Polysuffizienz
Heute bei der Gartenarbeit und nach Lektüre des aktuellen BUND-Magazins kam mir ein interessanter Gedanke:Nämlich, ob die viel diskutierte polyamore „Verbindlichkeit“ nicht möglicherweise mit dem hochaktuellen Wert der „Suffizienz“ (in etwa: „ein genügend an“ / Genügsamkeit) in engem Zusammenhang steht (beide Größen tauchen, aus dem angloamerikanischen Bereich kommend, dann auch seit Beginn des Jahrtausends verstärkt im Diskurs auf: z.B. Elaine Cook: Electronic Journal of Human Sexuality – Commitment in Polyamory// Thomas Princen: MIT Press - The Logic of Sufficiency; jeweils 2005).
Weder Suffizienz noch Verbindlichkeit sind nämlich bequem und beide werden ebenfalls gerne als Beschränkungen wider unsere volle persönliche Freiheit hingestellt.
Die Synthese beider Werte in die Polyamorie kann mit dem leicht abgewandelten Suffizienz-Slogan „Manche Polyamoristen behandeln ihre Partner, als hätten sie noch weitere im Kofferraum...“ schnell hergestellt werden. Oder, anders gesagt: Manch Eine/r handhabt ihre/seine Polyamorie so, als ob da stets genug (weitere) Fische im Wasser wären.
Ist, wer Verbindungen mit dieser Einstellung aufnimmt, folglich so unverbindlich wie insuffizient?
Von hedonistischer Seite aus müssen sich Suffizienz und Verbindlichkeit viel Kritik gefallen lassen.
Dabei wird meist die oben erwähnte Einschränkung der persönlichen Freiheit ins Feld geführt, die allerdings häufig eher eine Verteidigung der eigenen Bequemlichkeit, sprich Komfortzone ist: Erwünscht ist, was gefällt – gefällt es nicht mehr, weg damit und auf zu neuen Ufern...
Diese Personen scheinen, wenn sie diesbezüglich Suffizienz oder Verbindlichkeit hören, vor allem „Du mußt verzichten!“ zu verstehen und darum ändern sie nichts an ihrem Verhalten sondern machen weiter wie gewohnt. Manchmal mag dabei auch Zweifel an der Wirksamkeit oder Resignation dahinterstecken – aber auch diese beiden Gründe sind ja meist von uns beauftragte Wächter, die uns am Tor unserer Komfortzone vor dem gefährlichen „Jenseits“ bewahren sollen...
Wann ist also – auch in Beziehungsdingen - „gut“ gut genug?
Ist da überhaupt Platz für Spaß und persönlichen Genuß?
Ich denke ja, da „Genuß“ ja tatsächlich eine Frage der eigenen Haltung ist. Nachhaltige und langfristige, mich nährende soziale Kontakte geben mir jedenfalls mehr, als wöchentliches „Polyspeeddating“ mit ungewissem Ausgang. Und obwohl der Aufbau solcher Kontakte selbstverständlich mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, werden diese „eingewachsenen“ Beziehungen, in die ich Pflege investiere, mittelfristig meinen Kopf freier machen, weil sie ein hohes Maß an Verläßlichkeit und Berechenbarkeit aufweisen.
Ob das langweilig klingt und irgendwie nach Einschränkung?
Wenn ich an die Maxime „Niemand soll immer mehr haben wollen müssen“ denke, dann fällt mir auf, daß mich oberflächliche Beziehungen oder der „Kick nach Neuem“ letztendlich doch immer unzufrieden zurücklassen werden, so daß ich eher früher als später doch wieder „mehr/was anderes haben möchte“.
Suffizienz und Verbindlichkeit kann indessen durchaus Platz im Rahmen verschiedener Lebensentwürfe erhalten. Dabei ist für mich vor allem ausschlaggebend, ob ich mich als „selbstbestimmt“ wahrnehme oder ob ich stattdessen „immer auf dem Sprung bin“.
Selbstbestimmung klingt da für mich eher nach Freiheit.
Wieder also Frage nach der so oft ins Feld geführten „persönlichen Freiheit“ hinsichtlich Unverbindlichkeit in der Beziehungsführung...
In Beziehungsdingen gibt es für mich im Gegenzug aber kein Recht, zulasten möglicher Partner*innen zu agieren. Es ist evtl. des Nachdenkens wert, welchen Preis ich morgen oder übermorgen absehbar mit mehr oder weniger unzufriedenen Partner*innen zahlen werde, wenn ich HEUTE auf meine persönliche uneingeschränkte Freiheit poche.
Oft wird im Zusammenhang mit Suffizienz und Verbindlichkeit auch gerne vom „rechten Maß“ gesprochen. Ist das nicht reichlich „anmaßend“, so etwas festzulegen?
Tja. Sobald ich mich „in Beziehung“ begebe, gilt es in jedem Fall über den Zugang und die Verteilung von begrenzten Ressourcen zu entscheiden. In der Polyamorie sind das oft Zeit, Aufmerksamkeit, manchmal auch Geld für Unternehmungen. Unsere Werkzeuge diesbezüglich lauten Gemeinschaftlichkeit und Transparenz. Und es sollten für alle Beteiligten möglichst viele Freiheitsräume gewahrt bleiben, um das jeweils individuell „rechte Maß“ zu bestimmen.
Ohne Suffizienz in meinen Beziehungen kann ich mir solche komplexen Themen eigentlich gar nicht vorstellen, schon allein, weil eine gemeinsame Kommunikationsbasis dafür nötig ist.
Und ohne Verbindlichkeit fehlt mir die Grundlage, mich dieser Arbeit in meinem Beziehungsgarten mit meinen Mitgärtner*innen zu stellen: Heute, morgen und solange die Liebe hält.
(Glen von Glen_Ilme)