angeboren
In irgend einem anderen Thread wurde auch die Frage gestellt, ob Polyamorie angeboren ist. Also, ob das Lebens- und Liebesmodell, das in den 90er Jahren in Amerika den Namen bekommen hat, nicht angeboren sein könne. Nicht die Frage nach Monogamie, wohl gemerkt.
Ich hatte mich da schon gefragt, wie man dazu kommt, so abwegig zu denken. Irgendwie, irgendwarum sind die uns in Jahrhunderte langer Kultur- und Religionsgeschichte eingetrichterten Richtlinien überall nicht mehr lebbar, brechen auf. Bei den meisten wird es halt versteckt gelebt; es wird "fremdgegangen", "hintergangen", "Treue gebrochen". Andere stellen sich ihren Gefühlen und hinterfragen offen, was da genau passiert und wie man mit seinen Gefühlen, Einstellungen und Liebeswünschen und -fähigkeiten anders umgehen kann, unabhängig von unseren gelernten Voreinstellungen - auf denen aber nun mal unsere Persönlichkeit aufgebaut ist. Herkunft, Sozialisation, Erziehung - das ist eine Menge Arbeit, da freizulegen, hinzuschauen und Programme einfach mal zu unterbrechen. Sorry, habe ich schon öfter gesagt: da hilft Kommunikation, Orientierung untereinander, Austausch und Liebesforschung. Aber kein neues Label.
Was ich aber im anderen Thread versucht war zu fragen und hier jetzt tue, ist eine andere Frage zu stellen: ist Angst angeboren? Und ist es dann richtig, aus Angst kleine Kästchen zu bauen, in denen man Schutz suchen kann? Man sich abgrenzt, ohne vorher überhaupt sein eigenes Gebiet entdeckt und erkannt zu haben, sondern sich hinter den einem zugewiesenen Schranken bewegt? Und dann akzeptiert, das Grenzen natürlich Abgrenzung sind und nicht Übergang in ein anderes Gebiet und man nicht frei gestalten und aushandeln kann, wie Grenzgänge gestaltbar sind?
Ich finde faszinierend, welche intellektuellen Höhenflüge gemacht werden, um Strukturen der Angst, Macht und Ohnmacht zu untermauern und zu beweisen. Um zu beweisen, das Angst angeboren ist und deswegen unsere Gesellschaftsstrukturen ganz tollen Schutz für jeden einzelnen bieten, und Familie schon allein dafür wichtig ist, das Erziehung möglich ist, ohne die es nicht geht - man muss ja vermitteln, wie man mit der angeborenen Angst umgeht?
Oh Mann. Grenzen sind wichtig, total wichtig. Aber willkürlich gezogene Grenzen sind völlig unsinnig. Grenzen sind da zu ziehen, wo ein Gebiet endet, wo das Gebiet des nächsten beginnt. Und je deutlicher diese Gebiete bestellt und gelebt werden, desto einfacher wird es, sich darüber Gedanken zu machen, wo Grenzen sind, wieso sie sind, wie man mit Übergängen umgehen kann, wo man sich schützen muss und was Übergriffe und Grenzverletzungen sind. Zum Beispiel Pädophilie.
Nochmal kurz: unsere Forschung, unser Ausprobieren, unsere Selbsterfahrungen sind doch der Versuch, überhaupt unser Gebiet, unseren Raum begreifen zu können: wo sind wir, was sind wir, was können wir alles und wie gross ist dieser Raum, und wo ist er angebunden, und wie kann ich selbst Sicherheit in diesem Raum gewinnen? Und je mehr wir diesen Raum ohne Angst erforschen, desto strahlender und deutlicher wird er auch. Und desto einzigartiger. Ist das nicht toll?
Familie. Für die einen traurig, insgesamt aber wahr, das System funktioniert so nicht mehr. Eltern trennen sich, weil das System der Angst, Macht und Ohnmacht einfach nicht mehr funktioniert - aber eben auch kein Ersatz, keine Idee da ist, irgendwie anders damit umzugehen. Völlig enttäuscht vom Zusammenbrechen der romantischen Liebesbeziehung in Lebensgemeinschaft, hintergangen und gebrochen trennt man sich. Zurück bleibt ein Elternteil, der das/die Kinder hat, der andere beginnt ein neues Leben. Armutsrisiko Nummer Eins in unserer Gesellschaft; Alleinerziehend. Und alle schauen zu und sind riesig froh, das ihr Fremdgehen noch nicht aufgefallen ist, sondern die Fassade noch funktioniert. Macht und Ohnmacht. Angst. Ach ja - die ist ja angeboren, muss sie ja sein. Und deswegen sind sie es ja auch selbst schuld, wenn sie die ihnen zugewiesenen Schranken unterlaufen.
Ich habe auch drei Kinder, und wir haben uns früh getrennt. Ohne irgendwelche Begriffe zu kennen haben wir uns mit Hilfe und Unterstützung bemüht, das mit möglichst wenig Schäden für die Kids hinzubekommen. Wir waren verbindlich für die Kids da, haben an den anderen abgegeben und nicht kontrolliert, sondern Vertrauen ineinander gelebt. (gelebt - nicht gehabt. Gelernt hatten wir wie jeder andere auch, das der Partner schlimm ist, betrogen hat und ein schlechter Mensch ist, vor dem man die Kinder schützen muss. War Arbeit, da die Angst zu überwinden und Vertrauen zu investieren) Und die Kids haben zu unseren neuen Partnern enge Beziehungen aufgebaut, die wir Eltern akzeptiert und unterstützt haben. Wir haben nie die Nähe zu unseren Kindern verloren, bis heute nicht. Aber sie haben in den Partnern eben auch dichte Bezugspersonen gewonnen. Ohne Polyamorie - aber das ist auch Familie.
Und ja - ich finde es völlig lächerlich, gleichgeschlechtliche Ehe zu wollen. Die Ehe als Basis für Familie - hm, wieso bitte will irgend jemand tatsächlich dieses althergebrachte System für ein neues Miteinander, für eine neue Form des Zusammenseins, der Verbindlichkeit, Vertrauen und Zuneigung? Wieso will da niemand einen anderen Namen, eine neue Form, eine neue Idee der Gebiete, Grenzen und Übergänge? Wieso das alte System, aufgebaut auf Angst, Macht und Ohnmacht? (nein, ich zitiere jetzt keins der Bücher mit Abhandlungen über unsere christliche Kulturgeschichte der Macht und Ohnmacht)
Okay, etwas wirr.