Gesunde Selbst- und Fremdliebe vs. Narzissmus
Seitdem wir uns enger mit Polyamorie und dem zugrunde liegenden Konzept einer dafür gut aufgestellten „Selbstliebe“ auseinandersetzen, merken wir, daß wir beim Thema „Narzissmus“ häufig zusammenzucken, da einige Potentiale dieses Phänomens sich wie ein Unfallkatalog für polyamore Konstellationen lesen.Immer wieder erwischen wir uns dabei, darüber nachzudenken, wie viel von diesem „Unfallkatalog“ auch auf unser Verhalten im polyamoren Kontext zutrifft.
Wenn wir versuchen sollten, die Begriffe Narzissmus und Selbstliebe voneinander zu trennen, würden wir es so versuchen:
Die Selbstliebe richtet sich aufs Selbst, wie z.B. Zufriedenheit, Verbundenheit mit dem Sein, oder Bedingungslosigkeit.
Narzissmus dagegen dient dem Ego, das heißt Behauptung (und damit Schutz) von Persönlichkeit/ Identität sowie Hervorhebung von persönlichen Stärken, Leistungen und Erfolgen.
Wäre demgemäß Narzissmus mit übersteigerter Selbstliebe gleichzusetzen? Wir glauben nicht, da man Narzissmus geradezu als eine Art „Ersatz“ für mangelnde Selbstliebe sehen könnte.
Unser Schreckensszenario in dieser Hinsicht ist, dabei, dass dadurch besonders narzisstisch veranlagte Menschen doch geradezu angeregt sind, Mehrfachbeziehungen zu führen:
Diese ermöglichen z.B. Rückzug oder „erlaubten“ Partnerwechsel (bzw. Aufnahme weiterer Partnerschaften), wenn es für die (narzisstische) Hülle zu bedrohlich wird. Aber dadurch wären auch die krassen Gefühle bei Enttäuschung, Einsamkeit oder den Verlust des Gefühls von Begehrt-Werden erklärbar...
Denn auf der einen Seite ist der Narzisst gerne in einer Beziehung, um hierdurch ausreichend Bestätigung und Bewunderung zu erfahren, wodurch er sich natürlich innerlich abhängig macht. Auf der anderen Seite lehnt er jede Einmischung in seine Selbstbestimmung und Autonomie in der Regel äußerst brüsk ab, da er hierin eine kränkende Bevormundung und Kontrolle sieht.
Da wir uns hier in der Gruppe immer wieder mit der – teils erstaunten Frage – „Seid ihr mit Euren Partnern zufrieden oder seid ihr (immer) auf der Suche?“ auseinandersetzen, könnte auch das ins (narzisstische) Bild passen, denn erobernde Werbung oder kalte Zurückweisung werden gerne danach gesteuert, wo die ersehnte Bewunderung gerade am vielversprechendsten oder am „sättigendsten“ erscheint: ob vom Partner oder in der „freien Wildbahn“.
Und möglicherweise sind wir dann genau Opfer davon , daß wir – egal ob in Beziehung oder in freier Wildbahn – so auf unbewußte Weise unseren „Marktwert“ testen.
Denn „Bewunderung“ erhalten wir für bestimmte Leistungen oder einen bestimmten Zustand. Und das ist vergänglich, bedrohlich, angsteinflößend, bis ins Mark erschütternd...
Liebe dagegen akzeptiert den ganzen Menschen mit seinen Stärken und seinen Schwächen. Wahre Liebe unterscheidet nicht, was jemand leistet, ob jemand Erfolg hat, ob jemand attraktiv ist oder ob er nichts davon ist oder hat.
Diesen Überlegungen wollten wir Euch vorlegen, weil muns das Thema „Narzissmus“ immer wieder wie ein Phantom zu verfolgen scheint - und uns einige Polys auch schon von ihren eigenen "Life-Begegnungen" damit berichtet haben. Wir freuen uns über jeden Impuls zu dem Thema.
(PS: Wir geben zu, einige Formulierungen von Narzissmusportalen entlehnt zu haben. Wir bitten um Entschuldigung, da wir uns halbwegs verständlich ausdrücken wollten.)