Ich war aus verschiedenen Gründen seit langem nicht mehr im JC und somit auch in diesem Forum nicht mehr aktiv. Jemand schickte mir aber den Link zu diesem Video, und so habe ich es mir mal angesehen.
Im Moment ist mein Anspruch an solche Beiträge der Medien, dass sie auch bezüglich des Begriffes Polyamorie völlig unbeleckten Menschen das Thema auf eine Weise nahebringen, die polyamore Menschen nicht als Aliens darstellt. Einen Hauch dessen, was diese Reportage hätte sein können, ließ sie aber nur einige wenige Minuten lang durchscheinen, größtenteils genügt sie meinem Anspruch aber nicht. Vielleicht ist mein Anspruch zu hoch, denn ich habe noch keine Reportage gesehen, die ihm genügte.
Den Teil über die am Anfang gezeigte amerikanische Gruppe finde ich kaum einer Erwähnung wert. Das hatte genau null Tiefgang. Der Begriff Polyamorie schien mir durch allerlei esoterische Aufgedunsenheit und die allzu offensichtliche Schwerpunktlegung auf den Sex geradezu pervertiert zu werden. Womöglich hätte ich hier schon abgeschaltet, aber ich hatte ja zugesagt, mir den Film anzusehen, was für mich ein Abschalten ausgeschlossen hat.
Den Teil über das ZEGG fand ich dann schon etwas differenzierter und er war in der Tat auch bei weitem umfangreicher. Er bringt wenigstens einige der Argumente, warum die Monoamorie womöglich doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein mag, und hat seinen Schwerpunkt nicht ganz so auf der sexuellen Ebene. Er bordete nicht vor allerlei esoterischem Gedöns über und er machte auch die Angst vor Stigmatisierung zum Thema, von der ich wohl nicht sagen muss, dass ich sie absolut unangebracht finde.
Und dennoch hat mir auch dieser Teil insgesamt nicht gefallen. Das liegt vor allem daran, dass das Gezeigte mit meiner Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat. Und was noch schlimmer ist: es hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts mit der Lebenswirklichkeit derer gemein, die man endlich davon überzeugen sollte, dass Polyamoristen eben keine Aliens sind, die einem den Lebenspartner wegschnappen, wenn man nur einmal nicht hinsieht.
Ich bin hier, zuhause. Ich werde morgen früh aufstehen, um meinem ganz normalen Job nachzugehen. Ich habe meine eigenen Sorgen, Nöte, Ängste, Freuden, Leidenschaften etc.. Und wie mit Sicherheit viele Menschen kann ich mir nicht gut vorstellen, mit all dem wie ein offenes Buch durch eine Kommune zu laufen, genau so wenig, wie ich unbedingt jeden einölen bzw. von jedem eingeölt werden wollte. Ich weiß: bei näherer Betrachtung lässt dieses Kapitel der Reportage den Schluss nicht zu, aber etwas weniger reflektiert könnte man zu dem Schluss kommen, dass Polyamorie auch etwas mit Wahllosigkeit zu tun hat. Aber nein, das ist überhaupt nicht der Fall.
Wie gesagt: Ich halte auch diese Reportage über das Thema Mehrfachliebe für misslungen. Da ich diesbezüglich noch keine andere Reportage gesehen habe, die mich überzeugt hat, empfehle ich lieber Bücher über dieses Thema.
Weil ich die allzu intensive Schwerpunktlegung dieses Films auf das Thema Sex erwähnt habe: Das Thema Polyamorie wäre mit Sicherheit nicht so kontrovers, wenn nicht auch Sex eine Rolle spielen würde. Daran ändert auch nichts, dass es platonische Mehrfachliebesbeziehungen geben mag. Für mich beinhaltet Polyamorie auch - aber eben nicht nur - , die Freiheit zu haben, der Person, die ich liebe, auch körperlich nahe sein zu können, oder auch nicht, wenn ich das eben nicht will. Gleichzeitig bedeutet es auch, nicht gleich alles Mögliche in Zweifel zu ziehen, wenn die geliebte Person sich dieses Recht auch mir gegenüber bezüglich Dritten einräumt, et vice versa.
Ein "Wegschnappen" kann es im übrigen schon insofern nicht geben, als das man dazu ja erst einmal jemanden "besitzen" müsste. Sowas ist zumindestens formal aber schon seit einiger Zeit abgeschafft. Zumindest für dieser Runde hier dürfte das jedoch eher trivial sein.
Liebe Grüße,
Ezeqiel