Arbeit als Schlüssel zum Beziehungsglück
– Wahrheit oder Illusion -Warum dieser Thread? Zum einen möchte ich für mich dokumentieren, was ich als richtig oder „wahr“ in Bezug auf Beziehungen erkannt zu haben glaube. Mein persönlicher Erkenntnisstand zum jetzigen Zeitpunkt quasi. Und ich möchte darüber diskutieren, meine Meinung verteidigen, revidieren, ergänzen... ergebnisoffen, als bereichernder Input. Und ich tue es im Polyforum, weil ich denke resp. erfahren habe, dass polyamore Menschen dazu neigen, mehr über Beziehungen nachzudenken als monoamore UND gleichzeitig häufig äußern, dass eben gerade polyamore Beziehungen besonders „anfällig“ seien für Störungen und man somit mehr tun müsse, um sie zu erhalten.
Und es gibt nach meinem Empfinden zwei grundsätzliche Herangehensweisen.
1. Die Arbeiter
Bei ihnen scheint besonders die Zeit eine Rolle zu spielen. Einerseits als Indikator für die Qualität des „Geleisteten“, andererseits als Hoffnungsträger, dass nach einer gewissen „Durchhaltephase“ und viel Arbeit dann alles gut wird. Dem möchte ich widersprechen. Zeit ist in unserem Sprachverständnis Quantität (Kronos). Denn leider haben wir fast vergessen, dass der Aspekt der Qualität (Kairos) mindestens ebenso wichtig ist. Und eine glücklich verbrachte Woche kann nachhaltiger im Gedächtnis und dem Gefühl verhaftet sein, als eine anhaltende Leidenszeit – oder um es nicht ganz so hart zu formulieren, Unzufriedenheit.
2. Die positiv Denker
Das ist die zweite Fraktion, die positives Denken in Leichtigkeit als Schlüssel zum (dauerhaften) Beziehungsglück ausgemacht hat. Das möchte ich ebenso in Frage stellen, wie die Arbeitsvariante mit (viel) Zeit. Wenn ich besonders viel positiv denke und somit den anderen Pol, den Schatten, die negativen Gedanken und Empfindungen, die Aggressionen vernachlässige oder verdränge, werden sie auf andere Art, zum Beispiel Krankheiten unüberhörbar zu Wort melden.
Wie der Titel bereits andeutet, geht es mir hauptsächlich um den ersten Punkt gehen, die Arbeiter.
Es sei mir noch eine Vorbemerkung gestattet: Natürlich habe ich Inspirationsquellen, die mich seit Jahren immer wieder zum Nachdenken anregen. In diesem Beitrag sind es überwiegend einige Bücher von Michael Mary, hier besonders „Lebt die Liebe, die ihr habt“. Mary nähert sich der Thematik zwar immer aus der Sicht der klassischen monoamoren Paarbeziehung, seine Gedanken und Schlussfolgerungen halte ich dennoch für verallgemeinerungsfähig. Ein Berliner Poly äußerte einmal: „Die Monoamorie stellt lediglich einen Sonderfall der Polyamorie dar.“ Kommt mir auch so vor . Deshalb... siehe oben...
Ausgangspunkt meiner Betrachtung ist nicht die Kennenlernphase, in der fast nur die Gemeinsamkeiten, nicht die Unterschiede wichtig scheinen und gelebt werden, sondern die Zeit danach, wenn erste Probleme auftauchen, man sich ungeschminkt zeigt und/oder sich verändert hat durch objektive oder subjektive Umstände. Es entsteht ein Problem, eine Unzufriedenheit, zunächst ersteinmal in mir selbst oder den Partnern, aber dann in Reaktion und Gegenreaktion auch in der Beziehung, den Beziehungen. Unzufriedenheit ist also Ausdruck der Differenz zwischen (persönlichem) Wunsch und der erlebten Wirklichkeit. Und damit beginnt bei den Arbeitern das „Unheil“ - nämlich die Arbeit - seinen Lauf zu nehmen. Je nach Erkenntnisstand und persönlicher Reflexionsfähigkeit gibt es unterschiedliche Wege:
1. Die Partnerperspektive
- der/die Partner sollen sich ändern
- ich soll und will mich (für die Beziehung) ändern
Ergebnis dieser Bemühungen soll sein, dass sich die Beziehung (wieder) den Wünschen der Partner fügt und alle glücklich sind. Mary schreibt: „Allen diesen Bemühungen ist gemeinsam, einen empfundenen Mangel durch angeblich richtiges, förderliches Verhalten beseitigen zu wollen.“ S. 142
Ich will das einmal an einem Beispiel, das dem Joy als Sexforum adäquat ist, erläutern, und ich beschränke mich der Übersichtlichkeit hier auf einen Partner und den Singular, in dem Bewusstsein, dass es in der Polyrealität immer mehr Menschen betreffen kann:
Ein Partner leidet an zu wenig Sex, und zwar gleich mehrfach. Zum Einen vermisst er die Leidenschaft, das Begehren beim Gegenüber, zum Anderen geht es ihm selbst irgendwie nicht anders. Er möchte zwar Sex, aber nicht als körperliche Pflichtübung sich selbst und dem Partner gegenüber. Zudem kann er selbst nicht (mehr) leisten, was er sich wünscht. Das können die Partner einander eingestehen und darüber reden = die Akzeptanz des Problems. Was soll bitteschön nun die anstehende Arbeit daran ändern? Das können weder Dessous, noch Sexspielzeug, noch Swingerclub, noch Paartherapie, noch mehr miteinander verbrachte exklusive Zeit usw. auf Dauer richten. Denn Sex und Leidenschaft leben von der Fremdheit und Andersartigkeit des Partners. Und bei einer (angenommen) ansonsten z.B symbiotisch angelegten Beziehung, in der Fremdheit und Andersartigkeit „nicht passen“ MUSS die Leidenschaft eben anderweitig gelebt werden, so die Beziehungspartner sich das zugestehen. Und wer, wenn nicht Polys möchte man rufen. Nur leider soll ein möglicher weiterer Partner dann häufig in die symbiotische Suppe passen, d.h. er soll mitarbeiten und sich ändern... ein Teufelskreislauf, der alles bringen kann, nur nicht mehr Leidenschaft. Ich überlasse es der Fantasie des geneigten Lesers, weitere Beispiele aus anderen Lebensbereichen zu kreieren. Für mich steht nach längerem Nachdenken jedoch fest, auch hier wird die Arbeit nicht das gewünschte Ergebnis bringen.
Mary schreibt weiter: „Gegenüber zielgerichteten Lösungsversuchen erweisen sich Beziehungen als erstaunlich resistent.“ S. 143
Das bringt uns zur Arbeit aus der
2. Beziehungsperspektive.
Und auch hier sind wir geneigt zu glauben, das Arbeit das geeignete Mittel ist, Wird schon klappen – sagt das Ego, wenn wir uns genügend anstrengen und dran bleiben. Und dann in zwei, drei Jahren... wachen wir auf und alles ist gut... Das nennt man dann Gestaltung von Beziehungen, wobei übersehen wird, dass sich die Partner fortlaufend ändern/weiterentwickeln, nicht zuletzt aus (zunächst und überwiegend) unbewussten Motivationen heraus. Und jede Veränderung verändert auch das Beziehungswesen, über das an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen wurde. Es entsteht IMMER, wenn Menschen zusammenkommen und ist NIE gleich, verändert sich ständig. Es ist eine Mischung aus den „Farbtöpfen“ (Möglichkeiten, Wünschen, Bedürfnissen) der beteiligten Personen. Dieses Beziehungswesen zielgerichtet zu verändern, kann die Partner unter Druck setzen, dem „... sie nicht entsprechen können, beispielsweise fordert es das Erlernen bestimmter Kommunikationsfähigkeiten oder eine eventuell nicht vorhandene Bereitschaft sich einzulassen, und anderes mehr.“ M.Mary ebenda S. 148
Und nun? Fragt sich vielleicht der letzte Leser, dieses Eingangspostings.
Die Lösung ist so einfach, dass es schon fast wieder komisch ist. Nix mit Arbeit und positiv Denken . Lebt einfach die Liebe, die ihr (jetzt) habt. Mary schreibt: „Glückliche Paare haben aufgehört, ihre Beziehung ihren Vorstellungen anpassen zu wollen, stattdessen passen sie sich an ihre Beziehung an.“ S. 206
Damit das gelingt, ist ein ergebnisoffenes Vorgehen förderlich. Die Partner schauen sich den Zustand der Beziehung wertneutral an und formulieren ihre (aktuellen/veränderten) Bedürfnisse, die sie kommunizieren. Das nennt Mary das Ausloten. Danach wird nach Möglichkeiten geschaut, „...die Absichten der individuellen Veränderungen, die diesem Verhalten zugrunde liegen, in die Beziehung zu integrieren.“ S. 148
Aber das ist nicht mehr das Thema dieses Threads. Mir ging es darum, meine Meinung zur Beziehungsarbeit kund zu tun.
Nun interessiert mich Eure Meinung.
Falcon_Fly