Liebe TE,
ein paar Anmerkung zu Deinen Reflektionen (auch von mir übrigens Kompliment für Deine Offenheit).
1) Meines Erachtens ist das nicht nur eine Vokabelfrage. Es geht darum, was für eine Beziehungssituation man mit Vorwürfen zum Verhalten des Anderen implizit zeichnet. Bei einem echten Kompromiss geht es (frei nach Popper) darum "dass Du Dich irren kannst, dass ich mich irren kann und dass wir beide durch den Mittelweg unserem gemeinsamen Glück vielleicht ein stückweit näher kommen". D. h. beide sehen sich auf "Augenhöhe" in einer Position, wo sich was ändern muss und beide gestehen der eigenen Idee, wie das geschehen soll, nicht mehr Plausibilität zu als der anderen. Ferner geht es für beide um eine Frage des Handelns, des Umgangs mit dem gemeinsamen Problem und nicht um ein Infragestellen von grundlegenden Wesen, Werten und Auffassungen des Anderen (was nämlich das Gegenteil von Liebe wäre).
Beim Opfer ist dies grundsätzlich anders. Beim Opfer sieht sich einer in der unterlegenen Position. Beim Opfer geht es darum, dass der vermeintlich Überlegene einseitig ein Stück von seinem "Vorteil" abgeben soll, damit der andere auf Augenhöhe kommt. Und er soll etwas abgeben, was ihn fundamental als Mensch aus- und glücklich macht, einen Teil von sich, denn sonst wäre es ja kein Opfer. Opfer retten zweifelsohne Beziehungen, aber retten Sie auch die Liebe?
Welche Beschreibung für Eure Beziehungssituation zutreffender ist, weiß ich nicht, aber das Bild was Du hier mit Worten davon gezeichnet hast, passt eher zum "Hoffnung auf ein Opfer"-Schema, und nur darum habe ich Dich korrigiert. Damit wollte ich sicher nicht verallgemeinern, dass es bei Debatten zwischen Poly- und Monos immer um diesen Sachverhalt geht. Es gibt sicherlich Fälle, wo es um Probleme mit mangelnder Kompromissbereitschaft geht, aber das entspricht nicht dem, was Du hier über Euch dargestellt hast.
2) Du machst dann die spannende Figur auf von "jemanden, der sehr egozentrisch ist und über die Gefühle des anderen hinweg sehen kann.". Das scheint mir ein Knackpunkt der ganzen Problematik zu sein, die Dich und viele, die mit Poly experimentieren, umtreibt.
Folgt aus der Tatsache, dass ein von mir geliebter Mensch mit unserer Beziehung unglücklich ist, die ethische Verantwortung dass es meine Aufgabe ist, mich zu ändern, damit sich das ändert?
Ich glaube nein. Ich glaube auch nicht, das es egozentrisch oder egoistisch ist, das zu verneinen. Auch Monos lieben meist Ihre Eltern und fühlen mit Ihnen, wenn Sie z. B. im Alter an der Veränderung der Welt, die sie mal gekannt haben, leiden und darüber meckern. Spenden von Mitgefühl und Trost bedeutet aber in diesen Fällen auch nicht, dass ich "die Problemdefinition des Leidenden" übernehme (das die Welt ja so schlecht geworden ist) und entsprechend handele und fühle, als wäre ich ein Rentner. Trotzdem habe ich eine liebende Beziehung zu meinen Eltern. Oder noch zugespitzter: Wenn mein Vater ein Junkie auf Entzug ist, leide ich freilich empathisch mit ihm am Turkey, aber werde ihm sicher keinen Schuss besorgen (drastische Metapher vielleicht, aber das ist der Punkt, auf den ich hinaus will).
Mitgefühl und Hilfe bedeutet nicht die Übernahme der Weltsicht und Problemdefinition des anderen. Sondern auf die Emotionen des anderen komplementär zu reagieren, NICHT sie zu übernehmen.
Frag mal psychologisch ausgebildete Katastrophenhelfer. Die weinen (nach der grundsätzlich Anerkennung des Leids des anderen) nicht mit den traumatisierten Opfern, sondern überzeugen Sie davon, dass man die ganze Lage auch anders betrachten kann und muss, um weiterleben zu können.
Aber zurück zum Thema: Egoistisch oder egozentrisch wäre es, wenn mir egal wäre, ob der andere leidet. Wenn ich mich der anderen Person nicht zuwende um ihr zu helfen, wenn ich nichts unternehme. Wenn ich sehe, dass meine geliebte Partnerin irgendwie an meinem Verhalten leidet, werde ich selbstverständlich ihr Leiden anerkennen (wichtig!) und alles tun, um dies zu ändern. Aber eben im Rahmen meiner Sicht auf das Problem und nicht einfach weil sie sagt: das und das wäre die Lösung, damit ich glücklich wäre, ändere Dich entsprechend. Meine Sicht kann von ihrer ja total abweichen und gerade darum hilfreich sein. Sehr oft ist es so, dass man selbst in seiner Opferstilisierung "betriebsblind" für die eigenen Anteile am Problem oder andere mögliche Perspektiven zur Lösung wird.
Das Problem mit dem Vorwurf des Egozentrismus in der festen Partnerschaft besteht ferner darin, dass er impliziert, dass der andere Partner mit seinem Verhalten verantwortlich für Dein Beziehungsglück sei. Dies blendet aus, dass ALLE Menschen dazu neigen, alle möglichen Arten von inneren Konflikten auf den Partner zu projizieren. Das können Konflikte mit sich selbst sein, vielleicht zum Sinn des eigenen Lebens, aus dem Berufsleben, etc. Oft sind es auch ungelöste Konflikte und Dramen aus der Kindheit, die man ganz natürlich auf seine primäre Bezugsperson projiziert. Ich würde mir an Deiner Stelle mal die Frage stellen: Woher kenne ich dieses Opfer-Schema, dass ich also das Gefühl habe, dass der andere egoistisch ist, keine Rücksicht auf meine Bedürfnisse nimmt usw. Habe ich das selber schon erlebt in vergangenen Beziehungen, in meiner Kindheit, in der Beziehung meiner Eltern usw.
D. h., um zurück zum Punkt zu kommen, aus der Tatsache, dass mich etwas am Verhalten meines Partners ärgert, aufregt, verletzt, folgt in keinster Weise zwingend, dass er sich ändern muss oder überhaupt irgendwas falsch macht. Es folgt übrigens auch in keinster Weise daraus, das ich selbst mich ändern muss!! Zu erkennen, dass man etwas auf den Partner projiziert, heißt überhaupt nicht, "das man selber schuld ist und nur an sich arbeiten muss". Vielleicht geht es um Aspekte aus anderen Sphären meines Lebens (Job), an denen zu arbeiten wäre, vielleicht gehe ich grad einfach durch eine schwierige Phase meines Lebenswegs und in dieser Phase tut mir die konkrete Beziehungskonstellation einfach nicht gut. Vielleicht geht der andere ja auch durch eine solche Phase und das tut mir nicht gut. Auch dann ist er nicht "schuld" und es hilft niemandem, ihm dann zu sagen er muss sich ändern. Und natürlich ist es besonders leicht, eine Änderung des Anderen hin zu einem "gesellschaftlich erwünschten Verhalten"(=Monoamorie) zu fordern, da hat man ja gleich viele Freunde, Bekannte, Verwandte, etc. "im Boot", die das genau so sehen, also habe ich "recht", gell? Viel anspruchsvoller ist es andersrum, aus Überzeugung "gegen den Strom" seine Auffassung trotz breiter sozialer Sanktionierung zu halten, und darum ist poly-sein ja auch nicht leicht und wenn Du ihn liebst solltest Du auch das anerkennen, seine Position ist mutig.
Da sind wir aber nebenbei auch bei einer der Kernquellen für große Probleme in monoamoren Lebenspartnerschaften gelandet, dem Gedanken, dass es immer die Beziehung richten soll und die auch niemals in Frage gestellt wird und deren Funktionieren mit der Liebe zu der Person gleichgesetzt wird. Viele Polys glauben demgegenüber aber, das man sich gerade aus Liebe zu einer Person dafür entscheiden kann, die Beziehung zu beenden, weil sie gerade nicht der beste Umgang mit der Liebe in der Lebensphase der Beteiligten ist.
Ein weiterer, typisch heteronormativer Gedanke, der Quell vieler Probleme ist, ist eben auch, dass man immer die absolut gleiche Weltdefinition, also auch die gleichen Gefühle zu etwas haben soll, was den anderen umtreibt, eine Idee, die letztlich auf ein Verschmelzen der Identitäten hinausläuft. Diese Fiktion scheint mir auch gerade in der postmodernen digitalen Medienwelt noch schlimmer zu werden, wo wir ständig "Profile" anlegen die dann "matchen" sollen usw.. (aber ich komme vom Thema ab, sorry). Viele Polys glauben demgegenüber aber, dass es gerade darum bei Liebe nicht geht, sondern um "Einheit in Differenz", den anderen gerade in seiner Andersartigkeit als Ergänzung zu sich selbst zu empfinden. Und das eine Liebe die auf "Identitätsverschmelzung" hinausläuft eher sowas wie gemeinsames Masturbieren ist..
Und damit bin ich jetzt beim letzen Punkt, nämlich der Frage, was Liebe eigentlich ist und das man dazu eben unterschiedlich denken und fühlen kann. Liebst Du Deinen Partner wegen seines Wesens? Experimentiert er nur mit Poly? Verwendet er es als Label um "Freundschaft Plus" oder "Fremdgehen" zu erklären? Oder liebt er wahrhaft mehrer Menschen aufrichtig in ähnlicher Tiefe, glaubt an Liebe als "bedingungsloses Teilen zwischen vielen" und fühlt auch so?. Wenn letzteres wahr sein sollte, ganz ehrlich, wie empfindest Du das? Liebst Du ihn als ganzen Menschen, liebst Du auch wirklich diesen Aspekt von ihm, oder wäre es Dir ins geheim ganz recht, wenn es nicht so wäre? Siehst Du es vielleicht nur als "Marotte", die gar nicht seinem Wesen entspricht oder gibt es einen Teil von Dir, der erkennt, dass er wirklich "so drauf ist" und genau diese Erkenntnis nicht wahrhaben will und darum willst Du es "nicht sehen" und darum soll er sein Verhalten ändern? Das sind Fragen, die Du Dir tief und ehrlich stellen solltest, um zu einer guten Problemdefinition Eurer Situation in Bezug auf Liebe und Beziehung zu kommen, erst dann können überhaupt Kompromisse erdacht werden. Dazu jetzt nachfolgend noch ein paar philosophische Gedanken zur Liebe..
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3) Was man aus Deiner Argumentation herauslesen kannst, ist die (westlich-christlich-heteronormative) Idee, das "Geben und Nehmen" im Sinne einer Herstellung der Gleichheit von Glück und Unglück im Alltag und Handlungen, die darauf abzielen sozusagen das Wesen von Beziehung und Liebe für Dich als oberstes Ziel ausmachen. Wenn es Dir bei der Debatte wirklich um Kompromisse geht, solltest Du aber in Betracht ziehen, dass man hierzu auch anders denken und leben kann. Man kann nämlich der Auffassung sein, dass Liebe nicht durch einen Tauschprozess fundiert wird, sondern durch den Akt des Teilens. Beim Tauschgedanke (der tief in der Alltagslogik unserer kapitalistischen Gesellschaft verwurzelt ist) geht es darum, dass jeder "gleich viel bekommt" bzw. "gleich viel leidet". Dann ist die Liebe für beide "ein gutes Geschäft". Beim Gedanke des Teilens von Liebe geht es demgegenüber darum, dass die Gemeinsamkeiten genossen werden, ob sie nun klein oder groß sind, ob sie nun zeitlich begrenzt oder dauerhaft sind. Beim Teilen muss der eine nichts weggeben, damit der andere etwas bekommt. Und nicht immer muss Liebe durch das öffentliche Erklären einer "Beziehung" mit "Regeln" längerfristig abgesichert und "geschützt werden". Natürlich organisiert man auch sein Miteinander, macht vielleicht auch "Regeln", aber wenn das nicht mehr klappt, werden die Ursachen eben nicht einzig beim Partner oder der Liebe verortet (siehe oben).
In diesem Zusammenhang möchte ich schließlich noch dafür werben, darüber nachzudenken, warum Dein Freund gerne mit anderen MDMA (darum geht es ja wohl) konsumiert und "kuschelt". Diese Substanz gehört zur Familie der Empathogene, das sind psychoaktive Substanzen, die einem temporär das Gefühl vermitteln können BEDINGUNGSLOS geliebt zu werden. Wenn er das mag und wiederholt tut, wird er es wie viele andere Menschen der letzten zwei Jahrzehnte wohl als eine Art Selbsttherapie benutzen, weil er sich genau danach sehnt und sein Alltag das nicht hergibt. Bringe diesen Sachverhalt mal zusammen mit Deinem Wunsch, dass er etwas für Dich als "Liebesbeweis" opfern soll und Du erkennst vielleicht etwas zentrales über den Knackpunkt, der Eure Beziehung gerade schwierig macht. Nur weil Du den Zustand, dieses Opfer nicht zu bekommen "erträgst", wir er dennoch sicher sehr gut Deinen latenten "Wunsch" bzw. die "Opfer-Forderung" spüren und wenn er Dich liebt, wird ihn das bedrücken...
4) die Tatsache, dass eine asymmetrische Beziehung, die Opfer-Logiken reproduziert dennoch lange Zeit "funktioniert", zeigt nur ein zutiefst menschliches Phänomen: Wir neigen dazu, immer wieder unsere inneren Beziehungsdramen, die wir seit der Kindheit mit uns schleppen und oft von unseren Eltern und deren Eltern schon geerbt haben, wieder re-inszenieren zu wollen und suchen uns dazu mit einem heimlichen Beuteschema solche Partner aus, mit denen das besonders gut klappt. Solche Beziehungen halten nicht deswegen lange, weil sie den Beteiligten gut tun, sondern weil sie ein "vertrautes Gefängnis" darstellen, an das man sich schon so gewöhnt, hat, das man sich gar nichts mehr anderes vorstellen kann. Das könnte für Euch beide gelten. Er bindet sich vielleicht chronisch an "Bedingungsleute", in der Hoffnung, dass die endlich mal zufrieden sind und keine Bedingungen mehr stellen, was für Ihn das "Heilsversprechen unendlicher Liebe" ist. Du bindest Dich vielleicht chronisch an Leute wie ihn und hoffst auf das "Opfer als Liebesbeweis", damit Du endlich glaubst vollendst geliebt zu werden. Gerade solche dauerhaft unerfüllten Hoffnungen können Beziehungen aufrechterhalten und machen sie stabil. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede
LG und Euch beiden von Herzen alles Gute,
Shabd