irgendwie traurig
Ich kenne keine/n, die/der sich aus irgendwie intellektuellen Gründen verliebt. Ich kenne viele, die ohne viel Hinterfragen in eine ganz klassische Beziehung, Ehe und Familie rutschen. Punkt.
Will sagen: Ob nun wie jemand sagte Gene einen zu einer offenen Beziehung bewegen oder, was ich für mich eher sagen kann, Unausgefülltsein, Begrenztheit, Eingeschachteltsein - die Gründe sind bestimmt sehr individuell, aber ganz bestimmt nicht intellektueller Natur. Nur weil ich die klassische Zweierbeziehung als romantisch verklärte, durch Kirche und Staat installierte kontrollierbare Macht- und Ohnmachtskiste entlarve, das durch -x Literatur und wissenschaftliche Kulturrecherche untermauern kann, öffne ich nicht meine Beziehung und liebe mehrere Menschen. Das ist Unsinn. Und daher ist es auch mindestens Unsinn, solche blöden Erhebungen zu machen, welche Berufsgruppen nun am meisten offen leben. Wobei - offen...
Ich empfinde es eher andersherum: die klassische Zweierbeziehung, so wie sie uns als klarer Lebens- und Liebesentwurf eingeimpft wurde, trägt einfach nicht mehr. Völlig egal, wo ich da mit welcher Bildung im Leben stehe, sie trägt nicht mehr. Und ehe ich überhaupt verstehe, was ich da genau fühle, was mich da genau nicht trägt, finde ich mich in einer ganz anderen Situation wieder. Und diese versuche ich zu verstehen, versuche mich zu verorten - immer wieder neu, ich recherchiere über Themen wie Kulturgeschichte und Religion. Ich tausche mich aus, besuche Seminare und Symposien, lese Bücher. Wohin mich diese Reise bringt, ist dann eine völlig andere - sie kann mich auch dahin bringen, das ich die Zweierbeziehung als für mich genau richtig erkenne. Nur weiss ich es dann und lebe sehr bewusst genau das auch aus, und lebe sie ganz sicher auch anders, als wenn ich nicht hinterfragt hätte.
Genau dieses Hinterfragen, dieses Erarbeiten kann ich nur dann, wenn ich es kann. Da hilft es ungemein, wenn ich 13 Jahre Schul-Zeit hatte und ziemlich viel nach rechts oder links denken konnte. Unterschiedlichste Sachen gemacht habe, die mich immer wieder gefordert haben, doch bitte hinzuschauen, zu recherchieren, zu verorten, Zusammenhänge zu erfassen, Beziehungen zu formulieren und herzustellen. Vielleicht noch ein Studium mit möglichst viel Raum für Nach- und Querdenken. Voraussetzung ist das aber nicht. Voraussetzung ist eher meine Neugier und, vielleicht noch viel grundlegender, eine Art von Misstrauen gegenüber dem, was mir vorgesetzt und angeboten wird zu leben, wo ich selbst mich fühlen möchte, den und die anderen fühlen möchte und daraus selbst entwickeln möchte, was ich denn wie leben kann, oder besser: wir miteinander leben können.
Und Garantie für ein selbstbestimmtes kreatives Leben ist Bildung nun wirklich nicht - und mal ehrlich, auch nicht Ziel unseres Bildungssystems. Das nämlich macht die Maschen immer enger, verschult ein Studium mit Abschluss Bachelor immer effektiver, und die Wirtschaft achtet sehr genau darauf, genügend Einfluss nehmen zu können, damit auch das menschliche Material ideal in den Arbeitsprozess passend produziert wird. Wieso verstehe ich auch nicht - wir brauchen eher Ideen und Kreativität, um unsere Gesellschaft und Zukunft gestalten zu können. Okay, OT.
Will sagen: ja klar macht es das einfacher, wenn ich zu Denken gelernt habe, eine Basis an Wissen über unsere Kultur habe und auch noch beigebracht bekommen habe, wie ich lerne, wenn ich denn etwas lernen will. Und nicht schon im jugendlichen Alter in einer Ausbildung war, die mich durchgeformt hat und wenig bis null Platz lies. Aber es ist weder Voraussetzung noch Garantie für irgendetwas. Der Maurer kann genauso kreativ und neugierig sein, der Ingenieur genauso ängstlich und werteabhängig. Und beide können das lernen, was ihnen fehlt.
Wer sich mitzuteilen und auszutauschen gelernt hat, wird natürlich auch eher gehört und gesehen; in Foren zum Beispiel. Also keine Ahnung, ob da überhaupt irgendetwas repräsentativ sein kann.
Und wie gesagt - wofür?