meiner Liebe, meine Partnerin fühlt sich immer wieder angegriffen, kann sich öfter nicht fallenlassen in meine tiefe Zuneigung und Verbindlichkeit, sondern findet sich in Zweifeln wieder, in Eifersucht und Angst. Ja, wir finden uns immer wieder, in tiefer Nähe. Aber es braucht so oft solch grosse Anstrengungen und Kraft, das ich daran verzweifle. Ich bin nie weg und muss doch immer wieder -ja fast kämpfen, das zu beweisen.
Nein, ich möchte nicht nach einem Partner suchen, der auf ähnlichem Boden steht wie ich. Für mich ist es eine so schöne Erfahrung, einen Menschen lieben gelernt zu haben, der mir nicht gleich ist und der auch nicht abgecheckt ist, ob man mit dem dies oder das leben kann. Sie ist einfach da in meinem Herzen.
Unsinn? Träumerei? Küchentischphilosophie?