Ich glaube ein Hauptproblem bei der Darstellung von Polyamorie in den Medien und die her manchmal kritisierte "Einseitigkeit" in den Medien liegt in der "Poly-Gemeinde" selbst begründet. Menschen haben relativ klare Vorstellungen wie monogame Beziehungen sind, welche Werte und Normen ihnen zugrunde liegen...bei Poly sieht das ganz anders aus und diese "Vielfalt" ist ja auch Programm und gewünscht...und das macht es gleichzeitig beängstigend und schwer einzuschätzen für Menschen, die damit in Berührung kommen. Mein Eindruck ist: bei einem "normalen" monoamoren Beziehungsskript können die meisten Menschen die Handlungen anderer einschätzen und sich orientieren. Beispiel: jemand der nach einem Date dauernd auf Whats app online ist - sich aber nicht bei mir meldet....oder jemand der mir sagt: "ich bin im Moment nicht bereit für eine Bindung" -> das ist bei klassischer Konstellation ein klarer Code für: vögeln ist toll aber zum "Binden" bist Du mir einfach nicht wichtig genug. Kommunikation ist etwas Kompliziertes und es gibt diese Codes und Verhaltensweisen, die wir im Kontext und auf Erfahrungswerten einordnen und deuten.
Polyamorie ist ein Konzept, dass die meisten noch noch kennen - diese Codes fehlen. Und es gibt zwei Hauptgruppierungen innerhalb der Polyszene: die deren Beziehungen eher lose sein sollen (Fokus auf Autonomie),die von "durch Dick und Dünne", Kindern, gemeinsam was aufbauen Ausschlag bekommen, und die die ein starkes Commitment und hohe Verbindlichkeit wollen aber eben ggf. mit mehr als einer Person. Die Kommunikatonsfähigkeiten, die erforderlich sind um raus zu finden, ob der andere die gleichen Ideale hat und das gleiche möchte wie ich, müssen von den meisten erst gelernt werden - sind nicht vorhanden. (Klar das ist auch eine Wachstumschance
)
Das andere Problem: was wenn jemand lügt/trickst? Es könnte ja so leicht sein: ich sage: "ich will nur Verbindungen mit einem hohen Mass an Verbindlichkeit und erkläre, wie genau ich mir eine Beziehung vorstellen...und der andere lügt mir was vor, weil er vögeln will...schwafelt von Polyamorie...
Bei "normalen" Beziehungen haben wir Mechanismen gelernt um dies "herauszufiltern", wir haben das gelernt: wir gucken auf die kleinen Signale und messen die Leute an bestimmten Handlungen statt ausschließlich an ihren Worten. Mit dem Konzept "Polyamorie" verlieren aber viele dieser "Tests" ihre Basis...Dadurch steigt das Risiko enorm an vertrauensselig emotional oder sexuell "ausgenutzt" zu werden.
Deshalb glaube ich das die wichtigste Regel bei Polyamorie, die von Ehrlichkeit und Offenheit ALLEN Beteiligten gegenüber ist und es treibt mich zur Verzweiflung, wenn ich so oft sehe, dass viele Polys da so schwammig und mit viel zu viel Toleranz argumentieren... Denn es ist schwer genug rauszufinden wer ernst es jemand mit mir meint und ob wir das gleiche wollen und bei Polyamorie ist das noch viel schwerer - deshalb gibt es hier einen großen Anspruch meinerseits an Ehrlichkeit und Integrität!
Daher gilt: wer mehr verlangt (mehr Partner, mehr Freiheit, mehr Toleranz) muss auch mehr liefern: maximale Ehrlichkeit und Integrität. Wasser predigen und Wein trinken kommt da nicht in Frage und kann auch nicht mit menschlicher Schwäche entschuldigt werden - denn es wird schließlich auch vom Gegenüber ein hohes Maß an emotionaler Reife verlangt und seine Verantwortung zur Übernahme der Verantwortung bei der Eifersucht etc. eingefordert...Das Vertrauen muss ungleich größer sein...da wie gesagt weniger Orientierung an bis dato gemachten Beziehungserfahrungen möglich ist um einzuschätzen was der andere wirklich will und ist. Und ich glaube: zu viele Menschen machen negative Erfahrungen bei der Berührung mit dem Thema Polyamorie (Erfahrungen von Lügen, Betrügen, Unverbindlichkeiten, die mit Poly gerechtfertigt werden, Einseitigkeit, grenzenlosem Egoismus) - das fällt dann auf das Konzept zurück, letztlich auch, weil viele in der Community dem nicht entschieden entgegentreten - sondern eben sagen: "jeder kann machen was er will".
Es ist in meinen Augen kein Wunder, dass die meisten Leute eher ablehnend bis skeptisch reagieren. Ich wähle ja auch keine Partei, deren Programm Beliebigkeit ist...und wo ich am Ende nicht weiß, wie sie sich zu bestimmten Fragen ethisch/moralisch positioniert!
Persönliche Freiheit ist etwas schönes aber wenn man Menschen von einem Konzept überzeugen möchte, sollte es klare Konzepte, Regeln und Begrifflichkeiten geben -> daran muss vermutlich noch eine ganze Weile gearbeitet werden, bis Polyamorie in einer fernen Zukunft breite Akzeptanz findet.
LG