Polyamorie als Weg - nicht als Ziel
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Und ja und ganz banal, es können einige unangenehme gefühlte Veränderungen wie die Aufgabe einer gefühlten Heimat, ein Wohnungswechsel, Aufgabe eines gemeinsamen Projekts "Sicherheit" usw. daraus folgen.
Eventuell ein Grund warum sich viele Poly´s, aus meiner Sicht, in Liebesbeziehungen begeben, die so wenig äußere Abhängigkeiten wie möglich eingehen? Ist dies das Üben? Was bedeutet dies auf längere Sicht? Wohin wird es sich entwickeln? Was fühlt ihr dazu?
Ich habe mich aus verschiedenen Gründen aus einer polyamoren WG wieder in einer eigenen Wohnung niedergelassen. Einer davon war, dass es mir (einmal mehr) nicht gelang, meinen Vorstellungen und denen unserer WG-Mitglieder hinsichtlich Verbindlichkeit entsprechen zu können: zu einer unzerbrechlichen Familie in bedingungsloser Annahme und Liebe zusammenzuwachsen und auftretende Konflikte in wahrhaftigem Sich-Zeigen aufzulösen oder friedlich mit ihnen zu leben. Dabei stolperte ich immer wieder, ohne mir dessen bewusst zu sein bzw. bewusst werden zu wollen über das, was Du hier benennst:
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Der Anspruch an sich selbst und die eigene Verurteilung , das wanken im Selbstbild, dass man gerne von sich selbst hätte, lässt uns nur allzu gerne projizieren, abstrahieren oder relativieren.
Es war ein Üben (nicht nur in der WG-Zeit), und ich hatte nicht die Kraft, die Aufgabe zu lösen. Es waren zu viele und anhaltende Konflikte für mich, die ich nicht in mir auflösen konnte in dieser Nähe, von denen ich mich schleichend auszehren ließ – lange, ohne es wirklich zu fühlen (nicht meine Stärke). Dann kamen noch ein paar andere Aspekte aus meiner Sphäre dazu, die die Gemeinschaft belasteten. An einem Punkt wurde mir Friede wichtiger als Liebe, als all' das, wofür ich mich verbindlich einsetzen und entwickeln wollte. Einmal mehr verließ ich verbindliche Verbindungen. Emotional änderte das für mich nichts in Bezug zu den Menschen, die ich liebe.
Also beginne ich von vorne: bei mir und meinen ersten Gedanken zu Polyamorie. In der Hoffnung (aber derzeit ohne Aussicht auf Realisierung) , dass sich irgendwann das entwickeln möge, seit ich den Begriff der Polyamorie entdeckte: eine Nachbarschaftsgemeinschaft, in der alle Mitglieder die Nähe bzw. Distanz einnehmen können, die für sie stimmig ist. In meinem Fall kommt, für manche Liebespartnerinnen erschwerend, hinzu, dass ich nicht „astrein polyamor“ bin. Meine Freude an Sexualität ich (noch) viel zu groß, als dass für mich immer Liebesgefühle und langfristig Verbindliches damit verbunden sein müssen, damit die Begegnungen lebenswert sind.
Das ist für mich die Bedeutung der Erfahrung von 9 Jahren Polyamorie auf längere Sicht.
Nun könnte ich von mir sagen: ich würde gerne „polyamor“ fühlen und leben in dem, was ich mir wirklich wünsche, aber ich kann es nicht - und für den Rest meiner Tage ent-täuscht von mir sein. Ich möchte lieber versuchen, die Liebe in mir lebendiger und das daraus folgende Verhalten verbindlicher werden zu lassen. Dafür, so fühle ich das im Moment, brauche ich erst einmal einen längeren Abstand, ein Zu-mir-gehen. Damit verbunden ist die Befürchtung, den roten Faden zu verlieren, zu lange zu stagnieren, statt mich zu entwickeln. Also fühle ich mich unsicher und habe Zweifel, ob meine Entscheidung richtig war. Ob sie nicht zu früh kam. Und zugleich das Gefühl aus allen meinen Lebens- und Beziehungserfahrungen: es war richtig – ich bin kein Gemeinschaftsmensch für die Nähe in 4 Wänden. Ich brauche meinen Raum, meine relative Unabhängigkeit. Meine Liebe mag keine Abhängigkeiten. In keine Richtung.
Da ist die Sorge in mir, immer noch nicht erkannt zu haben oder wahrhaben zu wollen, wer ich wirklich bin, was ich sinnvollerweise leisten kann, wenn ich mich nach (m)einer Vorstellung von Liebe entwickeln will, statt einfach „ich“ zu sein. Da ist die Sorge, eigentlich keinen Schimmer von „Liebe“ (individuell und in einem übergeordneten Sinn) zu haben; meine Vita präsdestiniert mich nicht gerade dazu, so viel darüber erfahren zu haben, dass ich sie in ihrer ganzen Tiefe fühlen kann.
Ich möchte Euren Leseeifer nicht über Gebühr strapazieren und komme zum Schluss:
Es geht für mich nicht mehr um Beziehungsmodelle.
Es geht mir um „L(i)ebe in Frieden“.
Mein Weg ist das Ziel, und ich hoffe, dass mir das Ziel nicht im Weg ist
T
M