Meine Erfahrungen
Haltet ihr "Spielregeln" in polyamoren Beziehungen für notwendig, um das Konfliktpotential zu minimieren?
Es kann not-wendig sein, um einen Partner vorübergehend vor Überforderungen zu schützen, bis er die Schritte gegangen ist, um seine Grenzen weiten zu können, falls er das möchte. Das beiderseitige Vertrauen sehe ich darin, dass das, sofern es ein Entgegenkommen als Zwischenschritt ist, weder als Machtinstrument noch als Entwicklungsverweigerung verwendet, sondern auf ein gemeinsames Entwicklungsziel hin gearbeitet wird, sofern mensch denn in einer "Arbeits"beziehung leben möchte.
Oder lehnt ihr jede Form von Vorschriften, Absprachen und Regeln als Eingriff in die Freiheit eurer Liebe ab?
Am liebsten wäre mir natürlich, frei wie der Wind in meiner Lust und Liebe zu sein, so lange oder kurze Zeit, safer oder nicht, mit meinen Liebsten zu sein, wie ich das gerade möchte, und alle fühlen sich wohl damit
. Und alles, was sich in den Weg stellt, da wehe ich elegant drum herum oder ich puste es weg
.
Natürlich ist das eine Illusion, weil wir alle mehr oder weniger kleine Egos haben.
Regeln können mir aus egoistischen Motiven nicht gefallen. Dazu kann ich verschiedene Haltungen entwickeln. Wohin ich möchte, ist, dass ich mein Eigeninteresse in meinem eigenen Interesse und aus Liebe zum Gegenüber und aus Freude am gemeinsamen, harmonischen Miteinander mit ihm ändere oder wenigstens zurückstelle. Insofern kann ich das Einhalten von Regeln als mein Beitrag zum Gelingen der Beziehung und als Entwicklungschance für meine Liebesfähigkeit sehen.
Ich kann aber auch schlicht verlustängstlich, zu faul, zu feige sein, mich den Konflikten und dem Stress zu stellen und deshalb Regeln akzeptieren, obwohl sie mir nicht gefallen. Wenn sich dadurch unterschwellig Frustration aufbaut, ist das allerdings keine gute Idee.
Wie verändern sich eventuell getroffene Absprachen im Laufe der Zeit? Lasst ihr sie sich fließend entwickeln oder muss bei euch "nachverhandelt" werden?
Anfangs habe ich mir, trotz des Wunsches nach größtmöglicher Freiheit, unbewusst selbst, möglichst beständige Regeln gewünscht, weil ich feste Grenzen verinnerlichen wollte, innerhalb derer ich mich so bewegen kann, dass sich alle meine Partnerinnen wohl fühlen mit mir.
Das ging so weit, dass ich jeden Wunsch einer Partnerin für mich als eigene Regel für mich angenommen und dadurch jeden Konflikt zwischen diesen Wünschen verinnerlicht habe. Damit wurde es mein Konflikt; ich fühlte mich oft zerrissen, uneins, unsicher. Ich hatte keine klare Linie und nicht wirklich einen eigenen, emotional mittigen Standpunkt, den ich innerlich und nach außen vertreten habe. Statt dessen habe ich mich zum Opfer meines Harmoniebedürfnisses gemacht und wenig später genau dagegen rebelliert – natürlich habe ich nicht versäumt, meine inneren Konflikte auf meine Partnerinnen zu projizieren. Logisch jagte eine „Regel“änderung die nächste. Verwirrung, Chaos und Stress pur – durch selbst gebaute, meist von mir einseitig verkündete, mich verpflichtende Regeln, von denen die meisten niemand wollte.
Das ist ein paar Jahre her. Heute gibt es keine Regeln mehr, sondern Einzelfallabsprachen - im Idealfall jeder in Selbstverantwortung für sich. Ich fühle mich grundsätzlich frei und in Selbstverantwortung. Dadurch kann ich meine eigenen Grenzen sehen: Trotz, Konfliktscheu, Verlustangst usw. - viel von dem, was ich früher projizierte. Die Befreiung von allem, was ich als Regeln empfand, hat mir geholfen, den Blick dorthin zu wenden, wo er hingehört: auf mich. Ich danke der Frau, die mir das zuvorderst ermöglichte. Was ich sehe, gefällt mir sehr oft überhaupt nicht, aber ich sehe, dass alle Verantwortung bei mir liegt und nicht bei meinen Partnerinnen, die, aus meiner alten Perspektive betrachtet, Unmögliches von mir wollten, zu anspruchsvoll waren, mich beschränken, kontrollieren oder ihre eigenen Verlustängste nicht anschauen wollten. Auch wenn all' dies richtig gewesen wäre – es hätte nicht in meiner Verantwortung gelegen, dem aus falsch verstandener Liebe, Rücksicht oder einem anderen Motiv entsprechen zu müssen.
Immer dann, wenn mein Ego heute rebelliert, weiß ich, dass ich Anlass habe bei mir nachzuschauen, welche Anteile in mir nicht stimmig sind mit einander.
Polyamory: Regeln und Rituale
Zum Hintergrund: den Artikel schrieb eine US-amerikanische Autorin. Zu ihrem radikalen Ton wird sie inspiriert worden sein, weil dort die Primary-Secondary-Hierarchie – nach dem, was ich gehört habe – wesentlich rigoroser gelebt als hier.
Es gibt viele Weisen, (polyamor) zu leben – auch mit gemeinsam und einvernehmlich vereinbarten Regeln, die anderen unsinnig oder wertlos erscheinen mögen. Das ist Teil der Freiheit, auch wenn sie Beschränkung bedeuten kann. Das liegt bei den Beteiligten.
Jeder hat (für sich) einen guten Grund, sich so zu verhalten, wie er es tut. Für wertende Kritiker ist es vlt. hilfreich, dass die ihren eigenen (leider oft vermeintlich als „besser, höher entwickelt, wahrer" oder „reifer“ empfundenen) Standpunkt zu finden, was im Idealfall zu positiven Veränderungen bei den Kritikern führt.
So hat ein Jedes seinen Wert.
Neben konstruktiven Anregungen in o.g. Text empfand ich das als wesentlich:
Auch dies ist nicht nur Semantik. Diese anderen Formen der Beziehung sind nicht „nur wie Regeln“. Sie sind Großzügigkeit und Freude und Achtsamkeit, nicht Kontrolle und Grenzen und Angst. Was hier zählt, ist die Absicht.
M.E. ist es das Gefühl von inniger, von Herzen kommender Liebe und Zuwendung, das diese Absicht mittels entsprechender Kommunikation zum Ausdruck bringt – jeder, so „gut“ er kann und da, wo er gerade steht.
lich
t
m
P.'S. Zum Thema gibt es auch diesen alten Thread:
Polyamory: Regeln