Ich sehe das anders.
Die 68er waren Rebellion, waren zunächst mal einfach anti - und das war nötig. Die "sexuelle Revolution", wenn man sie so nennen mag, hat wenig mit Neuformulierung von Beziehungen und Lebensentwürfen zu tun, sondern eher im Gegenteil mit dem Verneinen von bestehenden. Und es gibt viele interessante Abhandlungen darüber, ob diese "freie Liebe" überhaupt das Gendergefüge im positiven Sinne verändert hat.
Aber es hat aufgeräumt, hat Strukturen aufgebrochen und damit langfristig die Möglichkeiten geschaffen, sich insofern freier zu bewegen, alsdas es Platz gemacht hat, sich um eigene und alternative Lebensentwürfe Gedanken und Gefühle zu machen. Ohne dieses Aufbrechen wären sehr viele individuelle und gesellschaftliche Veränderungen nicht möglich gewesen.
Gerade dadurch, das zunächst ein einfaches NEIN dem bestehenden sozialen und politischen Gefüge entgegengestellt wurde und werden musste, fehlte in vielen alternativen Versuchen eine langfristig tragfähige Idee oder Struktur, und vieles ist quasi schlicht auseinandergebrochen und hatte keinen wirklichen Halt. Ich mag das Bild von Gerald Hüther, in dem er beschreibt, das, wenn man dem Schalentier seine äußere Struktur nimmt, sich vorher um eine innere Struktur, eine innere Haltung bemühen muss. Tut man das nicht, fällt halt alles auseinander. Und dann muss man sich eben wieder irgendwie um Halt kümmern, und meistens wurde und wird dann wieder ein äußeres Gerüst aufgebaut - quasi neokonservativ.
Aber es sind halt Strukturen aufgebrochen, und es war und ist eben Raum für eine individuelle Entwicklung, die sich an einer inneren Struktur, einer inneren Haltung orientieren kann. Diesen Raum haben viele genutzt, nutzen ihn und leben in ihren eigenen Versuchen, sich eben nicht an äußeren vorgegebenen Mustern zu halten, sondern zu schauen, wie man sich authentischer leben kann, Beziehungen vom Herzen aus leben und Begegnungen offen und achtsam gestalten kann. Das ist doch klasse
Und ja - daher profitieren wir von den 68ern, ohne die wir diesen Raum nicht hätten. Wie ihn jeder nutzt, bleibt jedem selbst überlassen, und natürlich ist Angst der größte Motor, schnell wieder aufgebrochene Strukturen zu reparieren und stabile Stützpfeiler zu setzen - aber es hilft nicht wirklich. Wir gehen einfach anders aufeinander zu, und auch Menschen, die sich sicher fühlten in dem uns anerzogenen Beziehungsgefüge von Ehe und Familie verlieben sich in einen weiteren Menschen, fühlen sich unsicher und möchten nichts hergeben von der Verbindlichkeit zu ihrem "Erstpartner" - und lernen sich selbst und ihre Liebe ganz neu und anders kennen (ich schreibe das in Bezug auf solche schlimmen Verurteilungen von Unehrlichkeit und blablabla Menschen gegenüber, die sich eben so gerade kennenlernen).
Also: nein wir mussten nicht Teil dieser Revolution sein, um uns selbst freier und eigenverantwortlicher zu bewegen. Wir nutzen den gewonnenen Raum - und das ist auch gut so