Ich wage einen persönlichen Beitrag.
Ich habe die letzten mindestens eineinhalb Jahre sehr intensiv darauf verwendet, mich meinen Gefühlen, Emotionen und Traumata zuzuwenden. Dies - und es ist mir wichtig, das das als Grundlage, als Motivation verstanden wird, nicht um einer Selbstoptimierung willen. Sondern eher genau andersherum: ich habe mehr als deutlich wahrgenommen, das mich meine Emotionen und Traumata steuern; ich mich ihnen quasi hilflos ausgesetzt fühlte, mit ihnen identifiziert war. Und ich litt immer mehr darunter, wie sehr nicht nur ich selbst, sondern auch alle meine Begegnungen eingeschränkt waren - und eben auch die Menschen, die ich doch eigentlich lieb hatte. Ich spürte, das ganz ganz oft, in ganz dichten für mich als bedrohlich empfundenen Situationen nicht ich das bin, der da so agiert und reagiert - und ich wollte da raus, ohne zu wissen oder vorzuformulieren, wohin genau. Ich wollte wissen, wer ich dahinter bin und was alles an Lebendigkeit geht, wenn ich nicht aus Emotionen und traumatischen Mustern heraus reagiere.
Vivian Dittmar hat die beiden Begriffe Gefühl und Emotion getrennt und spezifisch belegt; für den "normalen" Sprachgebrauchler unüblich und vielleicht etwas verwirrend. Gefühle sind schlicht Interpretationen im Hier und Jetzt; mit ihnen orientiere ich mich und setze mich für meine Bedürfnisse ein. Ich fühle jetzt und hier direkt; ich habe Angst, bin traurig, bin wütend oder habe Freude, und gut ist. Aus ihnen heraus kann ich dann agieren und mich für das ein oder andere einsetzen. Emotionen dagegen beschreiben alte, frühere nicht gefühlte Gefühle. Zum Beispiel bekomme ich in einer bestimmten Situation Angst, die eigentlich überhaupt nicht in diese Situation passt. Etwas triggert mich an, und ich reagiere sofort aus dieser alten Emotion heraus, obwohl ich heute die Situation ganz anders interpretieren könnte. Irgend jemand macht mir zum Beispiel Angst; wasweissich; zum Beispiel, das ich Angst bekomme, von diesem Menschen verlassen zu werden. Der Mensch meint das aber garnicht so und will mich überhaupt nicht verlassen, aber ich kann garnicht im Hier und Jetzt und schon lange nicht bei meinem Gegenüber bleiben, und das was ich dann fühle, ist eben nicht das im Jetzt begründete Gefühl, sondern ein aus Emotionen heraus agierendes System. Traumata, besonders Entwicklungstraumata sitzen da noch eine Etage tiefer, und übrigens nicht einfach im Kopf, sondern im gesamten System; ganz tief als Körpererinnerung verankert.
Nichts an diesem Verhalten ist falsch, im Gegenteil. Es war irgendwann total und vollständig vonnöten, dieses Gefühl nicht zu fühlen, sondern ganz tief in den Keller zu legen. Es war nämlich zu gross, oder durfte nicht gefühlt werden - und es war Überlebensstrategie, das dann abzuspalten und nicht wahrzunehmen. Es gibt überhaupt und null und wirklich keinen einzigen Grund, deswegen in irgendeine Wertung oder Verurteilung zu gehen. Im Gegenteil: dieser Mechanismus hat uns schlicht am Leben erhalten, hat uns überleben lassen. Nur: das war gestern, und ich kann ganz vieles im Hier und Jetzt überhaupt nicht leben, weil mir mein Gefühl fehlt und ich nur aus Emotionen heraus reagiere. Und alle Schutzmechanismen, die auf andere zum Teil auch richtig übel gerichtet sein können, helfen mir heute nicht weiter: ich habe keinen Zugang, weder zu mir noch zum Gegenüber. Die Mechanismen kennen wir alle, das sind Geschichten und Dramen und Täter und Opfer und ichweissnichtwasalles.
Es geht dabei überhaupt nicht um Selbstoptimierung, sondern andersherum um Wiederfinden. Es geht nicht um den Kopf, NoJealousy. Und das, was wir brauchen, um uns da wiederzufinden und im Hier und Jetzt wieder da zu sein, sind Menschen, die uns liebevoll begleiten, die uns sicheren Raum bieten, die uns Gegenüber bieten und einfach da sind. Wir brauchen einander, und in meinem Verständnis und in meiner Erfahrung liebevoll und verbindlich; ich bin sehr sehr dankbar für deine Liebe, liebe RSF.
Das, was Vivian so formuliert und ausgearbeitet hat, findet sich in vielfacher Weise auch woanders. GFK macht nichts anderes; Roosevelt zB sagt, das man "gewaltfrei" auch durch "einfühlsam, empathisch" ersetzen kann. Schnarch zB beschreibt nichts anderes, wenn er von Differenzierung spricht.
Und natürlich versuchen wir auszulagern auf den Partner; ziemlich genau den Teil, den wir an uns selbst vermissen und zu dem wir keinen Zugang finden. Aber diese ganze bedrohliche Kacke von "Verantwortung übernehmen müssen" und Richtig und Falsch und Defizit und Schuld - das ist pure Gewalt, und im Falle von Werbung solcher Psychoterroristen, die mit dem schlechten Gewissen, das sie mir machen und was ich haben muss, wenn ich mir all dieser Defizite bewusst werde, so ziemlich das Mieseste, was wir füreinander tun können.
Nö - wir suchen uns unsere Gegenüber selbst aus; von mir aus auf feinstofflicher Ebene, wie es im Artikel heisst. Aber nicht, weil wir irgendetwas müssen, sondern weil wir wollen und können. Es ist eine Einladung, die ich mir und meinem Gegenüber ausspreche - und das ist etwas ganz anderes, ganz liebevolles. Wir brauchen einander, und wir tun besser daran, gemeinsam uns Raum zu geben als uns abzugrenzen und zu bedrohen.