Polyamorie im Spannungsfeld von Freiheit und Angst...
Polyamorie im Spannungsfeld von Freiheit und Angst, Egoismus und GemeinschaftFür eilige LeserInnen: es geht um diese Fragen:
Wie kann Polyamorie gelebt werden, so dass eine neue Beziehung zum Glück der bestehenden beiträgt?
Genügt es, wenn sie den bestehenden Beziehungen nicht empfindlich schadet, sondern schlicht toleriert werden kann?
Ab welchem Punkt werde ich der Liebe untreu zugunsten meines Freiheitsstrebens?
Die Fragen am Ende des Themas sind ein Versuch, zum Kern zu führen, wo ich ihn sehe.
Meine Annäherung an das Thema kann gerne übersprungen werden.
Angeregt durch einen anderen Thread Polyamory: Oliver Schott, (danke an die TE) fand ich in einem verlinkten Zeitungsartikel http://www.neues-deutschland … 968301.ficken-ohne-reue.html den Satz:
Vor allem aber ist der atomistische Egoismus zu kritisieren, der auch da noch in Begriffen individuellen Eigeninteresses denkt, wo es gerade darum ginge, die Vereinzelung zugunsten von Gemeinschaft zu überwinden und die Beziehung zum anderen nicht nur als Instrument zum eigenen Lebensglück zu betrachten, sondern als ein Verhältnis, das zu einem gemeinsamen Lebensglück gerade deshalb beitragen kann, weil es nicht nur als Mittel, sondern selbst als Zweck, und zwar geteilter Zweck angesehen wird.
Daraus leitete ich die eingangs gestellten Fragen ab, aus denen sich weitere im Lauf dieses Artikels ergaben.Meine Gedanken und Erfahrungen dazu führen mich zum Spannungsfeld zwischen Freiheit und Angst in der Polyamorie - frei nach Rosa Luxemburg: "Freiheit ist immer (Anm. d. Verf.: auch) die Freiheit des anders Fühlenden".
Im Kontext
http://de.wikiquote.org/wiki/Rosa_Luxemburg
meint Rosa Luxemburg, dass Freiheit etwas Gemeinschaftliches, und nicht Privileg eines Einzelnen sein soll. In ihren Breslauer Gefängnismanuskripten präszisiert sie: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern."
Sie zielt ab auf den Wert von unbehindertem Gedankenaustausch. So verstehe ich es.
Darin erkenne ich keinen zwingenden Appell, meine Freiheit im Handeln da zu begrenzen, wo die Grenzen in den Vorstellungen, Wünschen und Absichten des Andersdenkenden beginnen. Die Toleranzgrenzen meines Gegenüber beschränken nicht notwendigerweise meine Handlungsfreiheit.
Möchte ich „der Liebe“ (ein schillernder Begriff, ich weiß) diese Macht einräumen, und welche Begegnungsräume verschließen wir uns dadurch auch in den bestehenden Beziehungen?
Die Handlungsfreiheit des Andersdenkenen/-fühlenden beginnt spätestens da, wo die Grenzen der gegenseitigen Toleranz überschritten werden. Also muss ich, wenn ich bewusst, selbstverantwortlich und in Freiheit die Grenzen eines geliebten Menschen überschreite, mit den Folgen leben wollen. Dazu ist eine Abwägung, ggf. eine Priorisierung meiner Vorstellungen und der daraus hervorgehenden Handlungen erforderlich, notfalls auch eine Entscheidung nach entweder/oder. Letzteres wollte und wil ich gerne vermeiden. Die Erfahrung zeigt mir, dass ich nicht immer darum herumkomme, auch dann nicht, wenn Konsens, Kompromiss oder andere Formen einer gemeinsamen Entscheidung angestrebt werden.
Damit ich eine Abwägung durchführen und in der Beziehung idealerweise einen Konsens finden kann, brauche ich Informationen aus der Kommunikation mit meinem Partner. Hier greift imho Rosa Luxemburgs Satz insoweit, dass Partner einen angstfreien Raum benötigen, um sich frei äußern und im Gespräch begegnen können. Sobald einer von ihnen aus Angst befangen ist, sich offen zu zeigen, wird der wesentliche Wert des Gedankenaustauschs verspielt.
Das Hinzutreten eines weiteren Menschen in ein bestehendes Beziehungssystem kann Ängste bei allen Beteiligten auslösen. Verlustängste (an Aufmerksamkeit, Zuwendung, Nähe, gemeinsam gelebter Zeit, Äußerungs- und Handlungsfreiheit, Versorgung, der gelebten Beziehung uvm.) sind die häufigsten.
Mir fallen dazu weiter führende Fragen für ein partnerschaftliches Gespräch ein, um Informationen für ein weiteres Vorgehen zu erhalten:
1. Führen wir das Gespräch zu zweit, zu dritt, oder beides?
2. Wie schaffen wir einen angstfreien Raum für unser Gespräch?
3. Was ist deine/meine Angst (Verlustangst, Manipulation, Beschränkung etc.)?
4. Inwieweit beschränken wir unsere Freiheit aus (Verlust)Angst?
5. Inwieweit projizieren und/oder spiegeln wir unsere Ängste?
6. Was genau sind unsere Konflikte (intra- und interpersonell)?
7. Welche, auch unbewussten Strategien könnten wir haben, um unserer Angst nicht begegnen zu müssen?
8. Wo interpretieren/vermuten wir eher, als dass wir wirklich verstehen, worum es unserem Partner im Kern geht? Also: wo gibt es wirkliche Meinungsunterschiede und nicht nur Kommunikatiosprobleme?
9. Was denkst du: wie wirst Du handeln, wenn ich... tue?
10. Welche Folgen hat es, wenn jemand auf etwas verzichtet, das ihm wichtig ist?
11. Was könnten wir gewinnen durch eine neue Beziehung im Netzwerk?
12. Wie könnte wir den Wert einer weiteren Beziehung im vorhandenen System erkennbar werden, wenn einer von uns ihn im Moment nicht sieht?
13. Könnte die Art und Weise, wie wir uns (jeder für sich und wir miteinander) mit unseren Ängsten auseinandersetzen, selbst ein Wert sein?
Welche Angst- bzw. Konfliktkonstellationen habt Ihr erlebt, und wie seid Ihr so damit umgegangen, dass es Eure gemeinsame Beziehung und/oder die neu hinzukommende Beziehung bereichert hat?
Meinen unfertigen Gedanken möchte ich im Gespräch mit Euch auf den Grund gehen, um eine qualifiziertere Position für mich zu finden. Mein persönlicher Knackpunkt dabei ist das Thema Egoismus vs. Gemeinschaft.
Auf Eure Gedanken freut sich
TM