Vom Wert naiven Vertrauens
Liebe Leute,ich habe das Konzept des naiven Vertrauens entdeckt, von dem ich glaube, dass es in polyamoren Lebensentwürfen (aber nicht nur dort) hilfreich ist.
Ich lebe polyamor mit Frau und zwei Parallelbeziehungen.
Alle Frauen haben auch andere Beziehungen/Partner/Abenteuer und alle kennen und mögen sich.
Bis vor ein paar Wochen habe ich trotz relativer Eifersuchtsarmut immer wieder kleinere (mit einer Ausnahme wirklich kleinere, aber doch lästige) Anfälle von Neid, Verlustangst und Selbstwertgefühlsinfragestellung gehabt - obwohl meine Partnerinnen mich ganz offensichtlich lieben bzw. lieb haben und ich regelmäßig wundervolle Zeiten mit ihnen verbringe.
Mit den Unsicherheitsmomenten einher ging diese spezielle, hypersensible Aufmerksamkeit für Äußerungen oder Handlungen des Partners, die irgendwie als Hinweis auf Probleme dienen könnten: "Warum dated sie jetzt nach Monaten wieder jemanden?", "Ups, und gleich noch jemanden?", "Kommuniziert sie irgendwie anders als sonst?", etc.
Kennt Ihr das?
Ich frage mich in meinem Fall, ob das seinen Ursprung in einem "Zu gut, um wahr zu sein"-Effekt hat oder in einem noch tiefer liegenden "Vielleicht habe ich dieses Glück nicht verdient, deshalb stelle ich es lieber in Frage"-Gefühl. Wie auch immer.
Meine Lösung: Naives Vertrauen.
Naives Vertrauen in die Liebe und Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit und Achtsamkeit meiner Partnerinnen. Kein Zweifel, keine negative Aufmerksamkeit, keine selektive Wahrnehmung. Statt dessen Fallenlassen in die Haltung: "Alles ist gut."
Die Überlegung: Unsicherheit und Misstrauen (und sei es noch so klein, wie es in meinem Fall war) helfen einer Beziehung überhaupt nicht. Sie wirken vielleicht sogar wie eine selbsterfüllende Prophezeihung.
Angenommen, es ändert sich etwas mit einer meiner Partnerinnen. Dann gibt es folgende Möglichkeiten:
- Sie erzählt mir davon, und wenn ich die Änderung selbst ausgelöst/verursacht habe, kann ich darauf aufmerksam werden und uns vielleicht "retten".
- Sie erzählt davon, und die Änderung ist durch etwas Äußeres ausgelöst, z.B. eine neue Bekanntschaft, mit der sie mehr Zeit verbringen will. Dann kann ich da eh nichts dran ändern und will mich lieber freuen, ihr die Freiheit geben zu können.
- Sie erzählt mir nicht davon, und die Änderung ist durch etwas Äußeres ausgelöst. Dann merke ich das irgendwann, weil es sehr deutlich wird, oder es geht von allein vorbei.
- Sie erzählt mir nicht davon, und ich habe die Änderung selbst ausgelöst. Irgendwann merke ich es, weil es sehr deutlich wird, und vielleicht ist es dann zu spät, uns zu retten. Dann habe ich eine gute Zeit gehabt, die endet. Dadurch wird die gute Zeit nicht schlechter.
Und: Das Szenario ist das unwahrscheinlichste, denn meine Partnerinnen kommunizieren ziemlich gut bis sehr gut, und es ist ja in ihrem eigenen Interesse, mich auf gefährliche Defizite oder Probleme in unserer Beziehung hinzuweisen und Lösungen zu finden.
Ein Aspekt ist, dass man mit naivem Vertrauen dem Partner mehr Verantwortung gibt, auf die eigenen Gefühle und die Qualität der Beziehung zu achten und über für den Anderen relevante Entwicklungen zu sprechen. Im Idealfall gilt das aber für beide Seiten und Richtungen.
Selbstreflektion und die offene und vertrauensvolle Kommunikation scheint mir im Mittelpunkt der Idee zu stehen.
Was sind Eure Gedanken und Erfahrungen dazu?